# taz.de -- Baltikum-Äußerung von Diplomat Chinas: Wolfskrieger sorgt für Ek… | |
> China bekräftigt nach der umstrittenen Äußerung eines Botschafters seine | |
> Anerkennung der Souveränität baltischer Staaten. Doch es bleiben Zorn und | |
> Zweifel. | |
Bild: Lu Shaye, Chinas Botschafter in Frankreich | |
PEKING taz | Chinas Außenamtssprecherin Mao Ning war am Montag sichtlich um | |
Schadensbegrenzung bemüht. „China respektiert den Status der früheren | |
Sowjetrepubliken“, sagte sie vor der Presse in Peking. Damit wies sie | |
indirekt die Äußerungen von Chinas Botschafter in Frankreich, Lu Shaye, | |
zurück, die für einen Streit mit der EU sorgen. | |
Doch die Gemüter wird sie kaum beruhigen können. Am Freitag hatte der | |
Botschafter im französischen Fernsehsender LCI den Status der | |
[1][Ex-Sowjetrepubliken] als souveräne Nationen infrage gestellt. Ob die | |
Krim zur Ukraine gehöre, hänge davon ab, wie man das Problem betrachte, | |
sagte er zunächst. | |
Auf Nachfrage des Moderators ließ Lu dann eine rhetorische Bombe platzen: | |
„Im Völkerrecht haben selbst die Länder der Ex-Sowjetunion keinen | |
effektiven Status, weil es kein internationales Abkommen gibt, um ihren | |
Status als souveränes Land zu konkretisieren.“ | |
Die Entrüstung war absehbar. Vor allem die baltischen Staaten, die gegen | |
ihren Willen von der UdSSR annektiert wurden, reagierten erzürnt. Lettlands | |
Außenminister Edgars Rinkevics bezeichnete Lus Worte als „völlig | |
inakzeptabel“ und bestellte den Geschäftsträger von Chinas Botschaft in | |
Riga ein. 80 EU-Parlamentarier forderten in einer Petition, Lu Shaye | |
auszuweisen. Der Meinung schloss sich auch Michael Roth (SPD), der | |
Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, an. Er | |
bezeichnete Lus Worte als „absolute Grenzüberschreitung und eine | |
Infragestellung des Völkerrechts“. | |
## Der auftrumpfende Nationalismus unter Xi Jinping | |
Er sorgt auch nicht das erste Mal für einen Eklat und ist zudem in seiner | |
Art kein Einzelfall, sondern nur ein ausgeprägter Typ des „Wolfskriegers“: | |
So werden in China polternde Diplomaten genannt, die unter [2][Staatschef | |
Xi Jinping] wegen ihre auftrumpfenden Nationalismus befördert wurden. | |
Oft ist ihre Art nicht im Sinn guter Beziehungen zum Gastland, doch das | |
Publikum sitzt daheim: Wolfskrieger wie Lu Shaye wollen dem Volk beweisen, | |
dass sie sich vom Westen keine Kritik mehr gefallen lassen, sondern selbst | |
kontern können. | |
Doch jetzt ist der Botschafter wohl zu weit vorgeprescht: Seine eigene | |
Botschaft, die das Transkript seines Interviews zunächst auf ihrem | |
WeChat-Account publizierte, musste es bald löschen. | |
Doch glauben viele Kommentatoren nicht an einen spontanen Fauxpas. „Es ist | |
höchst unwahrscheinlich, dass Lu […] nicht als führender Wolfskrieger des | |
chinesischen diplomatischen Corps losgelassen wurde“, schreibt Alex Lo in | |
Hongkongs South China Morning Post. | |
## Warnen Lus Worte indirekt vor einer Annäherung an Taiwan? | |
Er sieht Lus Worte als gezielte Warnung an die baltischen Staaten. Denn | |
Lettland, Litauen und Estland haben in den letzten Jahren nicht nur | |
zunehmend China den Rücken zugekehrt, sondern auch ihre Beziehung zum | |
demokratisch regierten Inselstaat Taiwan forciert. Nun müssten sie mit den | |
Konsequenzen leben, schreibt Lo in seiner an Zynismus kaum zu überbietenden | |
Kolumne: „Peking schert sich zwar einen Dreck um deren ‚internationalen | |
Status‘ und sieht auch keine Vorteile darin, Putin dabei zu helfen, sich | |
auf dem alten sowjetischen Spielplatz zu profilieren. Aber der Westen | |
sollte es sich noch einmal überlegen, ob er in Bezug auf Taiwan mit dem | |
Feuer spielt.“ | |
Auf den chinesischen Online-Plattformen wird Lu Shaye für seine Kontroverse | |
nahezu ausschließlich umjubelt. „Ich unterstütze Botschafter Lu an allen | |
Fronten“, lautet einer der Postings mit dem meisten Likes. Ein anderer User | |
meint: „Ich denke, was Botschafter Lu gesagt hat, ist ziemlich gut und | |
logisch“. | |
Zumindest einen Verdienst muss man dem streitlustigen Diplomaten lassen: Im | |
Gegensatz zu fast allen seiner Amtskollegen lässt sich Lu Shaye regelmäßig | |
auf kritische Interviews ohne abgesprochene Fragen ein. Viele | |
Kommentatoren, darunter der einflussreiche Publizist Hu Xi Jin von der | |
Staatszeitung Global Times, fordern deshalb, dass man Lu wegen seiner | |
Offenheit nicht bestrafen solle. Seine Äußerungen sollten „durch die | |
Meinungsfreiheit“ gedeckt werden, kommentierte Hu. | |
24 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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