# taz.de -- Strafunmündigkeit von unter 14-Jährigen: Der Schutzraum muss blei… | |
> Die Idee, die Strafmündigkeit von Kindern individuell zu bestimmen, ist | |
> perfide. Ethisch vertretbarer wäre ein Smartphone-Verbot für Kinder unter | |
> 14. | |
Bild: Heute bestimmen Smartphones die Welt der Heranwachsenden – früher reif… | |
HAMBURG taz | Es läuft gerade mal wieder eine Kampagne für die Absenkung | |
der Strafmündigkeit: Nach dem früheren Uni-Hamburg-Präsidenten Dieter | |
Lenzen regte auch Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) | |
an, [1][die Strafmündigkeit zu individualisieren.] „Vielleicht müssen wir | |
dazu kommen, dass zwar die grundsätzliche Strafunmündigkeit bei unter | |
14-Jährigen weiter gilt, wir aber in Einzelfällen, wenn die entsprechende | |
Reife vorhanden war, auch Ausnahmen machen können“, [2][sagte sie dem | |
Hamburger Abendblatt.] | |
Auf Antrag der FDP im Kieler Landtag soll Prien am Donnerstag im | |
Bildungsausschuss sagen, wie sie „beim Thema Strafmündigkeit konkret | |
vorgehen“ wolle. Betitelt ist der Tagesordnungspunkt mit „[3][Weitere | |
Konsequenzen aus dem Fall Heide]“. Damit ist ein Vorfall vom 21. Februar | |
gemeint, bei dem eine 13-Jährige von Mitschülern gequält und dabei gefilmt | |
wurde. Medial bekannt aber wurde die Tat erst vier Wochen später, kurz | |
nachdem in Nordrhein-Westfalen Mädchen eine Schülerin getötet hatten. Beide | |
Male waren die Täterinnen unter 14, zu jung für die Strafmündigkeit. | |
Seither [4][hat das Thema Konjunktur]. Selbst der NDR war sich nicht zu | |
schade, die Bevölkerung via Infratest fragen zu lassen, was sie von der | |
Senkung der Strafmündigkeit auf zwölf hält, die es übrigens zuletzt in der | |
Nazizeit gab. Erschreckende zwei Drittel der Befragten finden das richtig. | |
Da kommt so ein abwägendes „vom Einzelfall abhängig machen“ à la Prien u… | |
Lenzen glatt milde daher. Ist es aber nicht. Denn das Wesen einer | |
Schutzfrist ist, dass sie für alle Kinder gilt. De facto würde dieser | |
Schonraum für Kindheit damit abgeschafft. Und es ist davon auszugehen, dass | |
es die eh Schwachen trifft, weil Kinder reicher Eltern sich im Zweifel | |
teure Anwälte und Gutachten leisten. | |
## Die Fachwelt lehnt eine frühere Strafmündigkeit ab | |
Überhaupt ist die Frage, wer die von Prien lancierte „entsprechende Reife“ | |
hat? Dass junge Menschen generell heute reifer sind als früher, ist | |
unbelegt. Das führt zum Beispiel der [5][Deutsche Anwaltsverein in einer | |
Stellungnahme] aus. Wie sollte das auch gehen? Kinder haben heute nur | |
früher mehr Zugang zu Medien und Informationen. Sie können Filmchen machen | |
und durch die Gegend senden. Aber sollen sie für die technische Entwicklung | |
büßen? Haben sie deshalb plötzlich eine schnellere Gehirnentwicklung, die | |
es ermöglicht, die Folgen ihres Handelns wirklich abzuschätzen? | |
Ethisch vertretbarer als ein Senken der Strafmündigkeit wäre – wenn schon �… | |
ein Smartphone-Verbot für alle Kinder unter 14. Das simple Telefon-Handy | |
könnte es ja weiter geben. So ein Verbot schafft zwar neue Probleme, aber | |
nicht so schlimme wie Gefängnis für Kinder. | |
Ohnehin wurde den Kindern [6][in der Pandemie sehr viel zugemutet]. Die | |
jetzige Phase danach eignet sich nicht für verschärfte Repression. Nötig | |
sind gute Betreuungsschlüssel. Erwachsene, die ein offenes Ohr für die | |
Sorgen des Nachwuchses haben, eine Schule, die Kinder ermutigt und nicht | |
beschämt. | |
Dass es fiese Taten von Kindern gibt, lässt sich in einem Land mit 83 | |
Millionen Einwohnern nicht zu 100 Prozent verhindern. Die langfristige | |
Statistik zeigt jedoch, dass die Anzahl der tatverdächtigen jungen Menschen | |
zurückging, darauf verweist zum Beispiel der Kriminologe Andre Schulz von | |
der Hamburger [7][Nothern Business School]. Die Annahme, dass die Zahl | |
delinquenter Kinder ständig steige und dass sie immer früher immer brutaler | |
würden, sei „falsch“ und Folge unseriöser Medienberichte. | |
Für Schulz ist die Senkung der Strafmündigkeit eine „Phantomdebatte“. Die | |
Fachwelt diskutiere dies nicht, denn es würde nicht zu weniger Kriminalität | |
führen, schon gar nicht bei der Jugend. Die Dunkelfeldforschung, so Schulz, | |
zeige, dass 90 Prozent der Menschen in Kindheit und Jugend mal wegen | |
Bagatelldelikten auffällig wurden. Das hatte aber nicht zur Folge, mit der | |
Polizei in Berührung zu kommen. | |
Mal angenommen, das letztere ändert sich. Es gäbe volle Gefängnisse. | |
4 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.abendblatt.de/hamburg/article238025039/Muessen-Kinder-frueher-s… | |
[2] https://www.t-online.de/region/hamburg/id_100160504/misshandelte-13-jaehrig… | |
[3] https://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl20/umdrucke/01300/umdruck-20-01348… | |
[4] /Mord-unter-Kindern/!5919016 | |
[5] https://anwaltauskunft.de/magazin/gesellschaft/strafrecht-polizei/strafmuen… | |
[6] /Psychologin-ueber-Kinder-in-der-Pandemie/!5846688 | |
[7] https://www.nbs.de/die-nbs/aktuelles/news/details/news/kinder-immer-juenger… | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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