# taz.de -- Oper „Nixon in China“ in Hannover: Trottel wie wir | |
> Die Staatsoper Hannover inszeniert John Adams’ „Nixon in China“. Das | |
> Geschichtsbücherseiten füllende Personal kommt dabei ziemlich schlecht | |
> weg. | |
Bild: Händeschütteln für die Medien: Szene aus „Nixon in China“, die Pek… | |
Man könnte von den ersten Malen sprechen: „Nixon in China“, erstmals | |
aufgeführt 1987, war die erste Oper eines heute weltbekannten Komponisten – | |
noch dazu eines bekennenden Verschmähers, ja: Hassers der Gattung, das | |
[1][erzählt John Adams zumindest manchmal]; heute freilich stellen seine | |
Stücke einen beträchtlichen Anteil an den überhaupt in den USA aufgeführten | |
Opern. Innerhalb seines Werkkorpus war es notwendigerweise auch das erste | |
Mal, dass er einen aus den Nachrichten bekannten Stoff verarbeitete. Folgen | |
sollte etwa 1991 [2][„The Death of Klinghoffer“] über einen antisemitischen | |
Terrorakt. | |
Es war die Interpreten zufolge erste Oper, geschrieben [3][„für ein | |
Publikum, das im Fernsehzeitalter aufwuchs“]. Anderen Stimmen nach war | |
„Nixon …“ [4][das erste Musiktheaterstück, das von noch lebenden, realen | |
Personen handelte], im Unterschied zu toten Monarchen oder gleich | |
göttlichem Personal. Und auch die Inspiration stiftende Handlung war ja ein | |
gern als „historisch“ bezeichnetes erstes Mal gewesen: der Staatsbesuch des | |
konservativen US-Präsidenten Richard Nixon in der Volksrepublik China im | |
Jahr 1972. Von einem Moment so einzigartig „wie die Mondlandung“ soll Nixon | |
selbst gesprochen haben. Außenpolitische Erfolgsbilder brauchte der Mann da | |
aber auch dringend. | |
Erklären solche Hinweise die Popularität des nicht arg erfolgreich | |
gestarteten Stücks? Die Inszenierung in Hannover ist allein in Deutschland | |
nur eine von mehreren in diesem Jahr: Es gab eine [5][in Dortmund], in | |
Koblenz wurde das Stück gar [6][in einer Mehrzweckarena] aufgeführt; Anfang | |
2024 steht es [7][in Stuttgart] wieder auf dem Spielplan, in rund einem | |
Jahr [8][in Berlin]. Auch in Paris und Madrid kam es im Frühjahr auf die | |
Bühnen. | |
Adams, Jahrgang 1947 und allgemein unter die großen Vier der Minimal Music | |
gezählt, spricht von einer „heroischen Oper“ – was sich aber nicht erst … | |
trügerisch herausstellt, wenn man ihn mal darüber reden hört, dass der | |
echte Nixon Leute wie ihn ja nach Vietnam schicken wollte. Nein, es ist | |
einfach wenig Heldenhaftes zu sehen auf der Bühne: Die großen, | |
Geschichtsbücherseiten füllenden Figuren – Nixon (Mark Stone), Mao (Daniel | |
Norman), [9][Kissinger] (Michael Kupfer-Radecky) – kommen als ziemliche | |
Trottel daher. | |
Das Heroische tritt hier vor allem als Fassade auf, den Gesetzmäßigkeiten | |
des (noch geradezu unschuldig wirkenden) Zeitalters der elektronischen | |
Massenmedien folgend: „Just now, the world was listening“, das ist eine von | |
Nixons ersten Zeilen, noch bei der Ankunft in Peking. | |
„Die Inszenierung hat wenig zu tun mit der Realität des Staatsbesuchs | |
1972“, lässt nun Regisseur Daniel Kramer [10][im Programmheft] wissen. | |
„Mein Interesse als Regisseur ist es, den heutigen Kontext, die Bezüge zu | |
unserer heutigen Realität zu suchen.“ | |
Erst mal setzen Bühne (Lizzie Clachan) und Kostüm (Esther Bialas) aber sehr | |
wohl darauf, alte Bilder in Erinnerung zu rufen – denn das ist ja auch so | |
ein Effekt von Stoff und Alter des Stücks: Es können im Publikum noch | |
Menschen sitzen, die all das demonstrative Händeschütteln damals gesehen | |
haben. Das giftige Grün, das das Produktionsdesign dominiert, verweist just | |
auf 1972: Da wurde der Farbton festgelegt, der bis heute für den | |
Greenscreen genutzt wird – eine Möglichkeit, ganze Weltreisen im TV-Studio | |
zu behaupten. | |
Ein Weg aus der sachte drohenden Retrofalle? Ausdrücklich anzuspielen aufs | |
heutige, immer noch komplizierte Verhältnis zwischen Washington und Peking | |
(und, im Hintergrund, auch Russland beziehungsweise der Sowjetunion). Zumal | |
bei einem respektlos bis clownesk angelegten US-Präsidenten als Hauptfigur | |
muss post 2016 die Versuchung groß sein, irgendwas mit Trump reinzurühren. | |
Beides geschieht nicht – zum Glück. | |
Am Ende ist das Stück (Libretto: Alice Goodman) keine politische Analyse, | |
auch wenn wir danach nie wieder solche Erörterungen über den wahren | |
Marxismus oder das Links-Rechts-Schema vorgesungen bekommen haben dürften. | |
So wie Adams’ Musik [11][die reine Minimalismus-Lehre] aufweicht in mehrere | |
Richtungen – neben beinahe wagnereskem Dröhnen auch zum Jazz etwa –, so | |
gerät die Weltpolitik zunehmend zum Klamauk, grundiert von ganz privater | |
Befindlichkeit. | |
Kommt man historisch belehrt aus diesen ereignisreichen, auch lauten, | |
überzeugenden knapp drei Stunden? Hat man etwas gelernt übers Politische an | |
sich? Nur vielleicht – aber das ist kein Nachteil. | |
22 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=2YvXt3tlFPo | |
[2] /Archiv-Suche/!277979/ | |
[3] https://www.musicwithease.com/adams-nixon-in-china.html | |
[4] http://files.coc.ca/studyguides/cocnixoninchinastudyguide10-11.pdf | |
[5] https://www.nmz.de/online/politik-braucht-die-grosse-buehne-nixon-in-china-… | |
[6] https://www.nmz.de/online/auch-in-koblenz-ueberzeugt-nixon-in-china-am-unge… | |
[7] https://www.staatsoper-stuttgart.de/spielplan/a-z/nixon-in-china/ | |
[8] https://deutscheoperberlin.de/de_DE/calendar/nixon-in-china.17580481 | |
[9] /Archiv-Suche/!269914 | |
[10] https://doc.culturebase.org/dox/3/b/7/3/2/3b732aba1d4cad8dc619e123a3c065c9… | |
[11] /Minimal-Music/!t5630064 | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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