| # taz.de -- Bremer Oppenheimer-Oper „Doctor Atomic“: Der ganz große Countd… | |
| > Zwei Tage, die die Welt veränderten: John Adams' Oper „Doctor Atomic“ | |
| > überzeugt mit starken visuellen Ideen und einem umwerfenden | |
| > Hauptdarsteller. | |
| Bild: Stemmt den Abend hindurch große Brocken: Michal Partyka als J Robert Opp… | |
| Gäbe es nicht diesen einflussreichen Plastikspielzeugkonzern und seine | |
| blonde Anziehpuppe, der Mann wäre DAS ausgezehrte Gesicht des sommerlichen | |
| Kulturgeschehens im Jahr 2023: [1][J Robert Oppenheimer] (1904–1967), | |
| brillanter Physiker und Quasi-Vater der Atombombe; mithin Retter des freien | |
| Westens oder der Entfacher eines nie wieder einzuhegenden, die ganze | |
| Menschheit bedrohenden Feuers, je nach Sichtweise. Später in Ungnade | |
| gefallen, weil ihm die atomare Aufrüstung Sorge bereitete, noch später | |
| wieder rehabilitiert, aber auch nie so ganz. Und dann las so einer seiner | |
| Frau auch noch französische Erotika vor (und zur Entspannung heilige | |
| hinduistische Texte im Original-Sanskrit)? | |
| Ohne Zweifel ist so einer also eine interessante, eine dankbar ambivalente | |
| Figur – und so wäre [2][Christopher Nolans | |
| Drei-Stunden-“Oppenheimer“-Biografie] wohl auch DAS Filmthema dieser Saison | |
| geworden. Gäbe es nicht, eben, diesen gleichzeitig in die Kinos gebrachten, | |
| offenbar alles überstrahlenden „Barbie“-Film. | |
| Haben also Bremens Opernverantwortliche besonderes Gespür bewiesen, als sie | |
| beschlossen: Zum Saisonauftakt spielen wir John Adams’ Oppenheimer-Oper | |
| „Doctor Atomic“? Wie zur Sicherheit und halb im Scherz adressierte | |
| Dramaturgin Frederike Krüger es am Premierenabend im einführenden Gespräch | |
| mit Regisseur Frank Hilbrich: Die Entscheidung für dieses Stück sei | |
| keinesfalls dem enorm teuren Spielfilm geschuldet – wenn dann doch bitte | |
| schön anders herum; Nolan müsse die Bremer Pläne gekannt haben. | |
| Freilich: Er ist kein selten gespieltes Stück, der 2005 uraufgeführte | |
| „Doctor Atomic“, wenn auch nicht jede Inszenierung den – nicht zuletzt | |
| visuellen – Ideenreichtum der Bremer Befassung erreicht haben wird. Auf | |
| eine nicht dem Kinoprogramm geschuldete Konjunktur, einen anderen Quell | |
| fürs wiedererwachte Interesse am prometheischen Hut- und Ledermantelträger | |
| Oppenheimer wies nun Regisseur Hilbrich hin: Experten zufolge sei das | |
| Risiko eines alles gefährdenden Atomkriegs derzeit größer als zu Zeiten des | |
| sogenannten Kalten Krieges. Eine Gelegenheit also für das mitunter so | |
| leichtfertig als esoterische Milieubespaßung verunglimpfte Musiktheater, | |
| Relevanz zu beweisen? | |
| Als dritter Teil einer ausdrücklich reale politische Stoffe angehenden | |
| Trilogie ist „Doctor Atomic“ einsortiert worden, nach Adams’ [3][„Nixon… | |
| China“] (1987) und [4][„The Death of Klinghoffer“] (1991). Bestellt worden | |
| war eine Art amerikanischer Faust: Oppenheimer als einer, der dem | |
| Willen-zum-Wissen die eigene Moral, ja: Seele opfert (von [5][ein paar | |
| Hunderttausend japanischen Leben] ganz abgesehen)? Eher nein, hat der | |
| Komponist selbst gesagt, ironischerweise, weil ihm der so weit | |
| zurückreichende Mythos als zu wenig „amerikanisch“ erschien. Ironisch ist | |
| daran, dass Oppenheimer in der Realität des mittleren 20. Jahrhunderts ja | |
| der Vorwurf des „Unamerikanischen“ gemacht wurde; in vulgo: er sei | |
| Kommunist und, gelinde gesagt, unzuverlässig. | |
| Adams und Librettist Peter Sellars haben nicht versucht, Oppenheimers | |
| ganzes, von seinem Ende her dann leicht als ambivalent zu beleuchtendes | |
| Leben zu erzählen – zum Glück! Der Text ist aus Authentischem montiert: | |
| Korrespondenz, Memoiren, einstmals populäre Sachbücher; andererseits | |
| bekommen poetische und religiöse Texte viel Raum, die den Physiker | |
| nachweislich beeinflussten: Baudelaiere, die Bhagavad Gita, die mit dem | |
| realen Oppenheimer befreundete Muriel Rukeyser und der metaphysische | |
| Dichter John Donne (1572–1631). | |
| Wie der umwerfende Michał Partyka als Oppenheimer am Ende von Akt 1 Donnes | |
| „Batter My Heart“ zitiert, Ausdruck gepeinigten Glaubens und der Sehnsucht | |
| nach, ja: auch zerstörerischer Erlösung – das stiftet den Höhepunkt dieses | |
| rund dreistündigen Abends, mehr noch als der Moment der Atombombenzündung | |
| selbst. Nach schier endlos wirkenden Minuten findet der große Knall nur | |
| noch im Off statt: Das Undarstellbare darzustellen kann ja dieser Nolan im | |
| Kino versuchen. | |
| Konzentrieren schon Adams/Sellars den technologischen Sündenfall auf zwei | |
| entscheidende Tage im Jahr 1945, fokussiert die Bremer Inszenierung das | |
| noch weiter: Wie in Zeitlupe bewegen sich da die Figuren, werden | |
| entscheidende Momente, Momente der Entscheidung ausgedehnt, als sollten sie | |
| sich umso besser studieren lassen. Um große Politik geht es im Stück, klar; | |
| aber Hilbrich, Volker Thiele (Bühne), Gabriele Rupprecht (Kostüm) und | |
| Christian Kemmetmüller (Licht) ermöglichen den überzeugenden Darstellenden | |
| auch hart am Rande des Wahrnehmbares Minenspiel; man beachte unbedingt den | |
| vermeintlich so stoischen Hidenori Inoue als Edward Teller: Der echte | |
| Teller verriet, lange nach dem Bombentest, Oppenheimer bei den | |
| Kommunistenjägern. | |
| Bestens passt zu all dem Dehnen, Ausbreiten, der langgedehnten | |
| Spannungsbögen Adams’ Musik: Erkennbar geschult am erst mal überschaubaren | |
| Vokabular des Minimalismus, aber alles andere als dort stehenbleibend; das | |
| Bremer Orchester unter Stefan Klingele, irgendwann dann auch sichtbar im | |
| Bühnenhintergrund, macht daraus eine ganze Menge. | |
| 22 Sep 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alexander Diehl | |
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