# taz.de -- Inklusiver Journalismus: Divers diskutiert | |
> Auf der Netzwerk-Recherche-Jahreskonferenz geht es darum, wie | |
> Journalismus noch besser werden kann. Dieses Jahr lautet die Antwort: mit | |
> Diversität. | |
Bild: Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche in Hamburg | |
HAMBURG taz | „Zeigen, was geht – Recherchen verändern“ ist das Motto der | |
Jahreskonferenz des Vereins [1][Netzwerk Recherche] (NR). Dafür braucht es | |
fähigen Nachwuchs und vielfältige Perspektiven in der Berichterstattung. | |
Deswegen standen in Hamburg am vergangenen Wochenende neben [2][Klima- und | |
Lokaljournalismus] die Themen Diversität und Einstiegsmöglichkeiten im | |
Fokus. Denn Lokalzeitungen sind besorgt über den fehlenden Nachwuchs. Teils | |
können sie offene Stellen nicht besetzen. Und gleichzeitig wird vielen | |
Menschen der Jobeinstieg erschwert. Wie passt das zusammen? Und wie lässt | |
sich das ändern? | |
Bereits 2018 appellierte der Deutsche Journalistenverband an | |
Medienunternehmen, „bei der Auswahl ihrer Beschäftigten [3][die | |
gesellschaftliche Vielfalt abzubilden] – etwa in Bezug auf Alter, | |
Geschlecht, Ethnizität, soziale Herkunft, sexuelle Orientierung sowie | |
physische und psychische Verfassung“. Zwei Drittel der Chefredaktionen, die | |
an einer Befragung der Neuen Deutschen Medienmacher*innen (NdM) von | |
2020 teilnahmen, unterstützen das. | |
Dass in den letzten Jahren beispielsweise viele wirkmächtige | |
#MeToo-Recherchen erscheinen konnten, ist auch dem immer höheren | |
Frauenanteil in Redaktionen zu verdanken. Wie nah oder fern Redaktionen | |
aber wirklich einem adäquaten Abbild der Gesellschaft sind, dafür fehlen | |
die Daten. Viele Medienhäuser wollen sie nicht erheben, um Mitarbeitende | |
nicht zu diskriminieren. Dadurch bliebe, kritisieren die NdM, strukturelle | |
Diskriminierung unsichtbar. | |
## Perspektiven gehen verloren | |
Doch einige Vorträge auf der NR-Konferenz kamen dem Thema näher. Sie | |
beschäftigten sich insbesondere mit der Frage: Wie inklusiv ist | |
Journalismus? Darüber, „wie wir fehlende Perspektiven in die Medien | |
bringen“, sprachen Redakteur*innen des inklusiven österreichischen | |
Online-Magazins andererseits. Im Magazin arbeiten 20 Journalist*innen. | |
Ihre Positionen werden dort hör- und sichtbar – und das nicht nur zu den | |
Themen Behinderung und Barrierefreiheit. | |
„Für mich bedeutet Inklusion im Journalismus, dass Menschen mit und ohne | |
Beeinträchtigung zusammen arbeiten, zusammen recherchieren und schreiben“, | |
sagt Nikolai Prodöhl auf der Konferenz. Er ist Redakteur bei andererseits, | |
hat selbst eine Behinderung und arbeitet seit 15 Jahren in einer Werkstatt | |
für Menschen mit Behinderung. Nach Praktika in Redaktionen habe er gemerkt, | |
dass dort immer alles „zack-zack“ gehen müsse und für ihn deswegen kein | |
Platz sei. | |
Man habe ihm gesagt, dass er keine Chance habe, im Journalismus Fuß zu | |
fassen. Das Problem sind die Redaktionen selbst. Es mangelt an inklusiven | |
Strukturen. Prodöhl bräuchte eine Assistenz und mehr Zeit, doch beides | |
wurde ihm erst bei andererseits ermöglicht. Laut statistischem Bundesamt | |
lebten Ende 2021 rund 7,8 Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung | |
in Deutschland, etwas mehr als 9 Prozent der Bevölkerung. Wenn diese | |
Menschen in den Medienhäusern fehlen, „gehen Perspektiven verloren“, sagt | |
andererseits-Redaktionsleiterin Lisa Kreutzer. | |
Nicht nur wer Journalismus macht, war NR wichtig, sondern auch: Für wen | |
machen wir ihn? Wie zugänglich muss die Sprache sein, mit der | |
journalistische Inhalte vermittelt werden? Denn sowohl Ältere und Menschen, | |
die noch Deutsch lernen, wie auch Menschen mit Behinderung können auf | |
einfachere Sprache angewiesen sein. Also auf kurze Sätze und den Verzicht | |
auf Fach- und Fremdwörter oder Zahlen. Es bräuchte, so die Überlegung in | |
der Diskussion, Alternativversionen von Texten oder zumindest | |
zusammenfassende Absätze in Leichter Sprache. | |
## Perspektiven abbilden und diverser einstellen | |
Hinzu kommt, dass auch Journalist*innen mit Migrationserfahrung wegen | |
ihrer Sprachkenntnisse oder [4][ihres Akzents] trotz Fachkenntnissen vor | |
Problemen stehen: Oft können sie schwer in deutschen Redaktionen Fuß | |
fassen. Damit beschäftigte sich bei der NR-Jahreskonfernez das Panel „Vom | |
‚Einzelfall‘ zum Standardprogramm – Wie deutsche Redaktionen vielfältiger | |
werden können“. | |
Diskutiert wurde darüber, dass es nicht ausreiche, Menschen mit | |
Migrationshintergrund einzustellen, die seit ihrer Kindheit oder Geburt in | |
Deutschland leben und dementsprechend einwandfrei Deutsch sprächen. | |
Vielfalt bedeute auch, Perspektiven von all jenen abzubilden, deren | |
Erstsprache nicht Deutsch ist. | |
Arezao Naiby, eine der Redner*innen, volontierte beim WDR und arbeitet | |
dort mittlerweile als Redakteurin. Naiby arbeitete in Afghanistan als | |
Journalistin und kam erst vor wenigen Jahren nach Deutschland. Nach ihrer | |
Ankunft habe sie zunächst nicht daran geglaubt, weiter als Journalistin | |
arbeiten zu können, sagt sie. [5][Es fehle an Positivbeispielen] dafür, | |
dass es möglich sei. Naiby ist nun Vorbild und Einzelfall zugleich. Um | |
Journalist*innen wie sie zu fördern, so der Tenor des Panels, müssten | |
Medienhäuser mehr Geld und Zeit aufwenden. | |
19 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Medienkodex-des-Netzwerk-Recherche/!5938777 | |
[2] /Sendezeit-fuers-Klima/!5914530 | |
[3] /Mangelnde-Diversitaet-in-deutschen-Medien/!5913880 | |
[4] /Mangelnde-Diversitaet-in-deutschen-Medien/!5913880 | |
[5] /Studie-zu-Diversitaet-im-Journalismus/!5684506 | |
## AUTOREN | |
Adefunmi Olanigan | |
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