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# taz.de -- Alltagsgegenstände mal anders: Ein Behälter für Vanille und Ged�…
> Eis aus der Literpackung ist großartig. Und die leeren Schalen sind nicht
> so sinnlos, wie sie scheinen. Man muss nur kreativ sein.
Bild: Kurzer Weg zur privaten Ein-Sorten-Eisdiele
Auf dem Heimweg von der Schule nach Hause war ich als Kind eher verträumt
unterwegs. Zwar brauchte ich nur wenige Straßen zu überqueren, doch lieber
balancierte ich auf dem Randstein neben der grünen Wiese, statt mich zu
beeilen.
Erst wenn mein Magen zu knurren begann, beschleunigte ich meinen Gang. Zu
Hause gab es dann Karottenreis mit Hähnchen oder Spaghetti Bolognese, und
an Sommertagen wartete noch etwas im Gefrierfach auf mich: Eis. 900, 1.000
oder sogar 2.500 Milliliter Vanille, Stracciatella oder Walnuss, in großen
Plastikschalen aus dem Supermarkt. Zwei bis drei große Löffel davon in ein
Gläschen und fertig war der Nachtisch. Manchmal kippte mir mein Vater auch
ein wenig Karottensaft hinein, für den guten Geschmack.
Diese großen Eispackungen waren fester Bestandteil meiner Sommerferien, von
denen ich die meisten Wochen zu Hause in Berlin verbrachte. Zurück vom
Schwimmen im Schlachtensee, vom Basketballspielen oder vom Abhängen mit
Freunden, das Eis lag im Gefrierfach. Es war ein kurzer Weg zu meiner ganz
privaten Ein-Sorten-Eisdiele.
Und dann begann es wieder früher zu dämmern, die Pullover wurden
hervorgekramt und das letzte Eis des Jahres wurde verzehrt.
Was blieb, waren die Verpackungen. Ausgewaschen und im Regal verstaut. Nun
boten sie Platz für Münzen und Malsachen, auch als Brotbox auf Wandertagen
waren sie oft mit dabei. In einem Design, das immer mal wieder verändert
wurde, aber so ikonisch blieb wie Fußballtrikots.
Und wie Trikots kann man die Eisschalen auch sammeln. Die neue Mövenpick
Mango zum Beispiel, aus angeblich hundertprozentig [1][recyclebarem
Plastik], eine Mucci Selection Premium Walnuss von Aldi oder die zeitlose
Gelatelli Bourbon Vanille von Lidl. Mittlerweile lebe ich zwar nicht mehr
im Haushalt meiner Kindheit, treffe die Eisschale im Alltag aber trotzdem
oft wieder. In einem vietnamesischen Restaurant in Berlin-Schöneberg steht
eine als Zahlteller für die Selbstabholer und eine weitere als
Spülwasserbehälter in der Küche. Auch hinter den Kulissen der Volksbühne
München bekommt sie eine neue Bestimmung. In der Kostümbildabteilung nutzen
die Mitarbeitenden sie als Behälter für Nähzeug. Ist die Eisverpackung aus
Plastik etwa die neue dänische Keksdose?
Bereits Produziertes anders zu nutzen, um gegenwärtige (Ordnungs-)Probleme
zu lösen, statt etwas gänzlich Neues zu erfinden: Der französische
Anthropologe [2][Claude Lévi-Strauss] wäre glücklich über die
Eisverpackung. Er war ein großer Befürworter der Spielerei, der Bastelei,
des sogenannten „Bricolage“.
Der Bricoleur agiert innerhalb einer begrenzten Verfügbarkeit von
Materialien und Werkzeugen, er befürwortet Improvisation, Kombination und
Neuinterpretation. Alte Eisschalen auszuspülen und weiterzunutzen, statt
Brotboxen aus „gerettetem“ Meeresplastik zu kaufen, ist genau das. Die
Wertschätzung von Rohstoffen, eine kreative Art des Denkens. Und
konservierte Erinnerung.
28 Aug 2023
## LINKS
[1] /Recycling/!t5011456
[2] /Biographie-von-Claude-Levi-Strauss/!5500208
## AUTOREN
Jean Dumler
## TAGS
Upcycling
Alltagsleben
Alltagskultur
Kolumne Digitalozän
Schwerpunkt Klimawandel
Italien
Pinocchio
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