# taz.de -- Boom von Motoryachten: Im Reich der Freizeitkapitäne | |
> Motoryachten sind im Trend, auf dem Wasser wird es enger. Auch auf einem | |
> stillgelegten Arm der Elbe in Hamburg ist das so. Ein Besuch bei den | |
> Liegeplätzen. | |
Bild: Unterwegs auf der Dove-Elbe | |
Natürlich, unter der Woche ist jetzt nicht so viel los auf der Dove-Elbe. | |
Auf dem kleinen Uferweg führt eine Frau ihren großen zotteligen Hund aus, | |
die Leine schleift über den Boden, nein, er tut nichts, sagt sie. Vögel | |
steigen aus dem Schilf auf, eine kleine Landzunge führt raus aufs Wasser, | |
und da, in einer Bucht, die vorher nicht einsehbar war, schaukeln sie | |
dann auf dem Wasser: Motoryachten. | |
Es sind nicht viele, die sich an diesem Vormittag an der Stelle eingefunden | |
haben, die den schönen Namen „Rentnerbucht“ trägt. Still liegen sie da, d… | |
Wasser glitzert, an einem Boot weiter draußen hat ein kleineres | |
festgemacht, die Besucher kommen an Deck, hoch auf den mit einem | |
Sonnensegel überspannten Aufbau, von dem man alles im Blick hat. | |
Die Boote, die hier vor Anker liegen, sind keine Superyachten, wie sie in | |
den großen Werften in Hamburg und in Bremen zu sehen sind. Die Yachten hier | |
kreuzen nicht über die Weltmeere und sie haben keine Crew an Bord. Die | |
Yachten hier sind gerade so groß, dass ein Rentnerpaar draufpasst und | |
vielleicht noch sein Besuch. | |
Schon vor dem Boom der Branche in den letzten Jahren war die Dove-Elbe ein | |
Eldorado für Motorboote. Vor den Badestegen auf der anderen Seite, auf der | |
sogenannten Rentnerstrecke, fahren sie an schönen Sommertagen in einer Art | |
Prozession vorbei, mit Menschen an Deck, die Gläser in der Hand halten und | |
den Badenden zuwinken, die aufpassen müssen, nicht zu weit rauszuschwimmen. | |
Dass dieser Seitenarm der Elbe bei Bootsbesitzern so beliebt ist, liegt an | |
der Tatenberger Schleuse, [1][die das für die Elbe bei Hamburg typische Auf | |
und Ab der Gezeiten abhält]. Auf der Dove-Elbe gibt es fast keine Strömung, | |
sie wirkt eher wie ein idyllischer See, nur eben mit Anschluss an die Elbe. | |
Genau deswegen ist sie für die Boote auch ein idealer Liegeplatz, und so | |
reiht sich hier an der Dove-Elbe ein Yachtverein an den anderen. Oft liegen | |
die unzugänglich hinter Zäunen, an denen Schilder mit der Aufschrift „Nur | |
für Mitglieder“ befestigt sind. Manchmal aber ist es auch möglich, näher | |
heranzukommen. | |
Der Bootsclub Biber zum Beispiel liegt zwar etwas versteckt, aber das | |
Gelände ist nur mit einfachen Parkplatzschranken gesichert, eine vorne, | |
eine hinten. Vor einem Schuppen sitzen auf Campingstühlen einige Mitglieder | |
im Schatten einer überdachten Terrasse und schauen aufs Wasser, von einem | |
Fahnenmast weht die Vereinsfahne. „Den haben wir selber aufgebaut“, sagt | |
Friedrich Gehring, den sie hier „Fiete“ nennen. In seiner Stimme schwingt | |
Stolz. | |
Friedrich Gehring trägt einen Strohhut, in dem keck eine Feder steckt. Sein | |
Boot, die „Lobster“, liegt in Sichtweite am ersten Steg auf der rechten | |
Seite, ungefähr in der Mitte. „Sehen Sie, das mit dem blauen Verdeck!“ | |
Auf der „Lobster“ ist er seit vielen Jahren mit seiner Frau unterwegs, an | |
die Müritz sind sie damit schon gefahren, nach Potsdam und Berlin. Am | |
Tegeler See sind sie beide Ehrenmitglied in einem Anglerverein, bei dem sie | |
einmal auf einer Reise untergekommen sind, dabei angeln sie gar nicht. Vor | |
Kurzem waren sie bei der Hochzeit einer Frau eingeladen, die sie dort | |
kennengelernt haben, als sie zwei war. „Das ist wie eine Familie“, sagt | |
Friedrich Gehring. | |
Wenn die Gehrings mit dem Boot unterwegs sind, bewegen sie sich in einer | |
Welt der Wasserstraßen, mit Flüssen und Kanälen, die alle untereinander | |
verbunden sind, mit Schleusen und Brücken, unter denen das Boot durchpassen | |
muss. | |
Ihres, ein alte englische Barkasse aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, | |
die sie mit festem Stoff umspannt und damit regenfest gemacht haben, ist | |
flach genug und passt überall durch. Der weiteste Weg, den sie zurückgelegt | |
haben, ist nach Amsterdam, dorthin geht es die Elbe runter, vor Cuxhaven in | |
den Hadelner Kanal bis Bremerhaven, von dort die Weser hoch und weiter die | |
Hunte nach Oldenburg, wo der Dortmund-Ems-Kanal abzweigt, „und dann auf der | |
linken Seite kommt ein kleiner Kanal mit Schleuse“, sagt Friedrich Gehring, | |
„da fährt man noch zwei Kilometer, bis ein Schild kommt, dass hier die | |
niederländische Grenze ist“. | |
Auf ihren Fahrten bleiben die Gehrings meistens auf dem Boot, denn sie | |
haben ja alles: Kühlschrank („12 Volt“) und Kochecke, gemütliche Sitzbank | |
mit ausklappbarem Tisch im Heck, sogar ein kleiner Fernseher lässt sich | |
aufklappen, wobei sie den jetzt gar nicht so oft einschalten. Sie löst | |
Kreuzworträtsel, er liest, überall sind kleine Schubladen, natürlich selbst | |
eingebaut, wie auch der Motor, ein Dreizylinder, der sich in einem großen | |
Holzkasten im Vorraum befindet, liebevoll klopft Friedrich Gehring darauf. | |
Ein bisschen sieht das Boot aus wie ein altes Wohnmobil, unter Deck ist | |
eine sehr gemütliche Koje, und so reisen sie dann, ganz langsam, mit nur | |
wenigen Knoten, denn schnell ist das alte Boot mit seinem Stahlrumpf nicht | |
und soll es auch gar nicht sein. „Unterwegs sieht man Tiere“, sagt Bärbel | |
Gehring versonnen. Nachts sei es wunderbar, auf dem Wasser zu schlafen, | |
„das schaukelt so schön“. | |
Einige Tage später, es geht aufs Wochenende zu, ist rund um die Dove-Elbe | |
schon mehr los. Der Parkplatz des Hamburger Yachtclubs, nur wenige hundert | |
Meter vom Bootsclub Biber entfernt, füllt sich, unten auf den Stegen | |
herrscht ein Kommen und Gehen. | |
„Das hier ist der schönste Yachtclub Hamburgs“, sagt Dieter Zimmer, der | |
Hafenmeister. Von hier oben, der Terrasse des italienischen Restaurants | |
aus, das zum Yachtclub gehört, lässt sich die ganze Bucht überblicken, und | |
wirklich, überall liegen Boote. 180 Liegeplätze haben sie, 30 Namen stehen | |
auf der Warteliste. | |
Dieter Zimmer führt durchs Restaurant, vorbei an weiß gedeckten Tischen, | |
hinein in den Vereinsbereich: rustikales Holz im Versammlungsraum, dann ein | |
winziges Kabuff, das als Geschäftszimmer dient, dahinter die Räume des | |
Vorstands mit Sitzmöbeln aus Leder. | |
Der Hamburger Yachtclub ist ein gemeinnütziger Verein, ein paar hundert | |
Euro kostet ein Liegeplatz pro Saison. Ein paar tausend Euro kostet der | |
Unterhalt einer der schönen weißen Yachten, die hier an den Stegen liegen. | |
Der Neuanschaffungspreis würde in die Hunderttausende gehen, aber: ein | |
neues Boot kauft hier keiner. „Das kann sich keiner leisten“, sagt ein | |
Vereinsmitglied, das den Hügel hinauf in die Geschäftsstelle gekommen ist. | |
Seine Yacht will er lieber nicht besichtigen lassen. „Sie wissen doch, der | |
Sozialneid!“ | |
Ein Problem, sagt er, seien natürlich die alten Motoren. Bei 2x200 PS | |
rauschen locker mal 40 Liter Diesel in der Stunde durch, dazu gehört dann | |
ein 1.000-Liter-Tank. Aber es gebe ja inzwischen alternative Treibstoffe | |
aus verflüssigtem Erdgas, besser als Diesel seien die auf jeden Fall. Die | |
meisten hier tanken das, auch wenn es teurer ist, und auch noch nicht eine | |
endgültige Lösung. Aber was sollen sie machen? Motoren umrüsten? Viel zu | |
teuer. | |
Trotzdem ist so ein Boot auch ein Traum, den man sich erfüllt, da sind sich | |
hier alle einig. Anja Gubatz zum Beispiel, die in der Geschäftsstelle | |
arbeitet, als einzige hauptamtliche Kraft des Vereins, hat sich zusammen | |
mit ihrem Mann ein Birchwood geholt, ein irisches Rauwasserboot und eine | |
Art Mercedes unter den Booten, 14 Meter lang, 1996 gebaut. In der Größe gab | |
es nur noch ein Exemplar in Kroatien, das haben sie herbringen lassen. | |
Sie haben sich überlegt, ob es so groß sein muss, aber, sagt Anja Gubatz, | |
sie wollte es wegen ihrer Eltern, die hätten sie ja überhaupt erst zum | |
Bootfahren gebracht. Jetzt seien die Eltern alt, ihr eigenes Boot sei ihnen | |
zu viel geworden. Da möchte sie genug Platz haben, die beiden mitzunehmen. | |
Ein Jahr hätten sie und ihr Mann damit zugebracht, das Boot, das in keinem | |
guten Zustand war, wieder herzurichten. Es sei einfach viel Arbeit, die | |
anderen nicken vielsagend. Im Prinzip, sagt Dieter Zimmer, müsse man sich | |
entscheiden: entweder ein Haus mit Garten oder ein Boot, beides zusammen | |
gehe nicht. | |
Auch Dieter Zimmers Boot ist ein Birchwood, 22 Jahre alt, und sieht | |
picobello aus. Im Inneren ist ein dicker, flauschiger Teppichboden verlegt, | |
das Boot wirkt wie ein großes Wohnzimmer mit Soflandschaft, nur dass es | |
ganz oben mit der Flybridge noch einen zusätzlichem Steuerstand hat, auf | |
dem man alles überblicken kann. | |
Es sei schon merkwürdig, sagen sie im Hamburger Yachtclub, aber die Boote | |
würden tatsächlich immer größer, das falle durchaus auf. Warum, können sie | |
nur vermuten. Vielleicht, weil ein paar Meter mehr dann gar nicht mehr so | |
viel teurer sind und man dann, wenn man das Geld schon mal aufgebracht hat, | |
lieber gleich das größere nimmt? | |
Schon vor Jahren gab es [2][Aktionen von Klimaaktivisten am Bodensee], die | |
unter dem Motto „Motorboot macht Klima tot“ gegen das zunehmende | |
Verkehrsaufkommen von Motoryachten demonstrierten. Von solchen Aktionen | |
haben sie beim Yachtclub Hamburg bisher allerdings noch nichts mitbekommen. | |
Und vom [3][Emissionshandel der EU], mit dem bei den großen Passagier- und | |
Frachtschiffen eine Umrüstung erzwungen werden soll, sind „Freizeitboote“ | |
bisher ausgenommen. | |
Für Dieter Zimmer jedenfalls geht es bald wieder los mit dem Boot, | |
Elbe-Lübeck-Kanal, bei Travemünde raus und dann die Küste hoch. | |
„Es ist schon komisch“, sagt er, „aber das Bootfahren selbst langweilt | |
mich. Ich liebe das Ankommen und die Hafenatmosphäre.“ | |
5 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Diskussion-um-Anschluss-an-die-Tide/!5733528 | |
[2] https://www.seemoz.de/lokal_regional/motorboot-macht-klima-tot/ | |
[3] https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/jachten-treibhausgase-klima-101.… | |
## AUTOREN | |
Daniel Wiese | |
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