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# taz.de -- Wahl von Kai Wegner in Berlin: Berlin liegt nicht in Thüringen
> Kai Wegner ist neuer Regierender Bürgermeister. Die AfD behauptet, für
> ihn gestimmt zu haben. Aber war es wirklich ein Dammbruch?
Bild: Kai Wegner hat sich sicherlich selbst gewählt. Aber woher kamen die ande…
Berlin taz | Kaum hatte die Berliner AfD-Fraktion am Donnerstagnachmittag
verkündet, man habe den [1][CDU-Kandidaten Kai Wegner] zum Regierenden
Bürgermeister gewählt, war die Aufregung groß – ganz besonders auf dem
Empörungskurznachrichtendienst Twitter. „Ein Tag der Schande“, postete der
Fraktionschef der Linken im Abgeordnetenhaus, Carsten Schatz. „Wenn Wegner
diese Wahl annimmt, stürzen CDU und SPD in Berlin die deutsche Demokratie
in eine schwere Krise“, schrieb Jan-Philipp Albrecht, der Vorsitzende der
Heinrich-Böll-Stiftung.
„Wegner lässt sich ohne Skrupel vereidigen, trotz des Verdachts,
Regierender Bürgermeister von Gnaden der AfD-Faschos zu sein“, twitterte
Jan Korte von der Linkspartei. Und fügte hinzu: „Der CDU macht das nichts
aus, das wissen wir seit Kemmerich.“
Korte war nicht der Einzige, der eine Parallele zum 5. Februar 2020 in
Erfurt zog – als Thomas Kemmerich, der Landeschef der FDP, mit den Stimmen
seiner Fraktion und von CDU und AfD zum Kurzzeitministerpräsidenten von
Thüringen gewählt wurde. Aber trägt der Vergleich?
[2][Kai Wegner ist am Donnerstag in Berlin im dritten Wahlgang gewählt
worden.] In diesem Wahlgang reicht die einfache Mehrheit, Wegner brauchte
also mehr Ja- als Nein-Stimmen. Im konkreten Fall waren das 71, denn 70 der
Abgeordneten stimmten gegen ihn. Der CDU-Kandidat erhielt 86 Stimmen. Und
damit genauso viele, wie die Koalition aus CDU und SPD Abgeordnete hat.
## Die AfD ist Propagandapartei
Es ist nicht besonders gewagt zu vermuten: Hätte die AfD nicht ihr Gift
verspritzt, wäre die weitverbreitete Einschätzung anders gewesen. Nämlich
so: Am Ende haben über das Bündnis entsetzte Sozialdemokrat*innen
ihren Unmut hinten angestellt und sich der staatspolitischen Verantwortung
und dem Votum ihrer Parteibasis gebeugt. Zumal Wegner die 71 Stimmen, die
im dritten Wahlgang von Nöten waren, im ersten bereits bekommen hatte; im
zweiten waren es sogar 79. Es spricht also wirklich nicht viel dafür, dass
Wegners Wahl von den Stimmen der AfD abhängig war.
Hinzu kommt: Die AfD ist eine Propagandapartei, wie es der
Kommunikationsexperte Johannes Hillje nennt: „Halbwahrheiten sind ihr
Hauptgeschäft.“ Man könnte auch sagen: [3][Auf die Aussagen der AfD sollte
man besser nichts geben.] Das gilt auch für die zehn Namen, die jetzt als
vermeintliche Unterstützer*innen Wegners genannt werden.
Doch die AfD hat nun einmal in Berlin ihr Gift verspritzt – und weil die
Wahl eine geheime ist, wird niemand sagen können, wie es nun zu der
Mehrheit für Wegner kam. Eine Restunsicherheit bleibt. Und die Berliner AfD
kann sich über einen Coup freuen. Das zumindest hat sie mit ihren Thüringer
Parteifreunden 2020 gemein.
Aber sonst? Gibt es vor allem Unterschiede. Der wichtigste: In Erfurt hat
sich der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow am 5. Februar 2020 der
Wiederwahl gestellt, ohne eine eigene Mehrheit zu haben.
## Wird Wegner und Giffey das nachhängen?
Ramelow wollte eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung anführen, der im
Landtag vier Stimmen fehlen. Wegner dagegen hat ein Bündnis mit einem
ausverhandelten Koalitionsvertrag hinter sich, das im Abgeordnetenhaus über
eine satte Mehrheit verfügt – das gilt trotz zahlreicher frustrierter
Sozialdemokrat*innen. Immerhin hat die Basis, wenn auch knapp, den
Koalitionsvertrag angenommen.
Wegner hatte zudem keinen Gegenkandidaten. Und: Wer in Thüringen für
Kemmerich stimmte, wusste, dass dieser nur mit den Stimmen der AfD
erfolgreich sein kann. Warnungen vor einem taktischen Move der AfD gab es
damals durchaus, CDU und FDP schlugen sie in den Wind. Und so wählte die
AfD am 5. Februar 2020 im dritten Wahlgang nicht den eigenen Kandidaten,
sondern mit FDP und CDU Kemmerich – und damit den ersten
Ministerpräsidenten von Gnaden der AfD. Das war ein Dammbruch. Und nicht
vergleichbar mit dem, was am Donnerstag im Berliner Abgeordnetenhaus
geschehen ist.
Ganz grundlos aber ist die Empörung über CDU und SPD in Berlin aber auch
nicht. „Das schwere Versäumnis von SPD und CDU ist es, dass sie den
fruchtbaren Boden für die Halbwahrheiten der AfD geschaffen haben“, meint
Kommunikationsberater Johannes Hillje. „Darauf wachsen und gedeihen sie
jetzt.“
Ob Wegner und seiner SPD-Verbündeten [4][Franziska Giffey] das nachhängen
wird? Vermutlich nur, wenn ihre Politik dazu Anlass bietet.
28 Apr 2023
## LINKS
[1] /Wahl-von-Kai-Wegner-in-Berlin/!5927693
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[3] /Wahl-von-Kai-Wegner-in-Berlin/!5931160
[4] /Fehlstart-von-Schwarz-Rot-in-Berlin/!5931224
## AUTOREN
Sabine am Orde
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