# taz.de -- Spaltung der Linken: Sozialismus mit rechtem Code | |
> Nationalisten und „Linkskonservative“ – ein Blick ins europäische Ausl… | |
> gibt eine Ahnung vom Programm einer möglichen neuen Wagenknecht-Partei. | |
Bild: Sahra Wagenknecht beim „Aufstand für den Frieden“ am Brandenburger T… | |
Die politische Zukunft von [1][Sahra Wagenknecht] ist offen, nach dem | |
jüngsten Beschluss des Linken-Vorstands umso mehr. Und trotzdem zeichnet | |
sich bereits das Programm einer möglichen Wagenknecht-Partei ab. Nimmt man | |
ihre Bücher und Stellungnahmen als Richtschnur, dann setzt Wagenknecht auf | |
eine Mischung aus linken, konservativen und nationalen Positionen: | |
klassische Sozialstaatspolitik; „Friedenspolitik“, die sich ungeachtet von | |
Putins Kriegen um gute Beziehungen zu Russland bemüht; und ein | |
gesellschaftspolitisch konservativer Kurs, der sich nicht mit den Rechten | |
„immer kleinerer und immer skurrilerer Minderheiten“ aufhält, wie | |
Wagenknecht es ebenso plakativ wie polemisch umschreibt. Sie will damit die | |
vermeintlich „normale“ Bevölkerung ansprechen, die sie als Opfer | |
linksliberaler Eliten und ihres Kosmopolitismus sieht. | |
Ganz neu ist dieser von Wagenknecht selbst als „linkskonservativ“ | |
bezeichnete Politik-Mix nicht. Während europäische Linke und | |
Sozialdemokraten wie aktuell in Österreich darüber streiten, wie viel | |
konservative Rhetorik ihrem Profil guttut, haben sich vielerorts rechte | |
Populisten gezielt sozialdemokratischer Rezepte bedient. Politikerinnen wie | |
Marine Le Pen greifen längst linke Schlagworte in der Wirtschafts- und | |
Sozialpolitik auf und bauen sie zu einem wohlfahrtschauvinistischen | |
Nationalismus um. Sie haben sich so als Anlaufstelle für sozialen Protest | |
und als Sprachrohr jener etabliert, die sich als Inbegriff „des Volkes“ | |
verstehen. | |
Le Pen ist längst nicht das einzige Beispiel. Besonders verbreitet ist die | |
Melange aus links und rechts, national und sozial, in jenen Ländern Mittel- | |
und Osteuropas, die Wagenknechts Erfahrungen mit einer | |
liberal-kapitalistischen Transformation teilen. In vielen | |
postsozialistischen Gesellschaften war es in den 1990er Jahren unerheblich, | |
ob die Reformer aus dem postkommunistischen oder „bürgerlichen“ Lager | |
stammten – sie betrieben eine Transformationspolitik, die ihren | |
Bevölkerungen mehr Rechte und Freiheiten brachte, aber auch erhebliche | |
soziale Probleme verursachte. In den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger | |
wurde der westliche Liberalismus so zum Inbegriff sozialer, politischer und | |
kultureller Zumutungen – ein Bild, das auch Sahra Wagenknecht gerne | |
zeichnet. | |
Die Reaktion war nach der Jahrtausendwende ein Comeback antiliberaler | |
Kräfte, die in Form neuer nationalpopulistischer Sammlungsparteien | |
auftraten, vereint hinter einer prominenten Führungspersönlichkeit. Die | |
bekanntesten von ihnen, Viktor Orbán in Ungarn und Jarosław Kaczyński in | |
Polen, haben sich als Antikommunisten hervorgetan, treten aber mit einer | |
ökonomischen Rhetorik auf, die aus dem linken Schulbuch zu stammen scheint. | |
So versprechen sie ihren Bevölkerungen, sie vor ökonomischer Ausbeutung und | |
kulturellen Veränderungen gleichermaßen zu schützen. | |
Was aber passiert, wenn sich Sozialisten rechter Codes bedienen, zeigt das | |
Beispiel Slowakei. Dort gründete der Postkommunist [2][Robert Fico] 1999 | |
eine neue politische Plattform namens „Smer“ (zu deutsch „Richtung“), d… | |
sich schnell als maßgebliche Partei links der Mitte etablieren konnte. Mit | |
einer sozialdemokratischen Identität und scharfer Kritik an der | |
Austeritätspolitik der Vorgängerregierungen gewann Fico die slowakische | |
Parlamentswahl 2006 – und regierte fortan, sehr zum Ärger seiner Partner | |
aus der europäischen Sozialdemokratie, im Bündnis mit Nationalisten und | |
Rechtspopulisten. | |
Als langjähriger Regierungschef tat sich Fico mit Kritik an der EU und | |
ihrer Russland-Politik hervor, versprach, die Slowakei vor Einwanderung zu | |
schützen, und machte den amerikanischen Unternehmer George Soros als | |
Schuldigen für die politische Instabilität im Land aus. Ganz ähnliche | |
Positionen vertritt die Parteivorsitzende der bulgarischen Sozialisten, | |
Korneliya Ninova. Auch sie verspricht ihren Wählerinnen und Wählern eine | |
Alternative zum liberalen Westen: In der Wirtschaftspolitik will sie zu | |
linken Rezepten zurückkehren, in der Gesellschaftspolitik gegen die | |
„Gender-Ideologie in den Schulen“ kämpfen – und die „Ehre“ Bulgarien… | |
„fremden Herren“ schützen. | |
Dass sich Ninova und Fico nicht als Rechte definieren, sondern als | |
Sozialisten und Sozialdemokraten, haben sie mit Sahra Wagenknecht gemein. | |
Ihre Positionen unterscheiden sich in vielem aber kaum von denen ihrer | |
rechtsautoritären Pendants. Dass sich der starke protektive Nationalstaat | |
nur dann aufrechterhalten lässt, wenn er sich auf die Interessen der | |
„normalen“ Bevölkerung konzentriert, gehört zu ihren gemeinsamen Ideen. M… | |
ihrer Konstruktion einer antiliberalen „Normalität“ tragen sie aber zu | |
einem politischen Diskurs bei, in dem sich Populisten mit | |
autoritär-nationalistischen Parolen und Verschwörungserzählungen | |
gegenseitig zu überbieten versuchen, zulasten gesellschaftlicher | |
Minderheiten und des politischen Klimas. | |
Dass eine Wagenknecht-Partei in Deutschland in eine ähnliche Richtung | |
wirken würde, ist weder ausgemacht noch ausgeschlossen. Nach wie vor | |
versteht sich [3][Sahra Wagenknecht] als Gegnerin rechter Populisten. Sie | |
lässt aber keinen Zweifel daran, dass sie in den „neuen Arbeiterparteien“, | |
wie Wagenknecht sie nennt, ein Vorbild darin sieht, wie sich die Verlierer | |
der Modernisierung abholen lassen. Entsprechend übt sie zwar Kritik an der | |
Justizpolitik der polnischen Regierung, lobt aber ihre „couragierte | |
Sozialpolitik“. Die Kaczynski-Partei habe „das größte Sozialprogramm der | |
jüngeren polnischen Geschichte“ verabschiedet, den Mindestlohn erhöht und | |
die Arbeitnehmerrechte gestärkt. Entsprechend stellt sie die entscheidende | |
Frage: „Welche linke Partei kann in jüngerer Zeit solche Erfolge | |
vorweisen?“ Gut möglich, dass sie dies bald mit einer eigenen | |
Parteigründung nachzumachen versucht. | |
14 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Thorsten Holzhauser | |
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