| # taz.de -- Frankreichs Verfassungsrat pro Reform: Zum zweiten Mal abgelehnt | |
| > Ein Antrag der Linken auf eine Volksabstimmung gegen die Rentenreform | |
| > scheitert erneut am Verfassungsrat. Nun bleibt ihnen noch eine letzte | |
| > Option. | |
| Bild: Gegen die Reform, gegen die Regierung: Protestierende vor dem Gebäude de… | |
| Paris taz | Die Französinnen und Franzosen dürfen nicht über die | |
| umstrittene Rentenreform abstimmen. Auch ein zweiter Versuch der linken | |
| Opposition, mit einem im Grundgesetz seit 2008 prinzipiell vorgesehenen | |
| „Referendum“ eine Volksbefragung zu organisieren, ist am formalrechtlichen | |
| Widerstand der Verfassungsrichter gescheitert. Am Mittwoch hat der | |
| Verfassungsrat eine Gesetzesvorlage für ungültig erklärt, die das | |
| Rentenalter bei 62 Jahren belassen und außerdem zur Finanzierung des | |
| Systems eine Reichtumssteuer einführen wollte. | |
| Der Entscheid hat nicht überrascht, denn derselbe Verfassungsrat hatte | |
| bereits am 15. April gegen einen ersten Text, mit dem ein solches | |
| „Referendum“ angestrebt werden sollte, sein Veto eingelegt. Dabei wurde | |
| geltend gemacht, eine Abstimmung könne nur verlangt werden, wenn im | |
| Gesetzesentwurf etwas Neues stehe. Das gegenwärtige gesetzliche Rentenalter | |
| aber sei ja bereits bei 62 Jahren und werde erst ab September schrittweise | |
| erhöht. Das klingt pingelig, ist aber formal korrekt. Die Sozialisten, die | |
| den zweiten Antrag einreichten, hatten darum ihren Antrag entsprechend | |
| ergänzt. Für die strengen Verfassungshüter hat dies aber an der Causa | |
| selbst nichts geändert. | |
| Ohnehin erhofften sich die Gegner*innen wenig vom Verdikt des in | |
| Frankreich Conseil constitutionnel genannten Verfassungsrates, der ja | |
| ohnehin schon die Kernpunkte der sehr umstrittenen Reform zu ihrer | |
| Enttäuschung und Empörung als verfassungskonform [1][gebilligt hatte]. | |
| Verfassungsexperten hatten zudem im Voraus gewarnt, dass sie nur geringe | |
| Chancen hätten, auf diesem Weg ein „référendum d'initiative partagée“ (… | |
| – eine Volksabstimmung, die von Parlamentariern und mindestens zehn Prozent | |
| der Wahlberechtigten unterstützt wird – zu fordern. | |
| Wie eine Befragung der Bürger*innen ausgehen würde, ist wohl klar. Denn | |
| laut allen Umfragen lehnen rund zwei Drittel die Reform ab, und eine | |
| Mehrheit unterstützt den gewerkschaftlichen Kampf mit [2][Streiks und | |
| Demonstrationen]. Aus diesem Grund war für Präsident Emmanuel Macron und | |
| seine Regierung das Verfassungsurteil eine Art Notbremse. Wäre es anders | |
| ausgefallen, wäre das eine Bloßstellung gewesen für die Staatsführung, die | |
| sich mit fragwürdigen Methoden – etwa die Nutzung eines Artikels der | |
| Verfassung, der es ihr erlaubte, am Parlament vorbei zu entscheiden – über | |
| die Volksmeinung hinweggesetzt hatte. | |
| ## Volksabstimmungen scheitern meist im Anfangsstadium | |
| Ist das institutionelle Instrument der RIP nur zum Schein ein | |
| demokratisches Volksrecht? Wie andere seiner Kolleg*innen meint der | |
| Verfassungsrechtler Benjamin Morel, Professor an der Pariser Universität | |
| Panthéon-Assas, dass dieses Referendumsrecht „so entworfen wurde, dass es | |
| in Wirklichkeit nie verwendet werden kann“. Es ist kein Zufall, dass seit | |
| 2008, als dieser Artikel unter dem damaligen [3][Präsidenten Nicolas | |
| Sarkozy] in der Verfassung verankert wurde, alle Versuche, eine Abstimmung | |
| zu organisieren, schon im Anfangsstadium scheiterten. | |
| Nicht nur müssten innerhalb von neun Monaten die Unterschriften von | |
| mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten – 4,9 Millionen Menschen – | |
| eingebracht werden. Auch die Kriterien, wann überhaupt abgestimmt werden | |
| darf, sind streng: Ein RIP darf kein Gesetz betreffen, das vor weniger als | |
| 12 Monaten vom Parlament verabschiedet und im Amtsblatt publiziert worden | |
| ist. Darum musste der jetzt abgelehnte Antrag in aller Eile eingereicht | |
| werden, bevor Präsident Macron mit der offiziellen Verkündung der Reform | |
| dem Gesuch der Linken zuvorkommen konnte. | |
| Noch gibt es eine weitere Hintertür für einen parlamentarischen Ausweg aus | |
| der Krise: Eine kleine Fraktion von linken und unabhängigen Abgeordneten in | |
| der Nationalversammlung hat einen Antrag zur erneuten Diskussion über das | |
| Rentenalter eingereicht, über den am 8. Juni debattiert werden soll. Die | |
| Gewerkschaften, die weiter geschlossen von der Regierung den Verzicht auf | |
| die Umsetzung der Reform fordern, wollen am 6. Juni erneut einen Aktionstag | |
| organisieren, um den Druck der Straßen auf die Staatsführung | |
| aufrechtzuerhalten. | |
| 4 May 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Frankreichs-Verfassungsrat-fuer-Macrons-Reform/!5928182 | |
| [2] /Erster-Mai-in-Frankreich/!5931334 | |
| [3] /Haft-fuer-Sarkozy/!5805013 | |
| ## AUTOREN | |
| Rudolf Balmer | |
| ## TAGS | |
| Rentenreform | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| Schwerpunkt Frankreich | |
| Protest | |
| Verfassung | |
| GNS | |
| Schwerpunkt Klimagerechtigkeit | |
| Tag der Arbeit, Tag der Proteste | |
| Rentenreform | |
| Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Finanzielle Hilfe für Letzte Generation: Ökoworld macht Rückzieher | |
| Der ethische Fonds-Anbieter Ökoworld wollte Geldstrafen von | |
| Klima-Aktivist:innen übernehmen. Nach Empörung hat er die Zusage nun | |
| zurückgezogen. | |
| Erster Mai in Frankreich: Kein holder Mai für Macron | |
| Vereint wie selten wird landesweit und heftigst gegen die Rentenreform | |
| protestiert. Laut Gewerkschaften sind mehr als eine Million auf den | |
| Straßen. | |
| Macron setzt Rentenreform durch: Eine Wende, kein Ende | |
| Macron hat seine Rentenreform gegen den Willen der Bürger durchgedrückt. | |
| Deren Protest wird aber nicht abebben, sie formulieren neue Forderungen. | |
| Menschen und Tiere: Klug kommunizieren kann nicht jeder | |
| Meine Hündin hält wenig von den neuesten Auslassungen von Mathias Döpfner, | |
| Emmanuel Macron und Söder. Recht hat sie! |