| # taz.de -- Mieträder mit Landesförderung: Warten auf das nächste Bike | |
| > Politiker kritisieren, dass Nextbike nur im S-Bahn-Ring Fahrräder | |
| > anbietet. Überhaupt erfüllt der Anbieter mit Senatsförderung längst nicht | |
| > sein Soll. | |
| Bild: Wo Stationen stehen, gibt's meist auch ein Bike – aber eben nur da | |
| Haste keins, leih dir eins: Bike-Sharing gehört heute ganz | |
| selbstverständlich zum urbanen Alltag. Aber in Berlin ist eine | |
| Zwei-Klassen-Mobilität herangewachsen: Während innerhalb des S-Bahnrings | |
| fast an jeder Ecke Mietfahrräder herumstehen oder -liegen, glänzen sie | |
| außerhalb durch Abwesenheit. Selbst in stark verdichteten Gebieten wie | |
| Pankow, Wedding oder Friedenau gibt es kaum eine reguläre Möglichkeit, die | |
| berühmte „letzte Meile“ auf einem geliehenen Sattel zurückzulegen. | |
| Politiker von Opposition und Koalition kritisieren das schon länger, in den | |
| vergangenen Tagen ist die Debatte wieder einmal hochgekocht. Auf Twitter | |
| rückte vor allem der Anbieter Nextbike ins Visier: Das Unternehmen mit Sitz | |
| in Leipzig wird schließlich als einziges auf dem Berliner Markt vom Senat | |
| gefördert, in der Vertragslaufzeit von 2017 bis 2022 erhält es 7,5 | |
| Millionen Euro für den Ausbau seines Angebots. | |
| Um so ärgerlicher für viele, dass sich auch Nextbike wenig für die Menschen | |
| jenseits der Ringbahngleise interessiert. Zu ihrer Verteidigung twitterten | |
| die Leipziger am Montag: [1][„Die Millionen des Senats dürfen wir leider | |
| nur innerhalb des vom Senat als Servicegebiet festgelegten S-Bahn-Rings | |
| verwenden.“] Und: „Dies wurde in der Ausschreibung vom Senat und | |
| entsprechend auch in unseren Verträgen festgelegt.“ | |
| Dem SPD-Abgeordneten Sven Kohlmeier Anlass genug für einen Appell an die | |
| grüne Verkehrsverwaltung: „Servicegebiet sofort ändern!!“ Der | |
| verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Oliver Friederici, machte | |
| dagegen gleich das ganz große Fass auf: „Von Klimaschutz, Luftreinhaltung | |
| und Verkehrswende reden, aber den Ausbau von Bike-Sharing verhindern: Es | |
| ist absurd, dass die rot-rot-grüne Koalition ausgerechnet hier auf der | |
| Bremse steht.“ | |
| So ganz scheint man aber in Leipzig den eigenen Vertrag nicht zu kennen: | |
| Die Senatsverwaltung dementiert die Darstellung von Nextbike. Es handele | |
| sich beim S-Bahnring lediglich um das vereinbarte „Kerngebiet“, erklärt | |
| Sprecherin Dorothee Winden gegenüber der taz. „Es werden ja auch Stationen | |
| außerhalb des S-Bahnrings eingerichtet.“ 140 Mietstationen seien außerhalb | |
| des Rings „geplant oder teils schon aufgebaut“. Real existieren dort heute | |
| rund zwei Dutzend Stationen. | |
| Die Vernachlässigung der äußeren Stadt ist aber nicht das einzige Ärgernis | |
| in Sachen Nextbike. Denn trotz der Landesmillionen, die seit nunmehr zwei | |
| Jahren fließen, ist das Leihradsystem noch nicht einmal zur Hälfte | |
| ausgerollt. Vor einem Jahr hatten die Verkehrsverwaltung und das | |
| Unternehmen noch mitgeteilt, bis Ende 2018 würden 700 Stationen auf Straßen | |
| und Gehwegen montiert, an denen 5.500 der silber-blauen Räder gemietet | |
| werden könnten. | |
| Mitte 2019 sieht die Realität anders aus: Es gibt 250 Stationen, immerhin | |
| 30 weitere sind nach Angaben der Verkehrsverwaltung bereits genehmigt. Auch | |
| die Zahl der verfügbaren Räder liegt erst bei 2.700. Warum das so ist? „Der | |
| Ausbau der Leihradflotte ist an die Genehmigung der Stationen gebunden“, | |
| heißt es aus der Verkehrsverwaltung. „Hintergrund ist die vertragliche | |
| Regelung, dass für die Leihräder von nextbike eine definierte Anzahl an | |
| Abstellvorrichtungen vorzusehen ist.“ Im Gegensatz zu Mobike und Co., deren | |
| Räder im „Free Floating“ praktisch überall abgestellt werden können, kann | |
| es bei Nextbike keine neuen Räder ohne neue Stationen geben. Und bei deren | |
| Genehmigung hapert es. | |
| ## Arbeitsintensive Prüfprozesse | |
| Beantragt wurden von Nextbike bislang 725 Stationen. Für Dorothee Winden | |
| von der Senatsverwaltung ein Beleg dafür, „dass der Betreiber des | |
| öffentlichen Leihradsystems die Entwicklung, Vorprüfung und Beantragung von | |
| Standorten voranbringt“. Die genehmigenden Behörden sind aber die | |
| Bezirksämter, und auf deren Schreibtischen lagen Winden zufolge im 1. | |
| Quartal des laufenden Jahres noch 353 Anträge herum. Besonders viele in den | |
| Bezirken Mitte (122), Charlottenburg-Wilmersdorf (103) und | |
| Friedrichshain-Kreuzberg (55). | |
| Dass es so lange dauere mit den Genehmigungen, liege daran, dass „der | |
| Prüfprozess für die Bezirke zum Teil sehr arbeits- und zeitintensiv ist“. | |
| Im Antragsverfahren für Sondernutzungen öffentlichen Raums müssten | |
| „sämtliche Interessen und Ansprüche abgewogen“ werden, vom Mindestabstand | |
| zu Verteilerschränken über die Sicherheit von FußgängerInnen bis zu | |
| Denkmalschutz-Aspekten. Nicht weniger als 91 Anträge seien denn auch schon | |
| abgelehnt worden. | |
| Eine Anfrage beim Bezirk Charlottenburg-Wilmerdorf bestätigt die | |
| Problematik. „Ganz schön schwierig“ sei das alles, sagt Baustadtrat Oliver | |
| Schruoffeneger (Grüne), „auch weil die Personalsituation eine Katastrophe | |
| ist“. Sprich: Keine SachbearbeiterInnen, keine Stationen, keine Leihräder. | |
| Es scheint aber noch mehr temporaubende Faktoren zu geben: Laut | |
| Schruoffeneger hat Nextbike im Januar Widerspruch gegen die für die | |
| Sondernutzung zu entrichtenden Gebühren eingelegt, im März habe die | |
| Senatsverwaltung schlichtend eingreifen müssen. | |
| ## Letze Meile ad absurdum geführt | |
| Wann das System komplett ausgerollt sein wird, will man auch bei Nextbike | |
| nicht prognostizieren. Für NutzerInnen bedeutet die geringe Stationenzahl | |
| dabei nicht nur, dass das Angebot an Rädern kleiner ist als versprochen – | |
| deren Nutzung wird auch weniger attraktiv. Denn entweder muss man nach | |
| Rückgabe noch mehrere Ecken zu Fuß zurücklegen, was das Prinzip der | |
| „letzten Meile“ ad absurdum führt. Oder man stellt das Rad jenseits einer | |
| Station ab und zahlt 50 Cent Strafgebühr. Kein Modell für die regelmäßige | |
| Anwendung, jedenfalls nicht mit einem schmalen Geldbeutel. | |
| Dass dieser jedesmal und von allen gezückt werden muss (virtuell, versteht | |
| sich), war im Übrigen auch nicht vorgesehen. Versprochen hatte der Senat, | |
| dass die erste halbe Stunde pro Ausleihe für ÖPNV-AbokundInnen gratis sein | |
| würde. Anderswo bietet Nextbike noch viel bessere Konditionen, in Potsdam | |
| etwa spendiert man ÖPNV-AbonnentInnen zwei Stunden Freifahrt pro Tag, | |
| Studierenden der Uni Potsdam drei Stunden. In Berlin dagegen stritt man | |
| sich über Gegenleistungen, am Ende gab es von Mitte bis Ende 2018 eine | |
| Sonderregelung, die ausschließlich BVG-AbonnentInnen 20 Freiminuten | |
| schenkte. Jetzt befinde man sich wieder in Verhandlungen, so | |
| Nextbike-Sprecherin Mareike Rauchhaus, Konkretes könne sie aber noch nicht | |
| sagen. | |
| Die kostenlose halbe Stunde genießen derweil KundInnen des in Deutschland | |
| wenig genutzten Online-Diskothek „Deezer“. Was eine Twitter-Nutzerin zu dem | |
| hämischen Kommentar verleitete: „R2G unterstützt Musikstreaming statt | |
| Verkehrswende.“ | |
| 2 Jul 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://twitter.com/nextbike/status/1145629460810670080 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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