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# taz.de -- Atomkraft in Finnland: Problem-Reaktor geht ans Netz
> Olkiluoto-3 geht nach fast zwei Jahrzehnten Bauzeit in Betrieb. Finnland
> plant mit 60 weiteren Jahren Atomstrom.
Bild: Das finnische Atomkraftwerk Olkiluoto-3
Stockholm taz | „Vihdoinkin!“, „Na endlich!“: „Darauf haben wir lange
gewartet“, zeigte sich Johanna Aho am Donnerstag im finnischen öffentlichen
Rundfunksender TV YLE erleichtert. Wobei sie diesmal nicht zu früh Hurra
rufen wolle, schränkte die Kommunikationschefin des AKW-Betreibers
Teollisuuden Voima Oy (TVO) ausdrücklich ein: „Ich möchte den Zeitpunkt
abwarten, an dem die Stromerzeugung auch tatsächlich anläuft. Auf jeden
Fall sind wir aber jetzt im Endspurt.“
Während Deutschland aus der Atomkraft aussteigt, stockt Finnland seine
Atomstromproduktion auf. Viereinhalb Jahrzehnte nach Inbetriebnahme der
bisherigen vier finnischen Reaktoren soll in der Nacht zum Sonntag der
fünfte seinen regulären Betrieb aufnehmen. Es wird der bislang
leistungsstärkste, teuerste und der mit der längsten Bauzeit: Olkiluoto-3.
Geht alles nach Plan, wird Finnland sich mit diesem in Frankreich
entwickelten Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) weitere 60 Jahre von
Atomstrom abhängig machen.
„Finnlands größtes Klimaprojekt“ oder „das mächtigste Atomkraftwerk der
Welt“, wie die PR-Abteilung der Betreiberfirma abwechselnd schwärmt, wird
mit seinen dann drei Reaktoren auf der Ostseeinsel Olkiluoto in den
kommenden Jahren für rund 30 Prozent der finnischen Stromproduktion stehen.
Der neue dritte Reaktor mit seinen 1.600 Megawatt Leistung allein für 14
Prozent.
## Lange Bauzeit, zahlreiche Pannen
Warten musste man darauf wahrlich lange genug. Den Auftrag für den damals
ersten Reaktorneubau Europas seit mehr als einem Jahrzehnt hatte das
Baukonsortium mit der französischen Areva und dem deutschen Siemens-Konzern
2003 bekommen. Nach dem Baubeginn 2005 war mit einer Inbetriebnahme im Jahr
2009 gerechnet worden. Doch die Fertigstellung verspätete sich um 14 Jahre.
Mit geschätzt 12 Milliarden Euro wurde der Bau auch rund viermal so teuer
wie kalkuliert.
Was allerdings noch relativ preisgünstig ist im Vergleich zum EPR im
französischen Flamanville, dessen Bau im Jahre 2007 begonnen hatte. Hier
kauten letzte Schätzungen des französischen Rechnungshofs auf Kosten von
19,1 Milliarden Euro. Die schon mehrfach verschobene Inbetriebnahme ist nun
für das Frühjahr 2024 geplant.
Für den dritten Olkiluoto-Reaktor hatte die finnische Atomaufsichtsbehörde
bereits im März 2019 die Betriebsgenehmigung erteilt. Und nach Beginn des
Probebetriebs im Dezember 2021 war eigentlich damit gerechnet worden, dass
dieser ab Juni letzten Jahres seine reguläre Produktion werde aufnehmen
können.
Die Pannenserie, die den Bau von Anfang an verspätet und verteuert hatte,
hielt an. Im Turbinensystem wurden lose Teile gefunden und bei den von
Siemens gelieferten Speisewasserpumpen Schäden entdeckt. Dann gab es
Probleme mit der Steuerungstechnik und zuletzt mit dem Ventilsystem.
Aufwändige Reparaturen wurden schon vor Aufnahme des Regulärbetriebs
notwendig. Die nicht eingeplante Stromlücke musste mit teurem Importstrom
gedeckt werden, was sich in der Haushaltskasse der FinnInnen empfindlich
bemerkbar machte. Zeitweise zahlten sie die höchsten Stromtarife in
Nordeuropa.
Für finnische Verhältnisse sind so große Kraftwerke ganz einfach
problematisch, sagt Juhani Hyvärinen, Professor für Energietechnik an der
Universität Lappeenranta. Produktionsausfälle oder -schwankungen führten
dann nämlich schnell zu großen Störungen im Netz. Aber Helsinki will
offenbar für mehrere weitere Jahrzehnte auf Atomkraft setzen.
## Die Grünen in Finnland sind für Atomkraft
Die insgesamt fünf Reaktoren an den AKW Standorten Olkiluoto und Loviisa
stehen für rund 40 Prozent der Stromproduktion des Landes. Vor zwei Monaten
verlängerte die sozialdemokratisch geführte [1][Regierung von Sanna Marin]
auch die Betriebslizenz für die beiden Reaktoren sowjetischer Bauart des
AKW Loviisa bis zum Jahr 2050. Die waren 1977 bzw 1981 ans Netz gegangen
und würden dann rund 70 Jahre in Betrieb sein.
Hatten die finnischen Grünen noch 2002 aus Protest gegen die Genehmigung
des Reaktorprojekts Olkiluoto-3 die Regierung verlassen, erhoben sie als
Teil der letzten Koalitionsregierung weder Einwände gegen die
Inbetriebnahme dieses Reaktors noch zu den Laufzeitverlängerungen. Auch zum
möglichen [2][Bau neuer Kleinreaktoren] (SMR) würde man wohl nicht Nein
sagen.
Im Parteiprogramm für die Legislaturperiode 2023-2027 heißt es zum Thema
Atomkraft: „Zu einer nachhaltigen Energiepalette gehört die Kernkraft.“
Und: „Wir werden den derzeitigen finnischen Kernreaktoren eine Genehmigung
zur weiteren Stromerzeugung erteilen, wenn die Behörde für nukleare
Sicherheit den Weiterbetrieb für sicher hält. Wir werden das
Kernenergiegesetz erneuern und die Regelung insbesondere für kleine
Kernreaktoren flexibler gestalten, ohne die Sicherheit zu beeinträchtigen.“
15 Apr 2023
## LINKS
[1] /Rechtsruck-in-Finnland/!5925638
[2] /AKWs-vom-Fliessband/!5720692
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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