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# taz.de -- Grüne Politiker über Wandel der Stadt: „Das knirscht ordentlich…
> Uwe Schneidewind schrieb ein Buch darüber, wie Transformation
> funktioniert. Seit 2020 ist der Grüne Oberbürgermeister von Wuppertal.
> Wie läuft's?
Bild: Die Schwebebahn soll bleiben, von den Autos darunter darf es ruhig wenige…
wochentaz: Sie sind gewählt worden, um Wuppertal auf den Weg zur
Klimaneutralität zu bringen. Mittlerweile haben Sie die zweite
Fahrradstraße der Stadt eröffnet, nach zwei Jahren Amtszeit. Geraten Sie
langsam in Stress?
Uwe Schneidewind: Ich bin heute da, wo ich gern schon nach einem Jahr
gewesen wäre. Das lag nicht zuletzt an der Pandemie, andere Dinge hatten
Priorität. Ihr Beispiel zeigt aber den Takt, in dem in Wuppertal
traditionell Mobilitätswende stattfindet. Da ist seit Jahrzehnten nichts
passiert, und deshalb waren gerade diese ersten Schritte extrem schwer. Im
letzten Jahr haben wir 85 Meter, sehr zentral in der Innenstadt, autofrei
bekommen – die waren schon vor über zwanzig Jahren als Fußgängerzone
angelegt. Die nächsten fünf [1][Fahrradstraßen] sind übrigens in Planung.
Wir hatten eine lange Trägheitsphase, jetzt kommt da Dynamik rein.
Warum ist Veränderung so schwer?
Es geht um Gewohnheiten, die wir aufbrechen müssen. Wuppertal ist
traditionell [2][eine Autostadt], alle sind auf diese Art der Fortbewegung
eingerichtet. Veränderungen in der Mobilität gehen tief in die individuelle
Lebensweise hinein. Man muss immer erst einmal durch eine Shitstormphase
durch. Danach sind dann meist alle begeistert.
Wir müssen so viele Wenden hinlegen, im Verkehrssektor, im Energiebereich
– und das sind längst nicht alle. Ist Verwaltung innovationsfähig?
Öffentliche Verwaltung ist nach Zuständigkeiten organisiert und dafür
gemacht, die Stabilität zu organisieren, die ein Gemeinwesen braucht. Jetzt
brauchen und wollen wir aber schnelle und umfassende Veränderungen. Die
Verwaltung muss also in Bewegung kommen – und das knirscht ordentlich.
Nehmen wir mal das Beispiel [3][Energiewende]. Das ist der Denkmalschutz
eine riesige Hürde für den Ausbau von Solarkraft.
An welchen Stellen raufen Sie sich so richtig die Haare?
Regelmäßig verzweifelt bin ich in den vergangenen zwei Jahren am
öffentlichen Vergaberecht, jeder öffentliche Bauauftrag muss ausgeschrieben
werden. Das ist wahnsinnig kompliziert. Schon kleine Detailfehler können es
unmöglich machen, einen Auftrag zu vergeben. Das war mal gut gedacht, man
wollte Korruption verhindern, aber daraus ist ein Popanz geworden, der
vieles blockiert.
Machen Sie das mal konkret.
Wir hängen unendlich hinterher mit [4][Photovoltaik] auf öffentlichen
Dächern. Die Nachfrage ist hoch, und das komplizierte Vergaberecht führt
oft dazu, dass die richtig guten Anbieter sich das gar nicht mehr antun,
für die Kommune zu arbeiten. Wir müssen Aufträge oft neu ausschreiben,
zudem ist jede Begegnung mit einem Auftragnehmer prinzipiell einmalig. Und
das lockt Leute an aus allen Teilen der Republik, die sich denken: Hey,
Wuppertal weiß noch gar nicht, wie schlecht ich arbeite – mache ich denen
doch mal ein Angebot. Danach bin ich ja wieder weg.
Das klingt, als seien Ihnen die Hände gebunden – und das als
Oberbürgermeister einer 360.000-Einwohner-Stadt?
Zum großen Teil: ja. Ich kann keine Gesetze ändern, die Spielräume sind
klein. Meine Freiheit und meine Chance liegt darin, sie klug zu nutzen.
Eine öffentliche Debatte zu schaffen, die Veränderung wirklich will. Und
meine Verwaltungsmitarbeiter dazu zu ermutigen, jenseits von traditionellen
Zuständigkeiten zu denken – und ein Klima zu befördern, in dem sie sich das
auch trauen.
Was brauchen Kommunen, damit sie den Solarausbau stemmen können?
Ganz klar: Wir brauchen in bestimmten Bereichen mehr Mut zu
Experimentierklauseln!
Das heißt?
Zum Beispiel beim Thema Denkmalschutz und Solarausbau. Da bräuchten wir das
Grundprinzip: Bei allem, was reversibel ist, lassen wir den Kommunen
Autonomie. Da würde kein Schaden entstehen. Jemand, der eine
denkmalgeschützte Immobilie hat, achtet selbst darauf, dass das Haus auch
mit Solaranlage drauf noch schön anzuschauen ist. Und sollte es wirklich
schlimm aussehen, kann man sie auch einfach wieder runternehmen, und das
Haus sieht aus wie vorher. Da müssen wir viel pragmatischer rangehen.
Wie sieht in Wuppertal, der Stadt der berühmten Schwebebahn, zukunftsfähige
Mobilität aus?
Wir haben hier eine Tallage, ähnlich wie in Stuttgart. Der Nahverkehr
funktioniert so, dass man von den Hängen runter ins Tal fährt und dann mit
der Schwebebahn Strecke macht. Sie verbindet entlang der Wupper vier
Regionalbahnhöfe und transportiert 60.000 Menschen jeden Tag. ÖPNV-Wende in
Wuppertal heißt: Wir müssen die Taktfrequenzen erheblich erhöhen, die
Busflotte auf [5][Wasserstoff] und E-Busse umstellen und die
On-Demand-Komponente ausbauen. Das bedeutet: Man meldet über eine App
Bedarf an, dann kommt ein Sammeltaxi. Gerade in peripheren Bereichen ist
das viel wirtschaftlicher, als Busse zu betreiben. Später soll gerade in
diesen Bereichen das Ganze auch autonom fahren.
Wird das 49-Euro-Ticket der ÖPNV-Wende Aufwind aufgeben?
Was die Nutzung angeht: sicherlich. Finanziell ist das aber eine
aberwitzige Herausforderung. Die Stadt hat vorher schon 60 Millionen
Verlust im Jahr gemacht, um den Nahverkehr zu finanzieren. Jetzt geht uns
noch mehr Geld verloren: Ich persönlich habe für mein Monatsticket bislang
80 Euro im Monat bezahlt, jetzt sind es [6][nur noch 49]. Und das, obwohl
ich durchaus bereit wäre, mehr zu zahlen. Da fällt jetzt einiges weg, und
die Kompensationsmittel vom Bund sind nur auf zwei Jahre angelegt. Um auf
das Niveau zu kommen, das wir für eine echte Wende brauchen, hätten wir
Mehrkosten von rund 50 Millionen Euro im Jahr.
Sie haben für ein „Solidarisches Bürgerticket“ geworben und sich auch dam…
einen Shitstorm eingehandelt.
Übersetzt auf die heutigen Bedingungen war die Idee: Alle Wuppertaler
Bürger werden verpflichtet sich ein 49 Euro-Ticket zu kaufen, egal ob man
fährt oder nicht – und darüber kriege ich dann eine Grundabsicherung für
die ganze Stadt. Das gab natürlich einen Aufschrei, nach dem Motto: „Wie,
soll ich jetzt hier zwangsenteignet werden?“ In Frankreich ist man da einen
anderen Weg gegangen: Dort beteiligen sich die Arbeitgeber an den Kosten
für den öffentlichen Nahverkehr, über die Lohnnebenkosten. Die
Argumentation liegt auf der Hand: Guter ÖPNV nutzt auch jedem Arbeitgeber,
weil die Mitarbeiter:innen gut zur Arbeit kommen. So haben die
Franzosen richtig viel Geld in den öffentlichen Nahverkehr gespült.
Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten: Was würden Sie anders machen?
Ich würde Vertrauen aufbauen, vom ersten Tag an. Mich hinstellen und mein
Gesicht zeigen. Ich bin mit einem modernen Führungsverständnis ins Amt
gekommen, und dazu gehört, dass ich mich nicht selbst nach vorne dränge,
sondern mein Team so unterstütze, dass alles möglichst gut läuft. Der
Beginn meiner Amtszeit fiel aber in die Coronazeit. Ich hatte einen super
Krisenmanager in der Verwaltung, ihn habe ich seine Sache machen lassen.
Leider hat das dazu geführt, dass ich selbst selten zu sehen war, denn es
gab während der Pandemiezeit kaum öffentliche Anlässe. Die Lokalzeitung
titelte: „Wo ist Uwe?“ – so was stärkt natürlich die politischen
Gegenkräfte.
Ihre Stadt ist mit fast 1 Milliarde Euro verschuldet. Was lässt Sie
hoffen, dass Wuppertal das alles hinkriegt?
Das Interessante hier ist: Wenn wir es hier schaffen, dann gibt es für
andere Städte wirklich keinen Grund mehr, warum es nicht gehen sollte.
20 Jun 2023
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## AUTOREN
Dunja Batarilo
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