| # taz.de -- 175 Jahre Marine und Thyssenkrupp: U-Boote für die Welt | |
| > Der Rüstungskonzern Thyssenkrupp hat Grund zu feiern, die Auftragsbücher | |
| > sind voll. Trotzdem will man die Marinesparte loswerden. | |
| Bild: Thyssenkrupp Marine Systems ist eine Profiteurin des Sondervermögens | |
| Hamburg taz | Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erhielt bei seinem Besuch der | |
| Marine kürzlich eine volle Breitseite verpasst: Mit dem Hubschrauber | |
| landete er auf der Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“, und per Minenjagdboot | |
| raste er über die Ostsee. Zusammen mit zwanzig Journalisten erfuhr der | |
| Kanzler nebenbei Neues über Luftverteidigung und U-Boot-Abwehr. | |
| [1][Zeitenwende und Sondervermögen] haben für Scholz eine klar maritime | |
| Dimension: Er wolle alles dafür tun, nicht nur die Bundeswehr, sondern auch | |
| die Marine speziell gut auszustatten. | |
| „Wir haben dazu die Voraussetzungen geschaffen“, lobte sich Scholz, „indem | |
| wir das Sondervermögen etabliert haben.“ Für die Deutsche Marine sind darin | |
| 19,3 Milliarden Euro eingeplant. Das Geld soll unter anderem in weitere | |
| Korvetten und Fregatten fließen. Für das zukünftige Flaggschiff, das | |
| modulare Mehrzweckkampfschiff F126, sind darüber hinaus allein rund 5,27 | |
| Milliarden Euro für vier Einheiten veranschlagt – was das Projekt zum | |
| größten Schiffsbauprojekt in der Geschichte der Bundeswehr macht. Die | |
| Marine soll außerdem mehrere U-Boote erhalten. Unterm Strich wird die | |
| Flotte verdoppelt werden. | |
| Doppelten Grund zur Freude gibt es für Marineoberbefehlshaber Jan Christian | |
| Kaack und seine Truppe ohnehin. Sie begeht am heutigen Mittwoch 175 Jahre | |
| deutsche Marine: Am 14. Juni 1848 schuf die Frankfurter Nationalversammlung | |
| die erste Flotte. Die Marine feiert das Jubiläum, so ein Sprecher, „ganz | |
| groß“ in Wilhelmshaven, einem der größten Marinestützpunkte Westeuropas. | |
| Die Korken dürfen aber auch bei Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) knallen, | |
| neben de[2][r familiengeführten Lürssen Werftgruppe, Hauptprofiteur] von | |
| Scholz’ Flottenprogramm. Die Auftragsbücher sind voll. Ende Mai übergab | |
| TKMS beispielsweise eine Fregatte an Ägypten. Es ist die zweite in einer | |
| Serie von vier Kriegsschiffen. Vergangene Woche unterzeichnete der Konzern | |
| in Mumbai im Beisein von Verteidigungsminister Boris Pistorius eine | |
| Absichtserklärung zum Bau von U-Booten für und in Indien. Auftragswert: bis | |
| zu 7 Milliarden Euro. Auf seiner ausgedehnten Asienreise warb Pistorius | |
| zudem in Indonesien für einen „U-Boot-Deal“. | |
| ## Thyssenkrupp braucht Geld | |
| Trotz des wirtschaftlichen Erfolgs will die Konzernmutter Thyssenkrupp die | |
| Marinesparte verkaufen. Die deutsche Industrie-Ikone ist unter anderem | |
| durch Fehlinvestitionen in Brasilien und den Vereinigten Staaten in | |
| zweistelliger Milliardenhöhe in schwere See geraten. Der Stahl- und | |
| Industriekonzern will sich über den Verkauf von Konzernteilen wie der | |
| Wasserstoffsparte Nucera und der Marinetechnik stabilisieren. | |
| Neben den Werftstandorten unter anderem in Kiel, Hamburg, Emden und seit | |
| Kurzem Wismar geht es auch um das Geschäft von Atlas in Bremen, einem | |
| Spezialisten für Torpedos, „unbemannte Systeme“ und Elektronik in U-Booten. | |
| Konzernvorstandsmitglied Oliver Burkhard – früher IG-Metall-Chef in NRW – | |
| hatte im vergangenen Jahr die Führung der Marinesparte übernommen und | |
| Gespräche mit potenziellen Partnern und Investoren aufgenommen. Der schon | |
| länger angedachte Verkauf scheint nun vor dem Abschluss zu stehen. Laut | |
| Agenturberichten haben mehrere Finanzinvestoren ihr Interesse bekundet. | |
| Denkbar wäre auch eine Partnerschaft mit ausländischen Werften oder ein | |
| Börsengang. | |
| ## 7.500 Beschäftigte wollen Klarheit | |
| Dank Scholz’ Zeitenwende habe TKMS eine sehr gute Ausgangsposition, um in | |
| „der Selbstständigkeit“ erfolgreich sein zu können, sagt Firmensprecher | |
| Stefan Ettwig der taz. „Wir haben eine einzigartige Positionierung, | |
| einzigartige Produkte, gut gefüllte Auftragsbücher, eine stark wachsende | |
| Nachfrage und einen immer größer werdenden Markt – in Europa und in der | |
| ganzen Welt.“ | |
| Die IG Metall will über die Zukunft der Marinesparte und ihrer 7.500 | |
| Beschäftigten mitreden. „Eine Begleitkommission haben wir | |
| zusammengestellt“, sagt Heiko Messerschmidt, Branchenbetreuer für den | |
| Schiffbau, auf Anfrage. Dieser Kommission gehören auch die | |
| Betriebsratsvorsitzenden der Standorte [3][von TKMS] und Atlas an. Ende | |
| nächster Woche soll ein Treffen mit dem Thyssenkrupp-Vorstand Klarheit | |
| über den „weiteren Zeitplan“ bringen. | |
| Den Einstieg von Finanzinvestoren lehnt die Gewerkschaft nicht | |
| grundsätzlich ab. Es gebe durchaus positive Erfahrungen, etwa bei dem | |
| börsennotierten Rüstungselektronikkonzern Hensoldt (früher Airbus). Dort | |
| hatte der Bund eine halbe Milliarde Euro Anteile erworben, um | |
| mitzubestimmen. Auch in der Marinesparte sollten Bund und eventuell auch | |
| Thyssenkrupp als Ankeraktionäre im Boot bleiben, um langfristig | |
| Beschäftigung und Mitbestimmung zu sichern. Die IG Metall hat dank der | |
| Montanmitbestimmung, die paritätische Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer | |
| in Aufsichtsräten von Stahlunternehmen festlegt, besonders großen Einfluss | |
| bei Thyssenkrupp. Das weiß auch Olaf Scholz. | |
| 14 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hermannus Pfeiffer | |
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