# taz.de -- Unterfinanzierte Inklusion in Hamburg: Schulbegleiter an der Armuts… | |
> Begleitkräfte für Schüler mit Behinderung verdienen an Hamburger Schulen | |
> nur 1.360 Euro brutto im Monat. Personal ist damit kaum zu finden. | |
Bild: Schulbegleiter helfen Kindern durch den Schulalltag | |
HAMBURG taz | Die Hamburger Schulbegleiter wollen unbefristete und besser | |
bezahlte Verträge haben. In einem [1][Offenen Brief an Schulsenator Ties | |
Rabe] (SPD) klagen sie, in Hamburg Schulbegleiter zu sein, sei unattraktiv | |
und [2][viele Stellen seien vakant]. Dadurch blieben Schüler ohne | |
Begleitung und die Lehrkräfte kämen ihren eigentlichen Aufgaben nicht mehr | |
nach, weil „Kinder mit erhöhtem Förderbedarf ihre Ressource binden“. | |
Verfasst haben den Brief Andreas Krüger und Lena Driesner von der | |
Erich-Kästner-Schule. Krüger findet: „Schulbegleiter ist eine tolle | |
Tätigkeit.“ Früher mal fuhr der 64-Jährige zur See und war Hausmann. Doch | |
seit 15 Jahren begleitet er im Rahmen der Inklusion Kinder durch den | |
Schulalltag. | |
Seit zwei Jahren leitet er mit Driesner ein Pilotprojekt an der | |
Erich-Kästner Schule und koordiniert dort den Einsatz der 22 | |
Schulbegleiter, die gemeinsam für 60 Schüler da sind. Diese „Poollösung“ | |
laufe sehr gut, sagt Krüger. Doch es fehlten Leute, denn „man muss von dem | |
Gehalt auch leben können“. | |
Maximal 33 Zeitstunden können [3][Schulbegleiter] in einer Schulwoche zum | |
Einsatz kommen. Dafür verdient eine „sozial erfahrene Kraft“, so heißt die | |
Qualifikationsstufe für Menschen ohne spezielle pädagogische Ausbildung, | |
rund 1.360 Euro brutto im Monat. „In Schleswig-Holstein ist es mehr. Dort | |
wird die unterste Stufe mit 1.900 Euro brutto entlohnt“, berichtet er. | |
Pädagogisch ausgebildetes Personal wie Erzieher würden mit rund 2.400 Euro | |
brutto etwas besser bezahlt, die dritte Stufe für Studierte liege noch | |
darüber, aber auch unter Tarif. | |
## Behörde wollte keine Tarifbindung vereinbahren | |
Während die Beschäftigten der Länder gerade einen [4][deutlichen | |
Inflationsausgleich ausgehandelt] hätten, „fallen wir mal wieder durchs | |
Raster“, schreiben die zwei. „Wir haben keine tarifgebundenen und | |
unbefristeten Verträge und müssen uns jede Sommerferien aufs Neue | |
arbeitslos melden. Das darf nicht sein“. Konkret fordern sie von Rabe eine | |
Erhöhung der Stundensätze, die seine Behörde an freie Träger zahlt, damit | |
diese die Schulbegleiter einstellen. Und sie fordern eine regelmäßige | |
Erhöhung, damit der Inflationsausgleich kein Gnadenakt bleibt. | |
Seit 2015 wird die Schulbegleitung in Hamburg über Träger organisiert, | |
denen die Schulbehörde nur das Geld gibt. Doch erst seit Januar 2022 gibt | |
es dazu überhaupt eine [5][Rahmenvereinbarung zwischen der Stadt und der | |
Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege] (AGFW). Im Zuge dieser | |
wurde erstmals die Summe, die Hamburg hier aufwendet, erhöht, von 15 auf 18 | |
Millionen Euro. | |
Die Vereinbarung sieht vor, dass Schulbegleitung stundenbasiert abgerechnet | |
wird. Pro Stunde, die eine erfahrene Kraft arbeitet, bekommt der Träger | |
24,87 Euro, für Erzieher und Sozialpädagogen etwas mehr. Die Schulbehörde | |
sagt, diese Kostensätze ermöglichten Trägern, ihre Mitarbeiter „in | |
geregelten Beschäftigungsverhältnissen tariflich zu bezahlen“. Das Geld sei | |
auskömmlich, findet Sprecher Peter Albrecht. Die Art der Beschäftigung und | |
Bezahlung sei Trägersache. | |
Andreas Krüger, der schon seit einigen Jahren für bessere Bezahlung kämpft, | |
hört vom seinem Träger, der „Lebenshilfe“, dass dem nicht so sei. „Die | |
würden gern tariflich bezahlen, aber sie können es nicht.“ Denn von den | |
24,87 Euro müssten auch noch der Arbeitgeberanteil der Sozialabgaben und | |
die Verwaltung bezahlt werden. Die „Lebenshilfe“ ist ein vor mehr als 60 | |
Jahren von Eltern geistig behinderter Kinder gegründeter Verein. Nach | |
Bezahlung der Schulbegleiter gefragt, erklärt die Geschäftsführung: | |
„Grundsätzlich sollte in sämtlichen Bereichen der Behindertenhilfe | |
Tariflohn gezahlt werden.“ | |
„Die Schulbegleitung war immer unterfinanziert und sie ist es noch“, sagt | |
Thomas Illing, Experte für Eingliederungshilfe und Finanzierung beim | |
Diakonischen Werk. Zwar habe die Schulbehörde die Sätze erhöht, doch eben | |
nicht ausreichend. „Deshalb ist die Diakonie aus der Schulbegleitung | |
ausgestiegen, denn wir sind daran gebunden, nach Tarif zu bezahlen“, sagt | |
Illing. | |
Er habe dies bei den Verhandlungen dem Staatsrat der Schulbehörde auch | |
vorgerechnet. „Wir hatten im Ursprungstext der Rahmenvereinbarung eine | |
Tarifbindung gefordert“, sagt Illing. Als Kompromiss sei die Formulierung | |
aufgenommen worden, dass sich die Kostensätze automatisch erhöhten, wenn | |
sich die Entgelte des Tarifvertrages im öffentlichen Dienst erhöhen. Das | |
sei dann auf Druck der Schulbehörde wieder rausgefallen. | |
Krüger und seine Kollegin waren also im Winter 2021 schon mal nah an ihrem | |
Ziel. Und weil aus Sicht des AGFW-Dachverbandes die verhandelte Vergütung | |
„noch immer nicht auskömmlich war“, wie AGFW-Geschäftsführer Jens | |
Stappenbek erklärt, hatte man extra nur eine kurze Laufzeit bis zum 31. | |
Juli vereinbart. Immerhin erklärt die Schulbehörde auf taz-Nachfrage, es | |
gebe bald neue Gespräche dazu. | |
Zudem interessiert sich die Bürgerschaft. So lud die Grüne Schulpolitikerin | |
Ivy May Müller die beiden Briefeschreiber zum Gespräch ein. Müller findet | |
Tarifverträge wichtig. Und auch SPD-Schulpolitiker Nils Hansen sagt mit | |
Blick auf die neuen Verhandlungen: „Wir werden uns mit Nachdruck dafür | |
einsetzen, dass eine tarifgemäße Bezahlung bei allen Trägern verbindlich | |
festgeschrieben wird.“ | |
Die Linke Schulpolitikerin Sabine Boeddingshaus findet: „Das ganze Modell | |
der Schulbegleitung muss auf Auskömlichkeit überprüft werden, und zwar | |
finanziell und strukturell.“ Indes sieht die Gewerkschaft Erziehung und | |
Wissenschaft die Auslagerung an freie Träger kritisch. „Wir fänden es | |
sinnvoller, die Kolleginnen direkt bei der Behörde anzustellen“, sagt | |
Landeschef Sven Quiring. Dann könnte man sie in den Tarif des öffentlichen | |
Dienstes eingruppieren und „Poollösungen“ etablieren, wie sie die | |
Erich-Kästner-Schule ausprobiert. | |
10 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.gew-hamburg.de/themen/schule/offener-brief-der-schulbegleiterin… | |
[2] /Schulbehoerde-vertroedelt-Inklusion/!5880076 | |
[3] https://www.hamburg.de/begleitung-speziell/ | |
[4] https://www.gew-hamburg.de/themen/tarif-besoldung/kompromiss-im-tarifstreit… | |
[5] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/78765/neue_rahmenvereinbar… | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
## TAGS | |
Inklusion | |
Schulbehörde Hamburg | |
Leben mit Behinderung | |
prekäre Beschäftigung | |
Hamburg | |
Kinder | |
Schulbehörde Hamburg | |
Hamburg | |
Jugendamt | |
Schulbehörde Hamburg | |
Inklusion | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Honorarkräfte von Spielmobilen: Pädagogen zweiter Klasse | |
Honorarkräfte von Hamburger Spielmobilen erhalten nur halb so viel Geld wie | |
Kollegen an Schulen. Das finden sie ungerecht und starten eine Petition. | |
Inklusive Bildung in Hamburg: „Man war froh, uns los zu sein“ | |
Hamburger Eltern finden keinen inklusiven Schulplatz für ihr behindertes | |
Kind. Nun behelligt sie die Schulbehörde wegen Schulschwänzens. | |
Eltern von Kindern mit Behinderung: Hilferuf nach Unterstützung | |
In Hamburg und Schleswig-Holstein fehlen Mittel für die Betreuung von | |
Kindern mit Behinderung. Also übernehmen die Eltern - und die können nicht | |
mehr. | |
Kein Schulbesuch für Heimkinder: Riskante Exklusion der Schwächsten | |
Schleswig-Holstein muss endlich die Schulpflicht für Heimkinder ins Gesetz | |
schreiben. Statt sich vertrösten zu lassen, sollten Grüne darauf bestehen. | |
Schulbehörde vertrödelt Inklusion: Personal zu spät bewilligt | |
An Hamburgs Inklusionsschulen fehlen FSJler zur Begleitung der Kinder. | |
Grund dafür ist auch die zu späte Bewilligung durch die Schulbehörde. | |
Schulpolitik in Hamburg: Wahlkampfgeschenk und Mogel-Packung | |
Rot-Grün will jeder Grundschule einen Schulbegleiter spendieren. Eine | |
Inklusionsinitiative hält nicht viel von diesem Wahlkampfgetöse. |