# taz.de -- Schulbehörde vertrödelt Inklusion: Personal zu spät bewilligt | |
> An Hamburgs Inklusionsschulen fehlen FSJler zur Begleitung der Kinder. | |
> Grund dafür ist auch die zu späte Bewilligung durch die Schulbehörde. | |
Bild: Das Rolli-Kind wird kommen, aber wird es auch betreut? In Hamburg fehlen … | |
HAMBURG taz | Bei einem Kind sei jetzt mit den Eltern besprochen, dass sie | |
es früher abholen, sagt eine Schulleiterin, denn ohne Begleitung werde es | |
aggressiv. Die Situation sei „extrem grenzwertig“, ergänzt eine | |
Sonderpädagogin. Durch den Wegfall der individuellen Pausenaufsichten komme | |
es zu Übergriffen und Gefährdungen. | |
Tätig sind die beiden Frauen an Hamburger „Schwerpunktschulen“ für | |
Inklusion. Dort fehlen die jungen Menschen, die sonst ihr „Freiwilliges | |
Soziales Jahr“ (FSJ) in der Schule absolvieren. Denn [1][Hamburg setzt bei | |
der „Schulbegleitung“ von behinderten Kindern mit auf diese Kräfte], die | |
neben etwas Schulung und Seminaren ein „Taschengeld“ von 350 bis 450 Euro | |
bekommen. | |
„Das ist auch ein Bildungsjahr für sie“, sagt die Pädagogin, die ebenso w… | |
die Rektorin anonym bleiben möchte. Normal kämen die Bewerber fürs FSJ | |
schon im Mai zum „Probetag“, um zu gucken, ob es etwas für sie ist, Kinder | |
etwa mit Autismus oder Förderbedarf in der körperlichen und motorischen | |
Entwicklung durch den Tag zu begleiten. | |
Doch diesmal habe die Schulbehörde die Bewilligungen zu spät verschickt, | |
teils erst im August, als die meisten Schulabgänger längst andere Pläne | |
hatten. Auf einem Treffen sollen fast alle Schulen geklagt haben, dass sie | |
keine FSJler finden. Als Ersatz dürften sie zwar auf sogenannte „sozial | |
erfahrene Kräfte“ zurückgreifen, etwa Studierende, doch auch die seien | |
nicht zu finden, der Markt leergefegt. An den Engpässen, sagt ein Vater, | |
litten auch die übrigen Kinder. | |
## Bedarf an FSJlern in Hamburg ist groß | |
Hamburgs Bedarf an FSJlern ist groß, im Vorjahr wurden über 1.000 | |
bewilligt. Angestellt werden FSJler bei sozialen Trägern. Oliver Scherfke | |
von der Diakonie St. Pauli zum Beispiel betreut rund 80 Freiwillige. Doch | |
in diesem Jahr seien alle Schulen maßlos unzufrieden, weil es keine Auswahl | |
an Bewerbern gebe und die Bewilligungen so „spät wie nie“ kamen, sagt er. | |
Man habe gerade einen geburtenschwachen Jahrgang, auch hätten die jungen | |
Leute wegen der Pandemie „nachvollziehbar auch andere Pläne“. Die von der | |
Behörde gezahlte Pauschale für einen FSJler von 970 Euro reiche nicht aus, | |
so Scherfke. „Davon sind unsere Kosten für Verwaltung, Betreuung und | |
Begleitung nicht gedeckt.“ | |
Die Schulbehörde erklärt, ihr sei nicht bekannt, ob es weniger FSJler gibt. | |
Und sie bestreitet, dass Kinder wegen fehlender Schulbegleitung zu Hause | |
bleiben. Sei keine vor Ort, gelte das Recht auf Schulbildung weiter. Die | |
Schule passe die Situation „individualisiert und tagesaktuell an“, so eine | |
Sprecherin. | |
## Behörde soll vorauschauender planen | |
Doch dies sei in der Praxis schwieriger, weil obendrein an der Schule auch | |
Sonderpädagogen und Erzieher fehlen, wendet jene Sonderpädagogin ein. „Wir | |
können ein Kind ja nicht nur in die Ecke stellen und hoffen, dass es nicht | |
wegläuft.“ | |
Die Schulbehörde verweist darauf, dass sie das Verfahren vereinfacht habe | |
und mehr Geld eingeplant sei. Bis Ende September seien 1.130 | |
Schulbegleitungen für behinderte Kinder bewilligt. Die Behörde räumt aber | |
ein, dass bei Beginn der Sommerferien ein Viertel der Anträge noch nicht | |
bewilligt war. Ersatzweise könnten nun die Schulen für 212 Schüler | |
befristet eine Ersatzkraft einstellen. | |
Nur hört man von den Schulen, dass sie auch die nicht finden. Auf die | |
Frage, wie viele Schulbegleiter tatsächlich an den Schulen sind, weicht die | |
Behörde aus. Das werde „nicht zentral erfasst“. | |
Kerrin Stumpf vom [2][Elternverein „Leben mit Behinderung“], sagt: „Wir | |
haben große Sorge.“ Denn es gebe nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern | |
auch einen Hilfskräftemangel. Deshalb wäre es gut, wenn die Behörde | |
vorausschauend plane und „eher mal zwei FSJler zu viel bewilligt, damit es | |
am Ende passt“. | |
Oliver Scherfke mahnt indes, dass die Schulbegleitung nicht „komplett durch | |
den Freiwilligendienst geleistet werden kann“. Die Behörde verlasse sich zu | |
sehr darauf. Es stehe hier offenbar „die Kostenfrage im Vordergrund und | |
nicht die Förderung von sozialem Engagement“. Auch Pit Katzer von der | |
[3][Initiative „Gute Inklusion“] sieht ein strukturelles Problem. „FSJler | |
werden auch für Kinder mit 'Förderbedarf geistige Entwicklung’ eingesetzt. | |
Aber hier ist eine gewisse Qualifikation nötig.“ | |
## Schulausschuss tagt am Freitag | |
Die Schulbehörde lässt die Schulbegleitung derzeit extern von der Uni | |
Oldenburg evaluieren, die bis 2023 Optimierungsvorschläge erarbeiten soll. | |
„Das dauert zu lange. Es brennt jetzt“, sagt ein Schulleiter, dem Kräfte | |
fehlen. Fragt man nach, wünschen sich Praktiker die alten „I-Klassen“ | |
zurück, die einen festen Stamm an Erziehern für die behinderten Kinder | |
hatten. Aber das Modell galt als zu teuer, als Hamburg 2010 das Recht auf | |
inklusive Beschulung einführte. | |
Zum Stand der [4][Inklusion] gibt es am Freitag eine öffentliche Anhörung | |
im Schulausschuss auf Antrag der Linksfraktion und der CDU. Anlass ist der | |
„3. Fortschrittsbericht“ des Senats. Die „Initiative Gute Inklusion“ ne… | |
ihn „schönfärberisch“, erwähne dieser doch nicht einmal, dass heute weni… | |
behinderte Kinder inklusiv beschult werden als vor zehn Jahren. | |
Sabine Boeddingshaus von der Linken sieht hier Gesprächsbedarf. Auch sie | |
höre von Eltern, dass ihre Kinder wegen fehlender Schulbegleitung zu Hause | |
bleiben. „Das darf nicht sein. Die Leidtragenden sind die Kinder.“ | |
29 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Schulpolitik-in-Hamburg/!5651345 | |
[2] https://www.lmbhh.de/ | |
[3] http://gute-inklusion.de/ | |
[4] /Inklusion/!t5008541 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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