| # taz.de -- Antimuslimischer Rassismus in Berlin: Abwertung als Alltag | |
| > Zwei Initiativen und ihr aktueller Bericht zu diskriminierenden Vorfällen | |
| > zeigen: Antimuslimischer Rassismus ist auch in Berlin ein großes Problem. | |
| Bild: Bespuckt, beleidigt, angefeindet: Muslimfeindlichkeit betrifft häufig Me… | |
| Berlin taz | Zwei Frauen mit Kopftuch stehen auf den Treppen des U-Bahnhofs | |
| Bismarckstraße in Charlottenburg. Ein älterer Mann beschwert sich, dass sie | |
| im Weg stünden. Auf den Hinweis, dass er sie ja ansprechen könnte, erwidert | |
| er: „Die verstehen ja eh kein Deutsch.“ Der Vorfall fand bereits vor | |
| zweieinhalb Jahren statt. Für viele Muslim*innen sei das jedoch Alltag, | |
| sagt Jouanna Hassoun vom Berliner [1][Recherche- und Dokumentationsprojekt | |
| Antimuslimischer Rassismus (Redar)]. „Frauen, die Kopftuch tragen, gelten | |
| als dumm, unterdrückt oder ihnen wird nachgesagt, dass sie die Sprache | |
| nicht verstehen.“ | |
| Die Situation ist eine von vielen, die Hassoun am Montag beim Spaziergang | |
| „Antimuslimischen Rassismus sichtbar machen“ in Charlottenburg-Wilmersdorf | |
| erzählt. Eine andere: Einem jungen Mann wurde die Teilnahme an der | |
| Zwischenprüfung am Vorabend telefonisch verboten. Die IHK habe nicht | |
| geglaubt, dass jemand mit muslimischem Namen nur Einsen hat. Erst nach | |
| Nachforschungen der IHK, ob ein Betrugsfall vorliegt, wurde die Erlaubnis | |
| zur Zwischenprüfung erteilt. Der junge Mann verlor sechs Monate | |
| Ausbildungszeit. | |
| Ein anderer Mann wurde von einer Kollegin als „Mörder“ beschimpft. Die | |
| Begründung: „Moslems sind Mörder also bist du auch ein Mörder.“ Beide | |
| Männer haben aus Angst vor negativen beruflichen Konsequenzen bisher keine | |
| rechtlichen Schritte eingeleitet. Sie haben die Vorfälle jedoch an Redar | |
| gemeldet und bekommen emotionale Unterstützung durch das Projekt. | |
| So unterschiedlich die Vorfälle sein mögen, das Problem ist das gleiche: | |
| antimuslimischer Rassismus, also die Ablehnung und Abwertung des Islam und | |
| von Muslim*innen. Betroffen davon sind Personen, die aufgrund ihres | |
| Aussehens, Namens oder anderer Merkmale für Muslim*innen gehalten | |
| werden. | |
| ## Ein gesamtgesellschaftliches Problem, das auch in Berlin wirkt | |
| Wie tief verankert dieser Rassismus in der deutschen Gesellschaft ist, das | |
| hat [2][eine Studie im Auftrag des Bundesinnenministeriums erst in der | |
| vergangenen Woche aufgezeigt]. Etwa jede*r Zweite teilt muslimfeindliche | |
| Vorurteile. Wie sich dieser Rassismus im Berliner Alltag zeigt und wie er | |
| sich für Betroffene anfühlt, soll der Spaziergang sichtbar machen, den | |
| Hassoun gemeinsam mit Caro Wenzel vom Berliner Register | |
| Charlottenburg-Wilmersdorf veranstaltet. | |
| Daten dazu liefert der [3][aktuelle Jahresbericht zu antimuslimischem | |
| Rassismus in Berlin 2022] von Redar und den [4][Berliner Registern], der am | |
| Samstag veröffentlicht wurde. Daraus geht hervor, dass die erfassten | |
| Vorfälle zu antimuslimischem Rassismus in den vergangenen beiden Jahren | |
| leicht zurückgegangen sind. Wurden im Jahr 2020 noch 290 Vorfälle gemeldet, | |
| so waren es 2021 noch 174 und im zurückliegenden Jahr 125. Auf Bezirksebene | |
| wurden die meisten muslimfeindlichen Vorfälle in Mitte (48) in Lichtenberg | |
| (21) und in Friedrichshain-Kreuzberg (11) gemeldet. | |
| Die rückläufigen Zahlen muslimfeindlichen Rassismus sind allerdings kein | |
| Anlass zum Aufatmen. Auch weil die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher | |
| liegen dürfte. „Der Rassismus ist für viele Menschen so alltäglich, dass | |
| sie ihn einfach ignorieren“, sagt Hassoun. Viele Menschen, zu denen sie | |
| Kontakt hat, seien skeptisch, ob das Melden irgendetwas bringt. „Sie | |
| denken, dass sie im Zweifel sowieso kein Recht bekommen und am Ende noch | |
| mehr Kopfschmerzen haben, wenn sie es melden.“ | |
| Und noch aus einem anderen Grund sei anzunehmen, dass die Anzahl nicht | |
| erfasster Fälle in den vergangenen beiden Jahren weit höher liegt. Ein | |
| Kooperationsverein der Berliner Register habe seit 2021 keine Fälle mehr | |
| gemeldet, heißt es im Bericht. Das neue Dokumentationsprojekt Redar müsse | |
| sich nun erst in den verschiedenen muslimischen Communities bekanntmachen | |
| und Vertrauen aufbauen, um von den Betroffenen als Anlaufstelle im | |
| Diskriminierungsfall genutzt zu werden. Die Zahlen könnten also in den | |
| Folgejahren wieder steigen. | |
| ## Rechtsextremist*innen hetzen aktuell gegen anderen Feindbilder | |
| Und der Bericht liefert noch eine weitere Erklärung für den Rückgang | |
| erfasster Vorfälle antimuslimischen Rassismus. Die extreme Rechte habe in | |
| den vergangenen Jahren ihren Fokus verschoben. Bis 2018 mobilisierten | |
| Rechtsextremist*innen in Berlin noch regelmäßig zu | |
| [5][muslimfeindlichen Bärgida-Demonstrationen]. Insgesamt fanden in jenem | |
| Jahr 60 muslimfeindliche Veranstaltungen statt. 2022 waren es nur drei. | |
| Insgesamt sei die Zahl rechtsextremer Veranstaltungen jedoch nicht | |
| gesunken, nur die Motive haben sich laut Bericht verändert: „Die | |
| Veranstaltungen sind häufig verschwörungsideologisch ausgerichtet. Sie | |
| richten sich gegen geflüchtete Menschen im Allgemeinen und gegen Jüd*innen. | |
| Politiker*innen, Wissenschaftler*innen und Pressevertreter*innen | |
| werden zu neuen Feindbildern aufgebaut.“ Auch die im Bericht enthaltenen | |
| Vergleichszahlen mit erfassten Vorfällen von Antisemitismus oder | |
| LGBTIQ*-Feindlichkeit belegen das. | |
| Wie die vom Bundesinnenministerium veranlasste Studie der Vorwoche | |
| aufzeigt, ist der Boden für antimuslimischen Rassismus deshalb nicht | |
| weniger fruchtbar. Für Hassoun ist klar: „Wir müssen Muslimfeindlichkeit | |
| weiter sichtbar machen.“ | |
| 4 Jul 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://redar.berlin/ | |
| [2] /Bericht-zu-Muslimfeindlichkeit/!5944069 | |
| [3] https://www.berliner-register.de/documents/1538/AMR_2022.pdf | |
| [4] https://www.berliner-register.de/ | |
| [5] /Baergida-und-Wir-fuer-Deutschland/!5504505 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Bachmann | |
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