| # taz.de -- Theaterstück „Ministerium für Einsamkeit“: Die verdrängte Ep… | |
| > In westlichen Gesellschaften wird Einsamkeit zu einem Gesundheitsproblem. | |
| > Das Hamburger Schauspielhaus setzt dem eine Performance entgegen. | |
| Bild: Musik als Mittel gegen Einsamkeit: Lars Rudolph als Herr Erik im Stück �… | |
| Einsamkeit klingt wie ein Klebeband, das man mit einem Ruck von seiner | |
| Rolle reißt. Wie eine Säge im Einsatz, wie Baustellen-Gehämmer und wie | |
| „Eleanor Rigby“ von den Beatles. Der Beat der Einsamkeit ist der Zeiger auf | |
| der Uhr, der sich nach vorne bewegt. Jeden Tag, jede Sekunde. | |
| Der Ort dieser Einsamkeit ist die Immanuel-Kirche im Hamburger Stadtteil | |
| Veddel: Die Kirchenbänke sind rausgeräumt, eine Zwei-Zimmer-Wohnung ist | |
| aufgebaut: Schlafzimmer, Küche, spartanisch eingerichtet, gedeckte | |
| Farbtöne. Auf dem Bett liegt ein Mann in braunen Klamotten. Die | |
| Zuschauer*innen stehen auf der Empore und blicken auf ihn hinab wie das | |
| Zoo-Publikum bei Hagenbecks auf die Paviane. | |
| Die Wohnung in der Kirche ist die erste von drei Stationen des Stücks | |
| „Ministerium für Einsamkeit“, das das Hamburger Schauspielhaus als | |
| Koproduktion zwischen Profis und Laien auf der Veddel zeigt. Das Stück | |
| gehört zum 2014 begonnenen [1][Langzeit-Projekt „New Hamburg“]. Die Idee | |
| ist, mit den finanziellen Mitteln und dem Know-How der Großinstitution | |
| Schauspielhaus Kulturangebote auf der Veddel zu initiieren, um Begegnungen | |
| zwischen den Menschen anzustoßen. | |
| Warum auf der Veddel? Weil es sich dabei um einen [2][der ärmsten Hamburger | |
| Stadtteile] handelt. Die rund 4.500 Bewohner*innen stammen aus rund 50 | |
| Nationen. Das Sich-Öffnen und Aufeinander-Zugehen vor dem Hintergrund | |
| finanzieller Probleme ist kein Selbstläufer. | |
| ## Eine soziale Krise, deren Ausmaß zunimmt | |
| Das Konzept, durch Kultur Begegnungen zu fördern, ist klassische | |
| soziokulturelle Arbeit, die Umsetzung ist allerdings oft anders, als man es | |
| etwa von Stadtteilkulturzentren kennt: Das Schauspielhaus ist einfach ein | |
| anderer Player mit seinen vergleichsweise üppigen Geldmitteln, seinem | |
| hervorragend ausgebildeten Personal und seinem Hochkultur-Renommee. | |
| Beim Stück „Ministerium für Einsamkeit“ hat das Team um Regisseur Peter | |
| Kastenmüller eine Recherche zum Thema Einsamkeit unternommen. Ausgangspunkt | |
| ist der britische Umgang damit: Dort wurde die konservative Politikerin | |
| Mims Davies im Jahr 2018 Junior Minister für Sport, Zivilgesellschaft und – | |
| Einsamkeit. | |
| Mittlerweile haben sich der Ressortzuschnitt und die Leitung mehrfach | |
| geändert, aktuell ist für das Thema [3][Einsamkeit] Stuart Andrew | |
| zuständig, auch er gehört zu den Tories. Die Einsamkeit hat es nicht mehr | |
| in seine Ressortbezeichnung geschafft: Andrew ist Staatssekretär für Sport, | |
| Tourismus und Zivilgesellschaft. | |
| Das Problem ist groß, nicht nur in Großbritannien. Der Mann, der nun in der | |
| Veddeler Kirche auf seinem Bett liegt und an die Decke starrt, ist Teil | |
| einer sozialen Krise. Deren Ausmaß nimmt so stetig zu, dass zum Beispiel | |
| Kim Samuel, Autorin und Gründerin eines eigenen „Centre for Social | |
| Connectedness“ [4][von einer „Epidemie der Einsamkeit“ spricht]. Es gibt | |
| Studien, die die gesundheitlichen Folgen der Einsamkeit untersuchen und zu | |
| heftigen Ergebnissen kommen: Einsamkeit befördert Übergewicht, | |
| Depressionen, Herzinfarkte und Alzheimer. Einsamkeit sei so | |
| gesundheitsschädlich wie das Rauchen von 15 Zigaretten am Tag, ist auch in | |
| der Immanuelkirche zu hören. | |
| Ein gesellschaftliches Problem, das auf die Agenda drängt – nicht zuletzt, | |
| weil es teuer kommt, es zu ignorieren. Eine Idee, das Problem zu bekämpfen, | |
| ist im Theaterstück in der Immanuelkirche die Musik. Musik und Klänge | |
| sollen messbar positive Auswirkungen auf Körper und Gefühle haben. Also | |
| probiert der einsame Mensch in seiner Wohnung verschiedene Klänge aus – | |
| unter Aufsicht einer Vertreterin des „Ministeriums für Einsamkeit“, die so | |
| farblos aussieht, wie er selbst. | |
| Helfen Musik und Klänge wirklich? Bei den Beatles kann man sich das | |
| vorstellen, beim Klebeband-Abriss-Sound weniger. Der ist gedacht als | |
| Holzhammer-Methode, „emotionale Knoten aufzulösen“ sowie „desperate | |
| Zustände“ zu verändern: So steht es auf der Info-Tafel zu dieser ersten | |
| Station des Stücks. | |
| ## Machen soziale Medien einsam? Vielleicht. | |
| Seine zweite Station: ein leer geräumtes Schaufenster, in dem sieben | |
| jugendliche Performer*innen leibhaftig oder auf einem live bespielten | |
| Video-Screen Gedanken zum Thema Einsamkeit präsentieren. Sie fragen sich | |
| etwa, was sie einsam macht und landen dabei schnell bei Handys und | |
| [5][sozialen Medien]. Das Internet ist ein wesentlicher Ort ihres | |
| Lebenswirklichkeit, ein Großteil ihres Auftritts findet auf der Leinwand | |
| statt. | |
| Machen soziale Medien einsam? Vielleicht. Oder: irgendwie schon. Sogar | |
| ziemlich sicher. Klar ist nur, dass eine Face-to-Face-Begegnung nicht durch | |
| soziale Medien ersetzbar ist, und es insbesondere jungen Leuten kaum | |
| möglich ist, sich den sozialen Medien zu verweigern. Sie müssen beides | |
| hinkriegen: das Virtuelle und das Echte. Das macht es nicht leichter. | |
| Für die Erwachsenen gibt es als dritte Station der Inszenierung ein | |
| Selbsthilfe-Seminar in der Veddeler Außenstelle der Arbeiterwohlfahrt: 14 | |
| Millionen Einsame gebe es allein in Deutschland, referiert ein Dozent, „es | |
| ist schlimm, einsam zu sein, aber es ist dumm, nichts dagegen zu tun. | |
| Möchte an dieser Stelle schon jemand sich mitteilen? Nein?“ Und dann teilt | |
| sich jemand mit und spricht über Scheidung und verlorene Freunde und dann | |
| machen alle einen Test, der ihnen eine Zahl liefert, die aussagen soll, wie | |
| einsam sie sind. | |
| ## Kein Grund zum Schämen | |
| So ganz ernst gemeint ist das nicht, aber im Kern will die Inszenierung | |
| schon ein reales Problem thematisieren – und sie fordert, dass dieses | |
| Problem von einer staatlichen Stelle angegangen wird: Am Ende steht die | |
| Gründung eines Ministeriums für Einsamkeit. Als Empowerment und Sieg der | |
| Betroffenen, weil natürlich schon der gemeinsame Kampf für so ein | |
| Ministerium hilft, die Einsamkeit zu besiegen. | |
| Nicht beantwortet wird die Frage, was ein Ministerium für Einsamkeit | |
| konkret leisten sollte. In Großbritannien sehen die jeweils zuständigen | |
| Politiker*innen ihre Aufgabe darin, das Problem im öffentlichen | |
| Bewusstsein zu halten. Andere Ministerien sollen die | |
| Einsamkeits-Auswirkungen bei ihren Entscheidungen mitbedenken, etwa wenn | |
| die Preise für den Nahverkehr zur Debatte stehen, die Schließung eines | |
| Jugendclubs oder die Planungen von Wohngebieten. | |
| Abgesehen davon geht es darum, der Einsamkeit das Schambesetzte zu nehmen. | |
| Einsamkeit soll als etwas Normales gelten, das jeden früher oder später | |
| betrifft. Darüber zu reden, hilft schon. Theaterstücke darüber zu machen | |
| erst recht. | |
| 23 May 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Klaus Irler | |
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