# taz.de -- E-Fuels und Kernfusion: Söders Märchenstunde | |
> Klimaneutralität über den Preis herzustellen klappt nicht. Auch | |
> Kernfusion, Minireaktoren und E-Fuels sind reines Wunschdenken. Markus | |
> Söder und der FDP ist das egal. | |
Bild: Betreibt er mittlerweile seinen eigenen Minireaktor? | |
FDP und Union haben erstaunliche Ansichten, wie sich Klimaschutz umsetzen | |
lässt. So wird immer wieder der Eindruck erweckt, die Kernfusion könne eine | |
Lösung sein. In Bayern ist bekanntlich gerade Wahlkampf, weswegen die CSU | |
sogar eine eigene „Demonstrationsanlage für Kernfusion, beheimatet in | |
Bayern“ bauen will. | |
Dabei [1][käme die Kernfusion] viel zu spät, um das Klima zu retten. Unter | |
den Physikern gehen selbst Hyperoptimisten davon aus, dass die Kernfusion | |
frühestens „in Jahrzehnten“ gelingt. Diese Hyperoptimisten sind übrigens | |
selten. Die meisten Physiker winken ab, wenn sie den Begriff Kernfusion | |
hören. Denn bisher ist es noch nie gelungen, durch Kernfusion Nettoenergie | |
zu gewinnen. Stattdessen war die Fusion bisher ein Verlustgeschäft, weil es | |
sehr viel Energie kostet, Atomkerne zusammenzuzwingen. | |
Aber selbst wenn die Hyperoptimisten recht hätten, dass die Fusion in | |
ferner Zukunft tatsächlich Energie abwirft: Das deutsche Klimaschutzgesetz | |
sieht vor, dass wir schon 2045 klimaneutral sein müssen, damit wir die | |
gefährlichsten Klimakipppunkte noch vermeiden können. Bis 2045 wird aber | |
garantiert kein einziger Fusionsreaktor stehen. | |
Ähnlich weltfremd ist eine weitere Idee von Union und FDP: Sie trommeln | |
[2][für eine Renaissance der klassischen Atomenergie per Kernspaltung]. | |
CSU-Chef Markus Söder hofft vor allem auf „Minireaktoren“, die er natürli… | |
ebenfalls am liebsten in Bayern erforschen würde. Minireaktoren: Dieses | |
Konzept klingt futuristisch, ist aber in Wahrheit uralt. Schon in den | |
1950er Jahren träumte man vom „Kraftwerk in der Kiste“. Die Kleinreaktoren | |
sollten als Flugzeugantrieb dienen oder als „Babyreaktoren“ Räume heizen. | |
Es kam bekanntlich anders. Diese Art von Minireaktoren wurde nie gebaut, | |
und ein Grund war, dass auch sie strahlenden Atommüll hinterlassen, den | |
niemand in seinem Wohnzimmer oder in der Küche haben wollte. | |
Errichtet wurden stattdessen Großkraftwerke, die sich besser beherrschen | |
ließen. Aber auch dort kam es zu den sattsam bekannten Problemen: Für den | |
deutschen Atommüll gibt es bisher kein Endlager, und zudem wird der Bau | |
neuer Reaktoren immer teurer. | |
Was auch gern übersehen wird: Das Uran würde nur 13 Jahre lang reichen, | |
wenn man den ganzen Globus mit Kernenergie versorgen wollte, um die | |
fossilen Brennstoffe zu ersetzen und weltweit Klimaschutz zu betreiben. | |
Momentan ist die Atomenergie ein Nischenphänomen, das weniger als 5 Prozent | |
des globalen Endenergieverbrauchs abdeckt. | |
Aber technische oder physikalische Grenzen interessieren FDP und Union | |
nicht, [3][weswegen sie sich auch so sehr für E-Fuels begeistern] können. | |
Söder fürchtet um den „Industriestandort Bayern“, wenn es zu einem | |
Verbrenner-Aus kommt. Also sieht er „große Potenziale“ bei den | |
synthetischen Kraftstoffen. Doch leider ist es eine große | |
Energieverschwendung, Ökostrom in E-Fuels umzuwandeln. Der Wirkungsgrad | |
liegt bei ganzen 15 Prozent. | |
Nun könnte man es als Marotte abtun, dass FDP und Union so hartnäckig auf | |
Kernfusion, Atomkraft oder aber E-Fuels setzen, die unwahrscheinlich, | |
unerheblich oder ineffizient sind. Aber die beiden Parteien praktizieren | |
nur besonders ausgeprägt eine Weltfremdheit, die auch anderswo in der | |
Klimapolitik zu beobachten ist. Dieser Irrtum heißt: CO2-Preis. | |
## Technik wird ignoriert | |
Auf den ersten Blick wirkt die Idee sehr charmant, Treibhausgase mit einem | |
Preis zu versehen, sodass die „Mechanismen des Marktes“ wirken können. Es | |
fällt gar nicht auf, wie vermessen der Ansatz ist, dass ein einziger Preis | |
die gesamte Klimakrise lösen soll. Denn dahinter steht die Annahme, dass | |
sich die physikalischen Realitäten dem „Markt“ schon fügen werden. | |
Technische Probleme und Grenzen werden ignoriert. Die Vermutung ist, dass | |
der Preis alle relevanten Informationen enthält und alles steuern kann. | |
Damit agieren die Volkswirte, als wären sie Gott. Gott soll die Welt | |
erschaffen haben, und ein ähnliches Wunder wollen die Ökonomen nun auch | |
vollbringen. Sie setzen einen Preis – und schon soll sehr bald die | |
Klimaneutralität kommen. Ähnlich wahrscheinlich sind Engel. | |
Aber von vorn: Wenn wir bis 2045 klimaneutral sein wollen, muss es jetzt | |
sehr schnell gehen. Der CO2-Preis müsste in extrem kurzer Zeit rasant | |
steigen, damit 2045 niemand mehr auf die Idee kommt, Gas, Kohle oder Öl zu | |
verbrennen. Ein derartiger Ausstieg aus den fossilen Energieträgern wäre | |
problemlos, wenn genug Ökostrom zur Verfügung stehen würde, der relativ | |
günstig hergestellt werden kann. Wenn jedoch grüne Energie fehlt, wird der | |
Ausstieg brutal. | |
Die zentralen Fragen sind also technisch, nicht ökonomisch. Um nur einige | |
aufzuzählen: Wie viel Ökoenergie kann man in Deutschland maximal erzeugen? | |
Wie stark kann die Effizienz von Batterien oder Windrädern bis 2045 | |
zunehmen? Was kann die Industrie an Rohstoffen und Energie einsparen? Wie | |
aufwendig wäre der Import von Ökoenergie, die in der Sahara hergestellt | |
wird? | |
Die Antworten auf diese technischen Fragen sind zum Teil alarmierend. Erst | |
kürzlich hat eine Studie für das Wirtschafts- und Klimaministerium | |
ermittelt, dass Ökoenergie aus der Sahara bis zu 40-mal so teuer wäre wie | |
das fossile Öl, das heute in Saudi-Arabien gefördert wird. Ökoenergie | |
bleibt also knapp, womit sich klar erkennen lässt: Klimaschutz bedeutet | |
Verzicht, nicht grünes Wachstum. | |
Doch diese technischen Grenzen dürfen nicht wahr sein, und so setzt ein | |
Wunderglaube ein, der von einer religiösen Heilserwartung nicht weit | |
entfernt ist. Viele Ökonomen, Politiker und Wähler wollen unbedingt hoffen, | |
dass Klimaschutz nichts kostet und irgendwie vom Himmel fällt. Im Himmel | |
saß früher Gott, jetzt regiert dort der CO2-Preis. Und wie einst die | |
Apostel sind an seiner Seite Kernfusion, Atomkraft und E-Fuels aufgereiht. | |
12 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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