# taz.de -- Eis-Universität in Italien: Dolce Vita an der Uni | |
> Die Carpigiani Gelato University bei Bologna bildet seit 20 Jahren | |
> angehende Eismacher:innen aus. Ein Besuch auf dem süßesten Campus | |
> Italiens. | |
Bild: Dingelingeling – da kommt der Eis-wa-gen! Und zwar mit Softeis-Maschine… | |
Tal Krause kommt aus dem Hörsaal der [1][Carpigiani Gelato University] | |
(CGU), die im Industriegebiet von Anzola dell'Emilia liegt, einem Städtchen | |
unweit von Bologna. Auf dem Whiteboard steht noch das Thema der soeben | |
beendeten Stunde: „Hazelnut gelato“. Eine Theoriestunde, darüber, wie die | |
Haselnuss sein muss, damit sie im Eis ihren Geschmack und Geruch am besten | |
entfaltet. | |
Direkt vor dem Hörsaal liegt die Lehrküche, wo die Umsetzung in die Praxis | |
geprobt wird, in der es gerade nach Mango und Maracuja duftet und noch | |
etwas selbstgemachtes Eis aus der letzten Praxisstunde in der Tiefkühle | |
ist. | |
Natürlich ist jetzt Zeit für ein Pauseneis – Ehrensache. Krause löffelt ein | |
Mascarponeeis; es ist seine Lieblingssorte. Nach der Ausbildung möchte der | |
gebürtige Heidelberger eine eigene Eisdiele in New York eröffnen, wo er | |
eigentlich als Unternehmensberater arbeitet, und dort neue Sorten mit | |
Gewürzen aus aller Welt kreieren. Aber auch Wassermeloneneis möchte er | |
machen, das so gut schmeckt wie in dieser einen Eisdiele in Rom, an die er | |
immer noch zurückdenkt. | |
Er und seine Mitschüler:innen aus aller Welt sind nach Anzola | |
dell’Emilia gekommen, um an der privaten Uni das Eismachen zu erlernen. Der | |
Ort liegt in der fruchtbaren Poebene, in der neben Reis, Getreide und | |
Gemüse auch die Vorzeigemarken des „Made in Italy“ heimisch sind: | |
Parmigiano Reggiano, Lamborghini, Ferrari. Aber auch kleinere | |
Nischenunternehmen wie – zukünftige Gelatieri aufgepasst – etwa Carpigiani, | |
das 1946 in Bologna gegründete Unternehmen von Speiseeismaschinen. | |
Heute verkauft Carpigiani in 110 Ländern weltweit; die Maschinen stehen in | |
mehr als 200.000 Eisdielen, Bars und Restaurants auf der ganzen Welt. | |
## Eis machen lernen in vier Sprachen | |
Zwanzig Jahre ist es her, als bei Carpigiani die Idee entstand, hier auch | |
eine Eis-Universität zu eröffnen. „Wir wollten der Wissenschaft des | |
Eismachens eine gewisse Struktur geben“, erklärt Kaori Ito, Direktorin der | |
Carpigiani Gelato University, die argentinisch-japanischer Herkunft ist. | |
„Beim Eismachen handelt es sich um eine handwerkliche Tätigkeit, die in | |
Familien und von Kleinunternehmern ausgeführt wird. Das Wissen wird von | |
Vater zu Sohn, von Generation zu Generation weitergegeben.“ | |
Also versammelte Carpigiani einige der Maestri des Speiseeises in Anzola | |
dell’Emilia und begann, in Kursen die Kunst des Eismachens zu vermitteln. | |
Vor 20 Jahren war dies eine Neuheit, heute bieten verschiedene Strukturen | |
eine Ausbildung zum Gelatiere an. Aber Carpigiani ist eine der wenigen, die | |
nicht nur auf Italienisch, sondern auch auf Englisch, Französisch und | |
Spanisch unterrichten. | |
Zu den Kursen an der CGU kommen Menschen aus der ganzen Welt. Zu | |
beschreiben, wer sie sind, was sie alle gemeinsam haben, fällt Ito und | |
ihrem Kollegen Edoardo Zucchini deshalb schwer. Sie erklärt: „Manche von | |
ihnen arbeiten bereits in der Gastronomie, haben vielleicht schon ein | |
Familienrestaurant. Andere haben einen komplett anderen beruflichen | |
Hintergrund und möchten ihr Leben verändern. Was sie alle eint, ist die | |
Leidenschaft für gutes Eis.“ | |
Das gilt auch für Krause und seine Mitschüler:innen. Sie sind im | |
Fortgeschrittenenkurs, dem letzten des dreistufigen Modells nach Grund- und | |
Aufbaukurs. Bei der Zutatenkunde fängt alles an, dann geht es über | |
Zubereitungsmethoden und Hygieneregeln weiter zu Eisvarianten wie Sorbet | |
und Frozen Yoghurt bis hin zu laktose- und zuckerfreiem Eis. | |
Die morgendlichen Theorielektionen werden am Nachmittag in der Lehrküche | |
praktisch umgesetzt. So kann man in nur drei Wochen die Grundlagen der | |
Eismacherzunft lernen. 4.000 Euro kostet es, sich das Handwerk anzueignen. | |
„Der Anfang ist schnell gemacht, und danach vertieft man die Kenntnisse ein | |
Leben lang“, sagt Ito. | |
Pro Jahr bilden sich hier 6.000 Menschen weiter. Deutschland ist ein | |
wichtiges Land für die Gelato University, denn es ist der zweitgrößte Markt | |
für Eismanufakturen. „Weltweit gibt es etwa 100.000 solcher Eisdielen. | |
Davon sind 30.000 in Italien, etwa 30 Prozent des Weltmarktes! Der | |
zweitgrößte Markt ist Deutschland mit etwa 9.000 Eisdielen“, sagt Kaori | |
Ito, die Direktorin. | |
Ein Grund dafür ist sicherlich die enge Verbindung zwischen Deutschland und | |
Italien. Mit den Gastarbeiter:innen, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach | |
Deutschland kamen, hielt auch die italienische Lebensart hierzulande | |
Einzug. Besonders viele Eismacher:innen kommen aus dem Zoldo-Tal in den | |
Dolomiten, in dem schon im 19. Jahrhundert Speiseeis hergestellt wurde. Mit | |
ihren Eiskarren gingen die gelatieri zoldani auf Wanderschaft, eröffneten | |
auch in Deutschland erste Eiscafés. Viele tragen den klingenden Namen | |
„Eiscafé Venezia“ – eine Hommage nicht etwa an Venedig, sondern an das | |
Veneto, die Heimatregion der Eismacher:innen aus dem Zoldo-Tal. | |
## Der neueste alte Schrei: Softeis | |
Während manche dieser Eisdielen noch den Charme vergangener Jahrzehnte | |
versprühen, folgen andere stets den aktuellen Ernährungstrends. Ito nennt | |
sie die „ohne“-Trends. Also ohne Kuhmilch, ohne Zuckerzusatz, ohne | |
tierische Produkte. Außerdem entdecken immer mehr Restaurants Speiseeis | |
wieder. Natürlich in einer neuen Form, beispielsweise in elegante Türmchen | |
gespritzt oder in Geschmacksrichtungen, die Süßes, Fruchtiges und | |
Herzhaftes miteinander verbinden. | |
Ein besonderer Trend, so Ito, ist hochwertiges Softeis – „Premium Soft“ | |
nennt sie es. „Wir assoziieren Softeis oft mit Fast-Food-Ketten, mit Eis | |
für 85 Cent pro Portion. Jetzt erleben wir ein Comeback von Gourmet-Softeis | |
in hoher Qualität und mit sorgfältig kurierter Ästhetik.“ Denn das | |
Besondere an Softeis: Wegen seiner weicheren Konsistenz kann es in viele | |
verschiedene Formen gebracht werden – die unterschiedlichen Ausgabetüllen | |
an der Softeismaschine erlauben künstlerische Dekorationen und hochelegante | |
Eistüten. | |
Ist dieses Übermaß an Ästhetik, die perfekt gezwirbelte und makellose Creme | |
nicht genau das Problem an Softeis? Und dann noch diese Erinnerung, die | |
jedes Softeis essende Kind machte und nicht vergessen hat, dass es nämlich | |
süß und künstlich schmeckt? | |
Die elegante, zweifarbige Eistüte, die CGU-Dozent Andrea De Bellis in einer | |
der Lehrküchen der Gelato University reicht, soll vom Gegenteil überzeugen | |
und tut es auch. Auf der schlanken Waffel sitzt eine Rose aus | |
himbeerfarbenem Softeis, gekrönt von einem elegant aufsteigenden | |
cremefarbenen Eiswirbel aus der typisch italienischen Vanillecreme mit Ei | |
und Zitronenschale. Und wirklich, das Crema-Eis schmeckt milchig und | |
zitronig und nicht künstlich, die Himbeere ist leicht säuerlich und frisch. | |
Beim Öffnen der Softeismaschine, in der die flüssige Himbeermasse | |
verarbeitet wird, steigt der Geruch von Himbeeren auf – echten Himbeeren. | |
Sie sind die Hauptzutat. | |
Dank der internationalen Studierenden an der CGU fällt der Blick auch auf | |
die Eis-Vorlieben in aller Welt. „In Japan gibt es gerade den Trend, erst | |
mit Freunden etwas trinken zu gehen und zum Abschluss des Abends ein Eis zu | |
essen. Es gibt Eisdielen-Cocktailbars, die sich darauf spezialisiert | |
haben“, sagt Ito. Manchmal erlaube die Zusammensetzung der Gelato-Klassen | |
sogar vorherzusagen, in welchen Ländern Eis als nächstes boomen wird. | |
„Bevor die Märkte in Australien und Polen gewachsen sind, haben wir | |
gemerkt, dass sich besonders viele Personen aus diesen Ländern bei uns | |
eingeschrieben haben“, sagt Ito, „und jetzt gerade kommen immer mehr | |
Schüler aus südostasiatischen Ländern.“ | |
Eigentlich ist Anzola dell'Emilia ein ruhiges Städtchen mit 12.000 | |
Einwohner:innen. Der Bus aus Bologna kommt zwei Mal in der Stunde vorbei. | |
Dank der Studierenden jedoch geht es im beschaulichen Ort international zu. | |
In der Gelato University begegnet man angehenden Eismacher:innen aus | |
Thailand und der Schweiz, einer Schulklasse aus einer belgischen | |
Konditoreischule auf Klassenfahrt, und der Direktorin, die Argentinien und | |
Japan mit Europa verbindet. | |
Sie erzählt von einem neuen Kurs, „Gelato and Tea“, den die CGU gemeinsam | |
mit der UK Tea Academy ins Leben gerufen hat. „Mit Kursen wie diesem | |
versuchen wir, die Branche ein wenig zu inspirieren und über die bekannten | |
Pfade hinauszugehen. Wir möchten Innovation in unserer Branche | |
vorantreiben“, sagt Ito. | |
Die Studierenden aus dem Fortgeschrittenenkurs, deren Unterrichtspause | |
gleich zu Ende ist, haben jedenfalls schon recht klare Ideen, welche Art | |
Gelato sie in Zukunft herstellen möchten. „Ich möchte Eis mit den | |
besonderen Zutaten aus meiner Region machen“, sagt die Schweizerin Sandra | |
Anliker, die gemeinsam mit ihrem Bekannten Peter Limacher aus Luzern | |
gekommen ist, um die Kunst des Eismachens zu lernen. | |
## Eis im Sommer, Käse im Winter | |
Er ist eigentlich Käser, sie wiederum stellt handgemachte Seifen her. Aber | |
in der Sommerhitze auf den Märkten läuft der Käse nicht besonders. Deshalb | |
wollen die beiden nun Eis aus der eigenen Milch herstellen, und zwar ganz | |
besondere Sorten. „Rahmtäfeli glacé“ möchte Anliker verkaufen, also Eis … | |
dem Geschmack von Schweizer Rahmkaramellbonbons. Oder mit Apfelmus, „einer | |
Schweizer Spezialität!“, sagt sie mit Begeisterung. | |
„Wenn wir Eis essen, suchen wir letztlich eine schöne Erinnerung aus | |
unserer Kindheit“, sagt Ito. Ihre Lieblingssorten sind Grüner Tee und Dulce | |
de Leche – eine Hommage an die beiden Länder, die sie kulturell prägten. | |
Ihr Kollege Zucchini hingegen liebt Zabaione-Eis: „Hier in der Region | |
verwenden wir viel Ei. Deshalb mag ich so gern Zabaione, schon als Kind | |
durfte ich es ab und zu essen, trotz des Alkoholgehalts.“ | |
Was Ito hingegen niemals essen würde? „Ein Eis, das so hoch gestapelt ist“, | |
sagt sie und misst mit den Händen einen imaginären Haufen mit dutzenden | |
Eiskugeln ab. „Bei solchen Eisdielen sieht man schon von weitem, dass es | |
sich nicht um gute Qualität handelt.“ Zucchini fügt hinzu: „Oder auch Eis | |
in zu grellen Farben. Da sind Farb- und Zusatzstoffe drin. Wenn es nicht | |
nach Qualität aussieht, möchte ich es nicht probieren.“ | |
Er empfiehlt, bei der Eisdielenwahl auf saisonal wechselnde Eissorten zu | |
achten. „Wenn eine Gelateria rund ums Jahr Erdbeereis anbietet, weiß man, | |
dass sie nicht immer frische Zutaten benutzen.“ Wenn Eissorten hingegen | |
immer wieder wechseln und auch mal ausgehen, sieht er das als gutes | |
Zeichen. Das bedeutet nämlich, dass das Eis vor Ort in kleinen Mengen von | |
professionellen Eismacher:innen frisch zubereitet wird – vielleicht | |
sogar von Alumni der Gelato University. | |
7 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.gelatouniversity.com/it/home | |
## AUTOREN | |
Judith Eisinger | |
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