| # taz.de -- Opposition in Belarus: Die größte Gefahr ist das Vergessen | |
| > Das Schweigen über die Opposition in Belarus gegen Lukaschenko ist | |
| > ohrenbetäubend. Dabei sitzen immer noch 1.498 Menschen im Knast. | |
| Bild: Regierungskritischer Protest in Minsk am 20.8.2020 | |
| Es ist noch nicht lange her, da interpretierten Kommentatoren die | |
| Gesichtsfarbe oder die Mullbinde am Handgelenk von Alexander Lukaschenko, | |
| dem belarussischen Machthaber, sehr genau. War der Diktator [1][krank? Im | |
| Krankenhaus?] Dem Tod nahe? Das mag auf manche albern gewirkt haben, aber | |
| für eine Gesellschaft, die von Lukaschenko tyrannisiert wird, ist die Frage | |
| nach seinem Gesundheitszustand zukunftsbestimmend. Lebt er, kann er | |
| weiterhin Menschen einsperren, sie ihrer Freiheit berauben. Stirbt er, | |
| dann, ja… was dann eigentlich? | |
| Leider ist dabei die Aufmerksamkeit für die Tyrannisierten etwas verloren | |
| gegangen. Wie geht es eigentlich der Opposition? | |
| Im August jähren sich die großen Proteste in Belarus gegen die manipulierte | |
| Präsidentschaftswahl zum dritten Mal. Eine Diktatur, die über Jahrzehnte | |
| mit ihrer Härte und Kälte auf die Entfremdung der Menschen voneinander, auf | |
| den Verlust von Menschlichkeit abgezielt hatte, musste im Sommer 2020 | |
| feststellen, dass diese Gesellschaft wieder zu sich gefunden hatte. Es | |
| entwickelte sich eine Bewegung, die auf Selbstorganisation und Solidarität | |
| setzte und die auf die Gewalt und Repressionen des Staates mit Witz und | |
| Ironie reagierte anstatt sich wegzuducken. Vor dieser Kraft, diesem Mut | |
| habe ich tiefsten Respekt. | |
| Das Regime ist seitdem hart gegen jegliche Oppositionelle vorgegangen und | |
| gegen normale Bürger:innen, die für ein freies Belarus auf die Straße | |
| gegangen sind. [2][Laut der Menschenrechtsorganisation Viasna sitzen | |
| derzeit 1.498 politische Gefangene] in den Gefängnissen von Belarus. 1.498 | |
| Menschen zu viel, denen eine Zukunft gestohlen wurde. | |
| ## Aus Angst | |
| Vielleicht fragt kaum noch jemand nach den Oppositionellen, weil sie selbst | |
| verstummt sind. Aus Angst: Fast niemand im Land will noch reden. Auch wer | |
| im Exil lebt, ist vorsichtig. Und wer sprechen möchte, gar aus dem | |
| Gefängnis heraus, wird ebenfalls davon abgehalten. Das lässt sich seit | |
| einigen Monaten beo-bachten. | |
| Seit über 1.000 Tagen sitzt Maria Kalesnikava unschuldig im Gefängnis. Sie | |
| war neben Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo Teil des Frauentrios, | |
| das Lukaschenko bei der Präsidentschaftswahl herausforderte. Als man sie | |
| aus dem Land schmeißen wollte, bereits an die Grenze gekarrt hatte, zerriss | |
| sie ihren Pass. So einfach wollte sie es dem Regime nicht machen, sie | |
| loszuwerden. Kalesnikava wurde zu elf Jahren Haft verurteilt. Um ihre | |
| Gesundheit steht es schlecht, sie überlebte knapp eine Not-OP. Immer wieder | |
| wird sie in Isolationshaft gesteckt, und nun fehlt seit knapp vier Monaten | |
| ein Lebenszeichen von ihr. | |
| Auch zu anderen prominenten Regimegegnern gibt es keinen Kontakt: Blogger | |
| und Journalist Ihar Losik, der zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde und dort | |
| versucht hatte, Suizid zu begehen. Viktor Babariko, der 2020 gegen | |
| Lukaschenko antreten wollte und zu 14 Jahren Haft verurteilt wurde. Er | |
| wurde kürzlich im Gefängnis verprügelt und ins Krankenhaus eingeliefert. | |
| Maxim Znak, Jurist und Anwalt von Babariko, bekam 10 Jahre Strafkolonie. | |
| Sergej Tichanowski, der Ehemann von Swetlana Tichanowskaja, sitzt seit drei | |
| Jahren in Isolationshaft. | |
| ## Abschottung | |
| Lukaschenko hat das Land kontinuierlich abgeschottet. Er will keine Zeugen, | |
| deshalb sperrt er die Menschen ein; er isoliert sie von ihren Familien, | |
| ihren Freundinnen und Freunden und der Welt. | |
| Diese Menschen erfahren in den Strafkolonien Folter. Ihre Isolation, dieses | |
| bewusste Sie-in-Vergessenheit-geraten-Lassen, ist eine brutale Form der | |
| Auslöschung dieser Menschen, und eben auch Gewalt. | |
| Das Schweigen ist ohrenbetäubend. Doch dahinter verbergen sich Stimmen, | |
| sind Menschen. Ihre größte Bedrohung ist unser Vergessen. | |
| 10 Jun 2023 | |
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| [1] https://www.prosieben.at/tv/newstime/video/werdet-mich-noch-lange-ertragen-… | |
| [2] https://prisoners.spring96.org/en | |
| ## AUTOREN | |
| Erica Zingher | |
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