# taz.de -- Der Hausbesuch: „Ein Fussel kann den Tag versauen“ | |
> Das Lichtdruckhandwerk ist ein aussterbender Beruf. Janine Kittler tut | |
> alles, damit er nicht ganz verschwindet. | |
Bild: Lichtdruck war früher ein Männerberuf. „Jetzt haben wir die Rollen um… | |
Mithilfe von Wasser, Licht, Gelatine und einem komplexen chemischen | |
Prozess können perfekte Reproduktionen und auch Kunstwerke entstehen. Der | |
Lichtdruck ist ein Edeldruckverfahren, „eine Mischung aus Alchemie und | |
Wissenschaft“, sagt Janine Kittler. Sie übernahm 2014 eine | |
Lichtdruckwerkstatt aus DDR-Zeiten. Nur in Kyōto, Japan, gibt es noch so | |
eine Werkstatt. Sie allerdings sei die einzige Frau weltweit, die diesen | |
aussterbenden Beruf ausübe, so Kittler. | |
Draußen: „Hier leben Geschichten“ steht auf der Fassade des Museums für | |
Druckkunst [1][Leipzig]. Gegenüber ein Parkplatz und ein Aldi-Supermarkt: | |
Dort ist „Wurst. Brot. Milch“ auf den Betonblöcken der Gebäude zu lesen. … | |
Leipzig-Schleußig ist es am Sonntag ruhig. Backsteingebäude und | |
Mehrfamilienhäuser, ein Altersheim, eine stillgelegte Baustelle. Unweit des | |
Museums sind die Weiße Elster und der Karl-Heine-Kanal, mit ihren kleinen | |
Booten und dem romantischen Flair. | |
Drinnen: Vier „Lichtdruckschnellpressen“ aus den Jahren 1890 und 1910 | |
stehen im zweiten Stock des Gebäudes, wo Janine Kittler mehr Zeit verbringt | |
als in ihrer Wohnung. So groß wie ein Auto sind die Maschinen, sie wiegen | |
mehrere Tonnen. 1994, als die Werkstatt ins Museum zog, wurden extra die | |
Außenmauern aufgerissen, um sie mit einem Kran reinzuhieven. Falls man sich | |
in Maschinen verlieben kann, dann war es Liebe auf den ersten Blick | |
zwischen den Geräten und der 38-jährigen Kittler. „Diese Zeitzeugen sind | |
hundert Jahre älter als ich.“ | |
Mehr Räume: Neben dem [2][Drucksaal] gibt es unter anderem ein Labor, das | |
wie eine Küche aussieht, eine Dunkelkammer und einen Raum, in dem die | |
Druckplatten belichtet werden, der auch als Arbeitszimmer und Pausenraum | |
dient. Auf dem Tisch stehen Kaffee und Kekse. Drucke hängen an den Wänden. | |
Darunter die Reproduktion eines van Goghs, anhand derer den | |
Besucher*innen gezeigt wird, wie authentisch Lichtdruckreproduktionen | |
aussehen – nur Expert*innen könnten erkennen, dass es eine Kopie sei. | |
Überall riecht es nach Farbe und Ammoniak. | |
Wie alles begann: „Was willst du hier, Mädel?“, fragte der damaligen Leiter | |
der Lichtdruckwerkstatt Janine Kittler, als sie kurz nach ihrem ersten | |
Besuch um einem Praktikumsplatz bat. Sie war 21 und ahnte nicht, dass sie | |
neun Jahre später die Werkstatt übernehmen würde. Es war nicht einfach: | |
Lichtdrucker ist seit den 1970er-Jahren kein Ausbildungsberuf mehr. Sie | |
konnte trotzdem eine Lehre machen, weil „die alten Meister aus der DDR“ sie | |
ausbilden wollten und Institutionen wie der Bundesverband für Druck und | |
Medien das erlaubte. Die Bedingung dafür war, dass sie parallel noch den | |
Offsetdruck lernt. Nur deshalb wurde sie als Azubi akzeptiert. | |
Rollenwechsel: Weil Lichtdruck anstrengende körperliche Arbeit ist – die | |
Glasplatten sind schwer, auch können die Maschinen nur mit viel Kraft | |
bedient werden –, waren Frauen nicht für das Handwerk vorgesehen. | |
[3][„Jetzt haben wir die Rollen umgedreht“], sagt Janine Kittler. | |
„Zumindest hier in der Werkstatt.“ | |
Früher seien Frauen nur für die analoge Bildbearbeitung der Negative, als | |
Assistentinnen zum Belichten der Druckplatten oder als sogenannte | |
Anlegerinnen, die Bogen für Bogen in die Druckmaschine legen, „benötigt“ | |
worden. „Und wurden dafür schlecht bezahlt“, erzählt sie. „Heute sind es | |
Männer, die das Papier anlegen und dafür schlechter bezahlt werden als | |
ich“, sagt sie und schaut amüsiert zu ihrem Kollegen und Assistenten, dem | |
gleichaltrigen Micha Barthel. Er lacht. | |
Handwerkerfraktion: „Ich bin eine starke, emanzipierte Frau“, sagt Kittler. | |
„Ich träumte nie davon, zu heiraten und Kinder zu bekommen.“ Schon als Kind | |
habe sie sich nicht mit der klassischen Geschlechterrollenverteilung | |
identifiziert. Vielleicht lag es an den Eltern: Beide gingen arbeiten, und | |
verheiratet waren sie auch nicht. Sie war das einzige Kind. Schon früh habe | |
sie lieber Sachen repariert und auseinandergenommen, als mit Puppen zu | |
spielen. „Mit meinem Vater bildeten wir die Handwerker-Fraktion der | |
Familie“, erzählt sie. Die Mutter hingegen war Ingenieurin, fertigte | |
Bauzeichnungen an. Das inspirierte Kittler, selbst zu malen. Sie wollte | |
Modedesignerin werden und fing an, sich für Kunst zu interessieren. | |
Wie es so kommt: Da es im sächsischen Eilenburg, wo sie groß geworden ist, | |
kein Kunstmilieu gab, zog Kittler 35 Kilometer weiter nach Leipzig, um zu | |
studieren. Weil es mit der Kunsthochschule nicht klappte, machte sie erst | |
eine Ausbildung als gestaltungstechnische Assistentin, dank der sie die | |
Lichtdruckwerkstatt kennenlernte. Aus diesen Zeiten und von Raves kennt sie | |
Micha Barthel. Sie ergänzen sich ganz gut, er halte ihr den Rücken frei, | |
damit sie sich Zeit nehmen kann, um in Ruhe zu überlegen. Denn „Lichtdruck | |
ist wie Schach, man muss fünf, sechs Schritte im Voraus denken“. | |
Überleben: Barthel ist seit der Übernahme der Werkstatt dabei. Er ist | |
eigentlich Kulturwissenschaftler, Fotograf und DJ. Von diesen | |
Leidenschaften könne man nicht leben. Das weiß auch Janine Kittler, die | |
nebenan an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst Fotografie | |
studiert. Als Freiberuflerin nimmt sie in der Werkstatt Aufträge von | |
Künstlern und Künstlerinnen an, veranstaltet Seminare und Vorführungen. Die | |
Lichtdruckerei gehört zum Museum. Eine fortwährende Finanzierung sei nicht | |
da. „Man überlebt gerade so als Selbstständige. Aber ich kann das hier | |
nicht loslassen.“ | |
Die Rettung: Schon nach der Wende sollte die Werkstatt eigentlich aufgelöst | |
werden. Doch die Meister wollten „das nicht mit sich machen lassen und den | |
Lichtdruck retten“. Kittler erzählt, wie sie Maschinen, Geräte und | |
Werkzeuge in einem enorm aufwändigen und teuren Umzug in den Westen der | |
Stadt schafften. „Sie nahmen als Ostdeutsche das Risiko auf sich, den | |
Lichtdruck als Betrieb weiterzuführen.“ Lichtdruck kann mehr als nur | |
Reproduktionen, hätten sie sich gedacht, und entwickelten mit der | |
Kunsthochschule in den 1990er-Jahren die „Lichtdruck-Originalgrafik“, eine | |
Technik, um Kunst direkt auf die Platten zu zaubern. | |
Janine Kittler war von ihnen beeindruckt. „Einer war Profiboxer gewesen, | |
ein anderer ein kunstaffiner Lebemensch, ein dritter belesen und besonnen. | |
Sie wussten über alles Bescheid.“ Anfangs seien sie ihr gegenüber skeptisch | |
gewesen, sie sei aber drangeblieben. „So haben wir alle vier den Lichtdruck | |
gerettet.“ | |
Kleine zierliche Frau: „Als kleine zierliche Frau musst du dich immer | |
wieder beweisen“, sagt sie. In ihrem Fall bedeutet das: sich mit dem | |
Druckverfahren gut auszukennen. Dieses Verfahren erfordert viel Feingefühl | |
und Präzision. „Schon ein Fussel kann einen ganzen Tag Arbeit versauen“, | |
sagt sie. „Du musst aber auch flexibel sein, denn sogar das Wetter hat | |
Einfluss auf die Ergebnisse.“ Sie lernte schnell und fing bald mit dem | |
Retuschieren von Negativen an. „Wenn ich zufällig als Mann geboren wäre, | |
hätte ich mich nicht so behaupten müssen“, sagt sie. | |
Zukunft: Janine Kittler ist den Meistern dankbar – und auch sie würde gerne | |
ihr Wissen weitergeben. Allerdings sei es nicht einfach, jemanden dafür zu | |
finden. „Man braucht Kontinuität. Eine Person, die hier regelmäßig wäre.�… | |
Sie habe damals Glück gehabt, dass die Lichtdrucker immer vor Ort waren. | |
Eine Nachfolgerin hätte sie gerne – „auch einen Nachfolger, wenn er | |
Feingefühl mitbringt“. Die Vorstellung, das ganze Können und Wissen mit ins | |
Grab zu nehmen, sei schlimm. „Ich bin die Erste, aber ich möchte nicht die | |
Letzte sein.“ | |
16 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Luciana Ferrando | |
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