# taz.de -- Der Hausbesuch: Die Macht der Frauen | |
> Als Kind zog sie von Iran nach Hamburg, später studierte Setareh Huschi | |
> Medizin – ein Rat ihres Vaters, der sie lehrte, sich von keinem Mann | |
> abhängig zu machen. | |
Bild: Setareh Huschi in ihrem Wohnzimmer | |
Vermutlich, meint sie, lebe sie auch den Traum ihres Vaters. Der konnte | |
kein Blut sehen, riet seiner Tochter aber, Medizin zu studieren – und | |
Setareh Huschi tat es. | |
Draußen: „Privatweg! Durchgang verboten!“, steht auf einem Gatter. Dahinter | |
erstreckt sich ein Familienidyll wie aus dem Bilderbuch: Reihenhäuser, | |
Gärten, ein Spielplatz, tobende Kinder sind dort und plaudernde Eltern. | |
Klein Flottbek liegt am Stadtrand von Hamburg. „Im Sommer hat das hier fast | |
ein bisschen was von Bullerbü“, sagt Setareh Huschi. | |
Drinnen: Im Wohnzimmer hängt über dem schwarzen Ledersofa ein großes Bild | |
vom Hamburger Hafen. Mit elf Jahren ist Huschi mit ihrer Familie nach | |
Hamburg gezogen. | |
Die Liebe: Ihre Eltern lernten sich in den 60er Jahren in Hamburg bei einer | |
Tanzveranstaltung kennen. Die Mutter ist Lehrerin, der Vater, ein Iraner, | |
studiert in der Hansestadt Mineralogie. 1969 heiraten die beiden. Für ihn | |
steht immer fest, dass er wieder zurück will; die Mutter begleitet ihn | |
schließlich. | |
Im Iran: Der Vater ist politisch aktiv, das Leben im Iran ist für ihn nicht | |
ungefährlich. „Einmal, als meine Eltern in einer Ente nach Teheran gefahren | |
sind und mein Vater an der Grenze kontrolliert wurde, hat er zu meiner | |
Mutter gesagt, wenn er nicht wiederkomme, solle sie umdrehen“, erzählt | |
Huschi. Die Mutter lebt sich ein. Damals gab es viele deutsche Familien im | |
Land. „Die lebten in einer Enklave, sprachen kein Persisch, schickten ihre | |
Kinder auf die deutsche Schule. Bei uns war es anders, wir waren | |
eingebettet in die große Familie meines Vaters.“ Trotzdem seien die ersten | |
Jahre hart für sie gewesen, sagt Huschi. | |
Kindheit: 1970 wird sie in Teheran geboren und erinnert sich an eine | |
glückliche Kindheit. „Das Leben mit der Großfamilie habe ich geliebt, wir | |
haben uns mindestens einmal in der Woche getroffen, wir Kinder wurden | |
überall integriert.“ Bei Feiern schlafen die Kleinen unterm Tisch. Von den | |
politischen Restriktionen merken sie zunächst wenig. Aber [1][nach der | |
Revolution], 1980, muss sie ein Kopftuch tragen. | |
Die Fremdsprache: Sie und ihr Bruder besuchen eine von einer | |
Elterninitiative gegründete Schule, der Unterricht ist auf Persisch, | |
Deutsch die erste Fremdsprache. Von klein auf ist sie auf Demos dabei. „Wir | |
haben sehr früh gelernt, wie wir uns bei Alarm auf den Boden legen müssen | |
und dass wir nicht die Tür aufmachen dürfen, wenn es klingelt.“ Ihr Vater | |
widmete sein Leben dem Kampf gegen den Schah und für die Demokratie, | |
aussichtslos, wie es scheint. | |
Zwei Koffer: Die Sommerferien verbringt die Familie immer bei den | |
Großeltern in Hamburg. „Wir können nicht mehr zurück“, sagt die Mutter | |
eines Tages zu den Kindern. Sie bleiben in Deutschland, mit nur zwei | |
Koffern, ohne Geld. Auch der Vater schafft es noch nach Hamburg. Die | |
Familie zieht in eine Sozialwohnung; sie, die Tochter, muss eine Klasse | |
wiederholen. „Mich hat das damals in eine Identitätskrise gestürzt. Ich | |
konnte zwar Deutsch, aber ich wollte keine Deutsche sein.“ Du redest | |
komisch, hätten die anderen Kinder gesagt. Sie fühlt sich zerrissen. | |
Umbrüche: Der Vater findet einen Job; ist nun aber werktags in München. | |
„Den Familienverbund, wie wir ihn kannten, gab es plötzlich nicht mehr.“ | |
Der Vater will, dass die Kinder weiter in die persische Nachmittagsschule | |
gehen, die lehnen nun aber alles Iranische ab. „Wir wollten das alles nicht | |
mehr.“ Als Teenie liest Huschi Weltliteratur, lernt viel und gerne. „Ich | |
war ehrgeizig, das war meine Art der Integration, ich wollte dazugehören.“ | |
Die Ehe der Eltern zerbricht, 1996 geht der Vater zurück in den Iran, | |
heiratet erneut. Inzwischen lebt er abwechselnd mal hier und mal dort. | |
Unabhängigkeit: Es ist wichtig, dass du als Frau unabhängig von einem Mann | |
bist, das lernt sie von ihrem Vater. Medizin sei dafür perfekt, damit sei | |
sie überall geachtet, sagt er, der selbst kein Blut sehen kann. „Ich hatte | |
immer das Gefühl, dass ich alles schaffen kann, was ich will, unsere Eltern | |
haben mich und meinen Bruder in der Hinsicht gleich behandelt.“ Das | |
Medizinstudium ist für Huschi vor allem eins: ernüchternd. „Ich dachte, ich | |
treffe auf Menschen, die die Welt verändern wollen. Stattdessen waren da | |
viele, die die Praxis ihrer Väter übernehmen wollten.“ Auch die Hierarchie | |
in der Uni-Klinik ist ihr zuwider. „Nach oben buckeln, nach unten treten, | |
so habe ich es wahrgenommen. Am liebsten hätte ich nach der Uni Tischlerin | |
gelernt.“ | |
Ein Mentor: Mitte der 90er gibt es zu viele Ärzt:innen, sie findet keine | |
Stelle in Hamburg, schließlich klappt es in Itzehoe, die Notlösung wird zum | |
Glücksgriff. „Mein erster Chef dort hat mich geprägt. Bestimmt war er auch | |
ein guter Arzt, aber vor allem war er ein guter Mensch.“ Alle dürfen | |
mitreden, Machtspiele gibt es nicht. „Dort habe ich gelernt, wie Medizin | |
auch sein kann, wie sehr einen Operationen und Geburten zusammenschweißen | |
können.“ | |
Schicksalsschlag: Als sie 22 ist, erkrankt ihre Mutter an einer Vorstufe | |
von Brustkrebs. „Nach einer Operation dachten wir, sie sei geheilt.“ Zehn | |
Jahre später stirbt sie. Dass Huschi sich für die Fachrichtung Gynäkologie | |
entscheidet, habe sicher damit zu tun. „Ich hatte das Gefühl, dass bei | |
ihrer Behandlung vieles schieflief, und wollte es besser machen.“ Bei der | |
Tumortherapie der Mutter war sie immer ganz nah dabei, zu nah, meint sie | |
heute. „Für meine Mutter war das gut, für mich zu viel. Jahre habe ich | |
gebraucht, um das zu verarbeiten.“ Ihr Verhältnis war eng. „Wie sehr sie | |
mir wirklich fehlt, habe ich erst gemerkt, als ich selbst Mutter wurde.“ | |
Familie: Bei einer Hochzeit wollen Freunde sie verkuppeln und haben Erfolg. | |
Sie und ihr heutiger Mann sind die letzten Gäste auf der Party. Es ist | |
August, im April darauf ist sie schwanger, im Juli heiraten sie und kaufen | |
ein Haus. „Vorher hatten wir noch nie zusammen gewohnt.“ Sechs Monate nach | |
der Geburt geht sie, inzwischen Oberärztin, wieder arbeiten, Vollzeit, ihr | |
Mann ist Lehrer, bleibt ein Jahr zu Hause, arbeitet danach in Teilzeit. | |
„Das war ein tolles Agreement, für das ich ihm dankbar bin.“ | |
Karriere: Dass sie Leitungsaufgaben übernehmen will, wird ihr früh bewusst. | |
„Die Alternative ist ja, immer nur über die Chefs zu meckern.“ Als sie | |
Oberärztin wird, ist sie die einzige Frau, umgeben von Männern. „Ich hatte | |
immer das Gefühl, dass die mich nicht ernst nehmen.“ In eine Praxis | |
wechseln möchte sie nicht. „Viele Kolleginnen gehen diesen Schritt, wenn | |
sie Kinder haben. Aber ich operiere gerne und finde das Arbeiten im Team | |
toll, das hat was von einer Familie.“ Die Doppelbelastung nimmt sie | |
allerdings mit. Sie denkt, sie sei durch die vielen Nachtdienste gestählt. | |
„Das war naiv. Mit einem kleinen Kind war ich dauererschöpft, über Jahre.“ | |
Elf Jahre ist sie leitende Oberärztin. Immer öfter bekommt sie Angebote für | |
Chefposten, die sie ausschlägt. „Damit hätte ich meinen Beruf quasi an den | |
Nagel gehängt. Viel Verwaltung, wenig Medizin.“ | |
Nicht ohne mein Team: Seit etwa anderthalb Jahren hat Setareh Huschi | |
dennoch einen Chefposten inne. Sie leitet gemeinsam mit zwei früheren | |
Kolleginnen die Gynäkologie der Asklepios-Klinik in Hamburg-Wandsbek. Ein | |
Führungsteam wie ihres ist bislang in Deutschland einzigartig. Entstanden | |
ist es aus einer Sektlaune. „Wir alle wollten gerne Chefinnen sein, aber | |
eben auch weiterhin Ärztinnen“, sagt Huschi. „Also haben wir ein Konzept | |
ausgearbeitet, wie man zu dritt die Leitung übernehmen kann, und uns damit | |
initiativ beworben.“ Erfolgreich. „Momentan arbeiten wir viel mehr als | |
vorher, aber es macht Spaß und wir haben viel vor.“ Etwa soll es weniger | |
anonym sein in der Klinik. Als sie ihrer Familie von dem Plan berichtet, | |
sagt sie auch, dass sie in den nächsten Jahren sicher noch mehr arbeiten | |
werde. „Mein Mann und mein Sohn konnten total verstehen, das ich das machen | |
will, und sind stolz auf mich.“ Ein wichtiges Ritual für die Familie: „Eine | |
Mahlzeit am Tag essen wir immer gemeinsam.“ | |
Frauen: Da, wo sie gerade steht, ist sie glücklich. „Und wenn es nicht mehr | |
so sein sollte, dann habe ich keine Angst vor Veränderungen; nichts ist | |
statisch.“ Gerade wurde sie als Delegierte in die Hamburger Ärztekammer | |
gewählt. „Jetzt, wo ich die Reichweite habe und sichtbar bin, will ich mehr | |
mit anderen Frauen netzwerken. Uns gegenseitig unterstützen und Vorbild | |
sein, das müssen wir noch lernen.“ Auch unter Frauen habe sie oft | |
Rivalitäten erlebt. „Leider. Wir müssen zusammenhalten. Ich glaube an die | |
Macht der Frauen.“ Dabei denkt sie auch an die [2][Frauen im Iran]. | |
7 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Lea Schulze | |
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