| # taz.de -- Mitbestimmung bei der Grün Berlin GmbH: Um sich greifende Unsitten | |
| > Die landeseigene Grün Berlin hat keinen Betriebsrat, sondern nur eine | |
| > „MitarbeiterInnenvertretung“. Daran gibt es Kritik aus der SPD und von | |
| > Verdi. | |
| Bild: Ob an der Schubkarre oder am Planungstisch: Über 300 Personen arbeiten b… | |
| Berlin taz | Modern und flexibel sind sie, die Arbeitsbedingungen der mehr | |
| als 300 Beschäftigten [1][der landeseigenen Grün Berlin GmbH] und ihrer | |
| Tochtergesellschaften GB Service und GB infraVelo. So stellt es das | |
| Unternehmen zumindest in seiner letzten Jahresbilanz dar. | |
| Die Vereinbarkeit von Berufsleben und Familie genieße einen hohen | |
| Stellenwert, heißt es in der Selbstdarstellung, die Büros im Tempelhofer | |
| Ullsteinhaus seien hell, freundlich und digital auf dem neuesten Stand, 40 | |
| Prozent der Arbeitszeit könnten aus dem Home Office erledigt werden. Eines | |
| gibt es bei der Grün Berlin allerdings nicht: einen Betriebsrat. | |
| Stattdessen sind die Beschäftigten – die Parks wie das Tempelhofer Feld und | |
| die Gärten der Welt managen oder im Rahmen der infraVelo Radschnellwege | |
| planen – in einer „gesellschaftsübergreifenden Mitarbeitervertretung (MAV)… | |
| organisiert, die ihre Interessen gegenüber der Geschäftsführung vertritt. | |
| Den SPD-Abgeordneten Linda Vierecke und Sven Meyer ist dieses abgespeckte | |
| ArbeitnehmerInnen-Gremium ein Dorn im Auge: Sie wollen, dass es in dem | |
| Unternehmen einen Betriebsrat nach dem Betriebsverfassungsgesetz gibt. Um | |
| herauszufinden, was es mit der MitarbeiterInnenvertretung (MAV) auf | |
| sich hat, haben Vierecke und Meyer zwei parlamentarische Anfragen gestellt, | |
| mittlerweile liegen die Antworten aus der Senatsumweltverwaltung mit | |
| Stellungnahmen der Grün Berlin vor. | |
| ## Kein Mitbestimmungsrecht bei Einstellungen | |
| Aus den Antworten geht hervor: Das siebenköpfige, von der Belegschaft | |
| gewählte Gremium hat zum Teil dieselben Funktionen und Befugnisse wie ein | |
| Betriebsrat. Die „partnerschaftliche Kooperation zwischen der MAV und der | |
| Geschäftsführung“ laufe „auf Grundlage einer bindenden Vereinbarung“ ab. | |
| Manche Vorrechte, die ein Betriebsrat genießt, fehlen der Vertretung aber. | |
| So sollen zwar die „frei, unmittelbar, gleich und geheim“ gewählten | |
| MAV-Mitglieder sich zu Themen der Beschäftigtenvertretung weiterbilden | |
| können, Sachkosten würden erstattet, Räume zur Verfügung gestellt. | |
| Regelmäßig fänden Termine mit der Geschäftsführung statt, bei denen | |
| „Informationen und Unterlagen zu anstehenden Themen ausgetauscht“ würden. | |
| Auch nehme die MAV Beschwerden und Anregungen von ArbeitnehmerInnen | |
| entgegen und wirke auf eine Lösung hin. Bei Kündigungen, Regelungen zur | |
| Arbeitszeit oder Arbeitsentgelten könne sie Mitwirkungs- und | |
| Mitbestimmungsrechte ausüben. | |
| Dagegen bleibt die MAV etwa bei allen Entscheidungen des Arbeitgebers über | |
| Einstellungen oder Versetzungen außen vor – Betriebsräte haben hier ein | |
| wichtiges Mitbestimmungsrecht, im Konfliktfall können sie das | |
| Arbeitsgericht einschalten. Auch eine sogenannte Einigungsstelle, in der | |
| Geschäftsführungen und Betriebsräte unter Vorsitz einer unparteiischen | |
| Person Konflikte schlichten, wenn diese sich nicht anderweitig auflösen | |
| lassen, ist nicht vorgesehen. | |
| ## Schutzstatus unklar | |
| Nicht völlig klar ist, welchen Schutz die Mitglieder der | |
| MitarbeiterInnenvertretung genießen. Bei Betriebsräten legt das | |
| Gesetz unter anderem fest, dass deren Mitglieder wegen ihrer Tätigkeit | |
| nicht benachteiligt werden dürfen – auch nicht in Bezug auf ihre berufliche | |
| Entwicklung. Für die MAV-Mitglieder gilt laut Grün Berlin lediglich ein im | |
| Arbeitsvertrag festgehaltener Kündigungsschutz. | |
| Die Grün Berlin bezeichnet sich selbst als „modernes Unternehmen, das den | |
| Mitgliedern der MAV mit Wertschätzung und Dank für ihren Einsatz begegnet“, | |
| sie nimmt für sich die „Grundsätze der partnerschaftlichen Zusammenarbeit“ | |
| in Anspruch. Linda Vierecke und Sven Meyer reicht das nicht. | |
| „Es gibt Konfliktfälle, da ist eine Vertretung mit gesetzlichen Rechten und | |
| Pflichten einfach ein Muss“, sagt Vierecke, Meyer erkennt in den Regelungen | |
| viel „good will“, was aber nicht viel helfe. Der Abschluss von | |
| Betriebsvereinbarungen – ein Instrument, um bestimmte Betriebsabläufe oder | |
| Ansprüche von ArbeitnehmerInnen zu regeln – sei offenbar gar nicht | |
| vorgesehen. | |
| „Landeseigene Unternehmen haben einen Vorbildcharakter“, sagt Meyer. Nicht | |
| umsonst hätten CDU und SPD das in den Koalitionsvertrag geschrieben. | |
| Tatsächlich heißt es dort: „Wir unterstützen überall innerbetriebliche | |
| Mitbestimmung auf gesetzlicher Basis – andere Formen zur Ersetzung der | |
| gesetzlichen Mitarbeitervertretungen schließen wir aus.“ | |
| Die Umweltverwaltung scheint das nicht so eng zu sehen. In einer ihrer | |
| Antworten an die SPD-Abgeordneten schreibt sie: „Der Senat bewertet es | |
| positiv, dass eine von den Mitarbeitenden mehrheitlich gewollte | |
| MitarbeiterInnenvertretung bei der Grün Berlin GmbH eingerichtet | |
| wurde.“ Ein Betriebsrat könne ja immer noch gegründet werden. | |
| ## Völlig frei entschieden? | |
| Genau hier liegt ein Knackpunkt: Die Grün Berlin verweist darauf, dass die | |
| Beschäftigten sich völlig frei gegen eine Betriebswahl und für die | |
| alternative Vertretungsform entschieden hätten. Aber hat das Unternehmen | |
| möglicherweise dafür geworben? Seit einiger Zeit gebe es bei Unternehmen | |
| einen Trend in dieser Richtung, sagt der Berliner Verdi-Sprecher Kalle | |
| Kunkel der taz. | |
| Eine „Unsitte, die um sich greift“, nennt das Kunkel, es gebe | |
| Anwaltskanzleien, die sich genau darauf spezialisiert hätten. Aber: „Es | |
| kann keinen anständigen Ersatz für einen Betriebsrat geben, denn nur für | |
| diesen definiert das Gesetz klare Rechte, die auch gerichtlich durchgesetzt | |
| werden können.“ | |
| [2][Einen Fall aus der Privatwirtschaft hat kürzlich der Tagesspiegel | |
| beschrieben]: So soll das Potsdamer Hasso-Plattner-Institut bis zu 200.000 | |
| Euro in anwaltliche Beratung und die Entwicklung von | |
| Kommunikationsstrategien investiert haben, um seine Beschäftigten von der | |
| Gründung eines „Institutsrats“ mit eigenen Regeln anstelle eines | |
| Betriebsrats zu überzeugen. | |
| Derartiges ist von Grün Berlin nicht bekannt. Beim Lesen der Stellungnahmen | |
| des Unternehmens bleibt dennoch unklar, wie aktiv die Rolle der | |
| Unternehmensleitung war. So wird einerseits beteuert, die Geschäftsführung | |
| vertrete „keine Position gegen einen Betriebsrat, sie sei an dem „freien | |
| mitarbeiterinternen Dialogprozess“ nicht beteiligt gewesen und lediglich | |
| „über das Ergebnis informiert“ worden. | |
| An anderer Stelle wiederum heißt es, die „Einführung eines | |
| Mitbestimmungsmodells in Form einer MitarbeiterInnenvertretung bis | |
| hin zum Abschluss einer Vereinbarung mit der Geschäftsführung“ setze „ein… | |
| Abstimmungsprozess zwischen Mitarbeitenden und Geschäftsführung voraus“. In | |
| diesem Zusammenhang seien „Rechte und Pflichten von Betriebsräten, von | |
| Geschäftsführungen sowie beider Rollen im Zusammenspiel ergebnisoffen | |
| diskutiert und bewertet“ worden. | |
| Vierecke und Meyer wollen nun darauf hinwirken, dass die Grün Berlin doch | |
| noch einen Betriebsrat bekommt: „So steht es schließlich im | |
| Koalitionsvertrag“, betonen beide. | |
| 15 Mar 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Plaene-fuer-den-Goerlitzer-Park/!5990927 | |
| [2] https://www.tagesspiegel.de/wissen/fur-mehr-als-200000-euro-potsdamer-hasso… | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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