Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Eine neue Verkehrspolitik ist nötig: Hamburg braucht Tempo 30
> In Hamburg erstickt die Debatte um Tempo 30 im alten Mantra von Hafen und
> Infrastruktur. Es ist höchste Zeit, die Stadt daraus zu befreien.
Bild: Könnte man ja wenigstens mal ausprobieren: Tempo 30 auch auf Hamburgs St…
Kürzlich war ich in Lychen, Brandenburg, und erkannte, dass Reisen
tatsächlich bildet. Man sieht Unvertrautes und betrachtet das Eigene mit
neuen Augen. Ich sah, dass es auf Erden möglich ist, in einer deutschen
Kommune Tempo 30 nahezu flächendeckend einzurichten; ich betrachte das
nahezu flächendeckende Tempo 50 in Hamburg mit neuem Befremden.
Das Befremden muss man sich warm halten, denn dieser Zustand wird
inzwischen als gottgegeben hingenommen. Selbst der Allgemeine deutsche
Fahrradclub (ADFC) in Hamburg hat resigniert. Die Debatte um ein
flächendeckendes Tempo 30 sei tot, sagt Dirk Lau, der ADFC-Sprecher, und
klingt dabei so, als sei seine Wut darüber auch schon fast tot.
Tatsächlich muss man nicht mal bis Lychen reisen, um zu erleben, wie es
ist, wenn der Autoverkehr langsamer rollt, man kann es auch in Buxtehude
oder Lauenburg erfahren. Für alle, die es noch nicht kennen: Die
Fußgänger:innen und Radfahrer:innen machen sich nicht länger
passend für den Autoverkehr, sie sind nicht länger Dauer-Flüchtende und
Dauer-Ausweichende; der [1][Autoverkehr macht eine kleine Konzession an die
übrige Verkehrswelt].
Es wirkt unglaublich naheliegend. Es ist unglaublich fernliegend in einer
Stadt wie Hamburg, die ihre Mantren gleichförmig wiederholt, „der
[2][Hafen], die Infrastruktur“ lauten sie und bedeuten, keine Handbreit
zurückzuweichen für etwas, das kein Auto oder LKW ist, es sei denn an
Orten, die man für bedeutungslos hält.
Der Hamburger ADFC hatte vor ein paar Jahren eine Kampagne für [3][Tempo
30] gestartet und außer Verbitterung wenig gewonnen. Da ist einerseits die
Straßenverkehrsordnung, hinter der man sich verstecken kann, wenn man denn
will. Darin heißt es, dass Tempo 50 Regel ist und Tempo 30 die Ausnahme,
die begründet werden muss.
## Die Debatte ist nicht rational
Natürlich könnte Hamburgs grüner Verkehrswendesenator eine
Bundesratsinitiative starten mit dem Ziel, genau diese Logik umzudrehen in
Richtung: Tempo 30 ist die Regel, Tempo 50 die Ausnahme. Natürlich könnte
er sich dem Städtebündnis anschließen, das genau das fordert. Aber, auch
das ist inzwischen ein Mantra in der Debatte, was will man tun in einer
Koalition, in der man [4][der SPD selbst das Rückfahren von Tempo 60 auf 50
abringen muss]? Man sucht sich Schlachten, die man vielleicht gewinnt.
Aber was ist mit denen, die weiter auf dem Schlachtfeld leben müssen, die
ausbaden müssen, dass nicht einmal die wenigen Chancen genutzt werden.
Schon jetzt gilt: Dort, wo soziale Einrichtungen sind, also etwa Schulen,
Altenheime, Kitas, soll im unmittelbaren Bereich regulär Tempo 30 gelten.
Soll. Denn in Hamburg, so sagt Dirk Lau vom ADFC, werde das immer wieder
ausgehebelt. Mag ja sein, so heißt es dann aus der Behörde, dass dort alte
Menschen oder kleine Kinder die Straße überqueren müssen, aber wenn sie
mehrspurig ist, könnte ihre Leistungsfähigkeit durch Tempo 30 eingeschränkt
werden.
Die Abwägung ist klar und das Ergebnis bitter: Vorrang hat nicht der Schutz
der Menschen, Vorrang hat das Tempo. Dass es längst Studien gibt, die
belegen, dass der Verkehrsfluss durch Tempo 30 verbessert wird – geschenkt.
Die Debatte ist nicht rational. Sie muss es auch nicht sein, solange die
alten Glaubenssätze ziehen. „Die Wirtschaft, systemrelevant,
Arbeitsplätze“, es klingeln einem die Ohren, sodass man gar nicht mehr
nachfragt, ob in einem Verkehrsversuch herausgefunden werden könnte, ob der
Hafen unter Tempo 30 zusammenbricht. Stattdessen wird eine Stadt in
Geiselhaft für eine unbelegte Behauptung genommen.
Dass man die Schwächeren dazu zwingt, sich für das System der anderen
passend zu machen, ist gute alte Sitte, die Liste der Beispiele lang: Tiere
sind Dinge, Arbeitnehmer:innen passen sich den Interessen der
Arbeitgeber:innen an. Aber die gute alte Sitte hat an manchen Stellen
Risse bekommen. Die Debatte um Tempo 30 ist tot. Lang lebe Tempo 30!
28 Apr 2023
## LINKS
[1] /Fussverkehrskongress-in-Bremen/!5926251
[2] /Hamburger-Hafen/!t5023279
[3] /Tempo-30/!t5279612
[4] /Aus-fuer-Tempo-60-im-Strassenverkehr/!5890496
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Verkehrswende
Verkehrspolitik
Tempo 30
Hamburg
Autoverkehr
Fußverkehr
Verkehrswende
Emanzipation
## ARTIKEL ZUM THEMA
Fußverkehrskongress in Bremen: Vergessene Art der Fortbewegung
Fußgänger*innen gehen in der Verkehrsplanung oft unter. Um Konflikte
mit dem Radverkehr zu lösen, muss auch mal den Autos was weggenommen
werden.
Globaler Klimastreik in Hamburg: „Autoverkehr überfüllt die Stadt“
Am Freitag streiken Fridays for Future weltweit fürs Klima. Für Hamburg
äußert Annika Kruse Ziele wie eine autofreie Innenstadt oder eine
Straßenbahn.
Autofahren als Freiheitsversprechen: Stets auf Achse
Die Mutter unseres Autors war immerzu Automobilistin. Sie lebt nun im Heim
und ihr Sohn reist am Steuer ihres letzten Wagens zurück in die
Vergangenheit.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.