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# taz.de -- Antwort auf den VS: Hoffnung auf ein besseres Morgen
> Der Verfassungsschutz fordert „Demokratieförderung und politische
> Bildung“. Kann er haben. In der linken und grünen Utopie ist alles für
> alle möglich.
Bild: Immer derselbe Stiefel? Bald nicht mehr
Rückblick: Berlin im Sommer 2026. Die Sonne ballerte alltäglich bei 48 Grad
im Schatten. Die Regenwahrscheinlichkeit lag seit Wochen bei null Prozent.
Und auch die soziale Dürre grassierte in Stadt und Land. Kaum wer konnte
sich trotz Vollzeitbeschäftigung noch ein gutes Leben leisten. Kaum wer
konnte sein, wie er*sie wollte, ohne sich Hass und Hetze auszusetzen.
Migrantische Communitys, alleinerziehende Mütter, Kinder und Jugendliche,
Lehr- und Pflegekräfte, Arbeiter*innen in der Industrie,
Landwirt*innen, queere und geflüchtete Menschen und viele, viele mehr – für
sie alle gab es im Gestern kaum ein Morgen mehr.
Sie alle hatten es so satt: die täglich neuen schlechten News zur
Verfehlung von Klimazielen; ständig zu wenig Geld im Portemonnaie, trotz
harter Arbeit; [1][und die immergleichen Parolen von rechts, die im Grunde
nichts taten, als Ängste und Wut umzulenken] – von den eigentlichen
Problemen auf die Nachbar*innen, die anders aussahen, anders liebten,
anders lebten. „Ökosozialismus – für ein gutes Leben für alle!“, so der
Wahlspruch von Linksaußen nach der Regierungskrise 2026. Der sprach all
ihre Sehnsüchte an.
Ökosozialismus – davor hatte der Verfassungsschutz (VS) schon vor Jahren
indirekt gewarnt: „[2][Mit ihrem vorgeblichen Engagement für den
Klimaschutz] wollten Linksextremist*innen demokratische Diskurse um
ihre eigenen ideologischen Positionen ergänzen“, hieß es im VS-Bericht aus
dem Juni 2023 (!). „Anstelle der bestehenden Staats- und
Gesellschaftsordnung“ wollten sie „ein kommunistisches System mit dem
Sozialismus als Übergangsphase“ einrichten. Und Krisen, so erklärte der
damalige VS-Präsident Haldenwang, würden Linksextremist*innen für ihre
Ideologien instrumentalisieren. Politische Bildung und Demokratieförderung
wollte man dem entgegenstellen.
Genützt, so zeigt sich heute, im Herbst 2027, hat all das Engagement der
Verfassungsschützer*innen nichts. Der politische Wind weht kühle
Zuversicht in das krisengebeutelte Land. Auf der Kuppel des Bundestags
flattern schwarz-rot-grüne und All Pride-Flaggen. Die „Klima-RAF“, einst
Drohszenario marktliberaler, konservativer und rechter Populist*innen, ist
heute Regierungspartei. Links- und Klimaextremismus sind regierungsfähig
geworden. Das „Volk“ – die offene Multitude der Vielen und nicht der in
sich geschlossene Kartoffelbrei mit brauner Soße – wollte den
Ökosozialismus.
## Was das Zeug hält
Und sollte ihn endlich bekommen. Dank großer Parlamentsmehrheiten und guten
Connections zum Bundesverfassungsgericht flutschte der institutionelle
Umbau schneller durch Bundestag und Bundesrat, als Friedrich Merz
„Deutschland schafft sich wirklich ab!“ an Thilo Sarrazin twittern konnte.
Deutsche Wohnen und Co enteignen! Vergesellschaftet Wohnraum, was das Zeug
hält. Arbeiter*innen – unter anderem in der Automobilindustrie und der
Pflege – werden Besetzungsrechte eingeräumt. Volkswagen produziert jetzt
E-Busse. Das rückverstaatlichte Vivantes behandelt so lange, wie die
Menschen es brauchen, nicht, wie es profitabel ist.
Und ja, natürlich gibt es keine Klima-RAF ohne Gewalt. Die ist heute aber
demokratisch legitimiert und heißt Staatsgewalt. Die Zahlung frisch
eingeführter Vermögens- und erhöhter Erbschaftssteuern werden durch
polizeiliche Eingriffe erzwungen, wenn sie nicht freiwillig überwiesen
werden. Eine Gruppe ehemaliger Vorstandsvorsitzender großer
Aktienunternehmen, die für das „Recht auf Millionenboni“ protestiert, wird
im Frankfurter Bankenviertel stundenlang im Polizeikessel festgesetzt,
nachdem sie einen kooperativ geführten Bioladen mit Steinen attackiert
hatten.
Die AfD, wegen rechtsextremistischer Bestrebungen und geistiger
Brandstiftung verboten, debattiert auf einem konspirativen Parteitag im
Wohnzimmer Bernd Höckes die Verlagerung ihrer Aktivitäten ins benachbarte
Österreich. Rechte Bunde wurden weitreichend entwaffnet und zerschlagen. Es
gäbe keine „kämpferische Basis mehr für den rechten Umbau“, so die
Arbeitshypothese der wenigen in Deutschland verbliebenen politisch aktiven
Faschisten.
Demokratieförderung und politische Bildung, wie sie der VS im Juni 2023
forderte, zeigen also doch ihre Wirkungen. Allerdings nur nach rechts, wo
Ideologie tatsächlich Verblendung im klassischen Sinne ist, die Aufklärung
bedarf. Nach links hingegen führen Bildung und Demokratieförderung zu mehr
Mitbestimmungswünschen, zu mehr Gerechtigkeitsstreben. In Krisenzeiten tun
sich hier jedoch Grenzen auf – wenn klar wird, dass es im Kapitalismus
wirkliche Mitbestimmung und Gerechtigkeit nur für wenige gibt. Dann schlägt
die Stunde marxistischer Ideen, die in der Lage sind, radikale Lösungen für
alle zu denken.
Diese aber als „Ideologie“ und „Extremismus“ abzutun, enttarnt nur die
eigene ideologische Verblendung. Heute, im Herbst 2027, scheint genau das
überwunden, – und endlich macht sich Hoffnung breit auf ein besseres
Morgen.
25 Jun 2023
## LINKS
[1] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174216.populaere-theorie-nancy-fraser-co…
[2] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/verfassungssch…
## AUTOREN
Tobias Bachmann
## TAGS
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