# taz.de -- Gastland Österreich auf der Buchmesse: Im Dunkeln kommt der Krieg … | |
> Österreich sucht auf der Buchmesse in Leipzig nach dem „Wir“ eines | |
> Staates vieler Völker. Die Ukrainer:innen am Stand daneben verbindet | |
> der Kriegsalltag. | |
Bild: Fahnen auf dem Messegelände in leipzig | |
Was für eine wunderschöne Stadt Leipzig ist. Dieser Eindruck entsteht | |
tatsächlich, wenn man sich hier durch die frühlingserwachten Straßen | |
bewegt. Darauf verweist aber auch eine Stimme in der Tram Richtung Messe, | |
die zwar dialektgefärbt, aber so gar nicht sächsisch klingt. | |
Sie gehört dem Nino aus Wien, wie sich der österreichische Indie-Musiker | |
nennt. Dass er hier Durchsagen bei den Leipziger Verkehrsbetrieben macht, | |
ist nicht etwa einem invasiven Coup geschuldet, sondern Teil des | |
vielfältigen österreichischen Programms als Gastland auf der Buchmesse. | |
Unter dem Claim „meaoiswiamia“, der dem Geist des österreichischen | |
Schriftstellers [1][Thomas Stangl] entsprang, öffnet sich die Heimat großer | |
Töchter und Söhne hier der Frage nach einem gemeinsamen „Wir“. | |
Dieses „Wir“ ist keinesfalls eine distinkte Entität, wie sie von rechts | |
propagiert wird, sondern von jeher eine vielvölkische Melange. Wie wichtig | |
diese für die österreichische Literatur ist, zeigten in der Vergangenheit | |
etwa Stimmen von Kraus, Roth, Aichinger und Zweig. | |
## Literatur als Gegengewicht | |
Einen wie ihn, „der als Jude in Wien lebt und sich der deutschen Sprache | |
verschrieben hat“, gäbe es wohl nicht, wenn es nach einer | |
rechtspopulistischen Weltanschauung ginge, sagt [2][der Autor Doron | |
Rabinovici] bei seiner Rede zur Eröffnung des Österreichstands. Dass diese | |
Weltanschauung in Europa noch in der Minderheit, aber längst auf dem | |
Vormarsch ist, lässt sich an Ungarn, Polen, Italien und ehrlicherweise auch | |
an Österreich erkennen – in dessen größtem Bundesland es im März die FPÖ… | |
den Landtag schaffte. | |
„Was früher nur der Name eines Bundeslands war, klingt nun wie ein | |
politisches Projekt für den ganzen Staat: ‚Niederösterreich!‘ “, so die | |
Erkenntnis Rabinovicis. Statt zu resignieren, hebt er, der sich in seinen | |
Werken mit der NS-Vergangenheit, Migration, jüdischem Leben und dem | |
Erinnern auseinandersetzt, den Wert von Literatur als Gegengewicht zu | |
faschistoidem Gedankengut hervor. Sie allein rette zwar noch nicht vor den | |
Despoten dieser Welt, setze ihnen aber etwas entgegen, indem sie an Grenzen | |
gehe, ohne davor Halt zu machen. | |
Ob er eh Deutsch spreche, sei Rabinovici schon gefragt worden. Ähnlich | |
ergeht es Ana Marwan immer wieder, dabei lebt [3][die slowenische Autorin | |
und letztjährige Bachmannpreisträgerin] bereits seit 18 Jahren im Land der | |
Berge, schreibt auch auf Deutsch. | |
## Sie repräsentiert für zwei Länder | |
Mit der eigenen Fremdheit habe sie sich erst durch das invasive | |
Daraufhinweisen ihrer Gegenüber beschäftigt, sagt sie bei einer | |
Veranstaltung am Österreichstand. Dass sie in diesem Jahr gleich zweimal | |
ein Land als dessen Autorin repräsentiert – neben Österreich in Leipzig | |
Slowenien als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse – ist ein | |
anschauliches Beispiel dieser eben nicht existenten Grenzen der Literatur. | |
Neben dem geräumigen, mit eigenem Kaffeehaus ausgestatteten Österreichstand | |
ist auf der Messe auch die Ukraine vertreten. Vom Standnachbarn Österreich | |
größtenteils ignoriert – Bundespräsident van der Bellen hielt sich in | |
seiner Rede bei der Messeeröffnung am Mittwoch peinlich genau an die | |
„immerwährende Neutralität“ seines Landes – wartet das vom Krieg gebeut… | |
Land mit einem vielfältigen Programm auf. | |
Es dauert etwas, bis das Geplapper leiser wird und die Reihen sich füllen | |
beim Gespräch mit Oksana Karpovych. Seit Beginn des russischen | |
Angriffskriegs schreibt die sonst als Fotografin und Filmemacherin tätige | |
Ukrainerin auf, was ihr in ihrer Heimatstadt Kyjiw und an den Kriegsfronten | |
begegnet. Zu grausam zunächst, um es mit der Kamera festzuhalten, boten ihr | |
Worte Zuflucht. | |
Mittlerweile sei der Krieg für Ukrainer*innen fast zu einer Normalität | |
geworden. Nur „mit der Dunkelheit kommt der Krieg näher, geht unter die | |
Haut“, schreibt Karpovych im Sammelband „Aus dem Nebel des Krieges“. | |
Irgendwann griff sie doch wieder zur Kamera; Fotos von zerstörten Häusern | |
und auf der Straße liegenden Körpern untermalen ihre Worte hier auf der | |
Messe, keine Tagesreise entfernt vom Krieg. | |
29 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Sophia Zessnik | |
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