# taz.de -- Der Hausbesuch: Ohne Gedöns | |
> Simone Schmidt alias Simono hat einen pragmatischen Künstlernamen | |
> gewählt. Ihre Kunst aber ist frei und rastlos wie sie selbst. | |
Bild: Künstlerin Simono in ihrem Atelier | |
Simone Schmidt wurde in einem Villenviertel in Berlin-Grunewald groß. Heute | |
lebt sie in einem Atelier in Berlin-Neukölln. Seit den 80er Jahren zeichnet | |
sie, macht Installationen, Performances und mehr. Leben konnte sie von | |
ihrer Kunst bisher nie. Nun will sie das ändern. | |
Draußen: Eine Seitenstraße in [1][Berlin-Neukölln]. Ein Mädchen fährt ein | |
anderes mit einem Einkaufswagen vom Discounter spazieren; zwei junge Männer | |
diskutieren, was ein Ehrenmann ist. Durch ein Tor geht es in einen Hof, | |
umringt von Gebäuden mit Backsteinverzierungen, in denen sich Ateliers | |
befinden. In einem lebt und arbeitet Simone Schmidt alias Simono. | |
Drinnen: Vor der Tür liegen Holzbretter: „Daraus baue ich einen Lattenrost. | |
Ich dachte, es ist Zeit für ein Bett.“ Auf 50 Quadratmetern befinden sich | |
eine längliche Küche mit kleinem Tisch, nebenan ein Raum mit Regalen, zwei | |
Monitoren sowie einem großen Drucker. An den Wänden [2][3D-Drucke], auf dem | |
Boden ein Feuerlöscher, Turnschuhe und Hanteln. Zum Sitzen gibt es nur | |
Stühle. Eine an die Wand gelehnte Matratze deutet darauf hin, dass hier | |
nicht nur gearbeitet wird. „Ich weiß nicht, wie man wohnt“, sagt Simone | |
Schmidt. | |
Rastlosigkeit: Früher sei sie jedes Jahr umgezogen: „Ich wollte immer | |
raus.“ Im Atelier wohnt sie seit 18 Jahren. Kürzlich sah es so aus, als | |
müsse sie raus. Ihr wurde gekündigt: „Erst vorgestern habe ich erfahren, | |
dass ich doch bleiben kann. Aber die Miete wurde um 60 Prozent erhöht.“ Die | |
Angst, das Atelier zu verlieren, habe alles durcheinandergebracht: „Ich | |
hatte gerade entschieden, meine Teilzeitstelle zu kündigen.“ | |
Geld: Obwohl ihr Vater durch Spielhallen und Automaten zu viel Geld | |
gekommen war, spielten Geldsorgen schon in der Kindheit eine Rolle: „Man | |
hat gemerkt, dass das ein unsicheres Ding war.“ Später verlor ihr Vater | |
alles. Simone Schmidt selbst habe immer in Gemeinschaften gelebt, die | |
Konsum verurteilten: „Vielleicht auch mit Doppelmoral, heimlichem | |
Hinschielen.“ | |
Flow: Mit 62 Jahren wollte sie zum ersten Mal ganz auf ihre Kunst setzen: | |
„Ich dachte, jetzt muss alles anders werden.“ Neben ihren Brotjobs blieb | |
bislang kaum Zeit für ihre Projekte. Ihre Sachen entstanden meist nachts: | |
„Nach zehn Uhr komme ich in einen Flow.“ | |
Simone: Sie mag ihren Namen: „Da denkt man an Simone de Beauvoir oder die | |
Schauspielerin Simone Signoret.“ Die Kombination ihres Vor- und Nachnamens | |
aber habe nicht für die Kunst getaugt: „Simone Schmidts gibt es viele.“ | |
Deswegen habe sie lange nach einem Künstlernamen gesucht. Dann habe sie | |
gemerkt: „Man muss nur eine Stelle verändern und zack, hat man einen Namen | |
ohne Gedöns.“ Simono. Das o am Ende sei japanisch inspiriert: „Kein | |
Transgenderstatement oder so.“ | |
Inspiration: Mit japanischer Kultur verbindet sie vieles: Sie trommelt in | |
einer Taiko-Gruppe: „Eine Mischung aus Trommeln und Kampfsport.“ Und meint, | |
viele ihrer künstlerischen Impulse kämen von Butoh, einem expressiven Tanz: | |
„Ich habe einen Zweikampf mit japanischer Kunst.“ Einerseits schätze sie | |
die Klarheit, „andererseits neige ich zur Vielfalt“. | |
Vielfalt: Simone Schmidt zeichnet, macht Lasercut-Gravuren, | |
Rauminstallationen, fertigt 3D-Werke und Skulpturen, fotografiert und macht | |
Videos: „Doch Zeichnen ist die Basis.“ Um zu demonstrieren, wie sie es auf | |
andere Medien überträgt, zeigt sie ein Video von Quallen, das sie mit Stift | |
und Papier auf dem Tablet so bearbeitet hat, dass es wie gezeichnet | |
aussieht. | |
Themen: So unterschiedlich ihre Techniken sind, ihre Themen wiederholen | |
sich. Neben Rollenbildern ist da immer wieder die Anatomie des menschlichen | |
Körpers. Erst, erzählt sie bei einer Tasse Tee am kleinen Tisch in der | |
Küche, habe sie sich mehr für das Äußere interessiert, nun sei es das | |
Innere. Sie geht ins Nachbarzimmer und nimmt eine Rolle Papier vom Schrank: | |
Auf Goldpapier hat sie mit Siebdruck gezeichnete grüne Körper überlagert. | |
Aus einer Schublade zieht sie eine Laserdruckarbeit: „Ein Herz in 3D aus | |
Spanholzplatten.“ | |
Gefangen im Körper: Die Beschäftigung mit Anatomie sei ein Versuch gewesen, | |
sich den Körper zurückzuholen. In der Kindheit machte ihr eine | |
Hüftdysplasie zu schaffen: „Nach außen war das nicht ersichtlich.“ Doch | |
Simone Schmidt konnte sich nicht so natürlich bewegen wie andere: „Da | |
musste erst ein paar Mal operiert werden.“ | |
Fehlende Vorbilder: Auch sonst fühlte sie sich als Heranwachsende nicht | |
wohl in ihrer Haut: „Mit 13, 14 wollte ich ein Junge sein.“ Im Nachhinein | |
verstehe sie, dass sie nicht wirklich ein Junge sein wollte, sondern es | |
schlicht an positiven weiblichen Rollenvorbildern mangelte. | |
Aufwachsen: „Bei der Erinnerung an die 60er in Westberlin kratzen die | |
Strumpfhosen.“ Ihre Mutter habe sich immer ein Mädchen gewünscht, dem sie | |
Kleider anziehen könne. Zu Geld gekommen, kaufte sie ihr dann viele: „Aber | |
ich mochte nur Unisex-Sachen.“ Mit den Mitmenschen in der Villengegend | |
konnte sie sich genauso wenig identifizieren wie mit der Mutter, die ihr | |
die Rolle als Angestellte des Mannes und Entertainerin vorlebte. | |
Befremdlich fand Simone Schmidt auch die Welt des Vaters, wenn der sie auf | |
seinen Geschäftstouren in Spelunken mitschleppte. Und in der Schule fühlte | |
sie sich als Tochter eines Spielhallenbesitzers deplatziert. Irgendwann | |
aber fand sie doch eine Gleichgesinnte, die ihr Befremden an der Welt der | |
Erwachsenen teilte: „Auch lesbisch.“ | |
Rollensuche: Ihre Identitätsfindung sei in die Zeit der Gründung der | |
Alternativen Liste und der taz gefallen: „In dem Kontext gab es | |
präfeministische Diskurse zu Rollen. Und es gab David Bowie in seiner | |
Androgynität.“ Über die Schulfreundin kam sie in die Frauen- und | |
Lesbenszene. Mittlerweile sieht sie viele ihrer damaligen Überzeugungen | |
kritisch: „Das war reine Ideologie: lesbisches Leben und Kampf gegen das | |
Patriarchat.“ Im Nachhinein schämt sie sich, dass auch sie andere gegängelt | |
und Druck ausgeübt habe: „Du hast das falsche Wort gesagt …“ | |
Feminismus: Auf die Frage, ob sie sich als Feministin bezeichnet, meint | |
Simone Schmidt zögerlich: „Ja, aber ich muss mir die Graduation genau | |
überlegen. Nach einer kurzen Denkpause fügt sie hinzu: „Nach außen bin ich | |
sehr feministisch, von innen eher liberal.“ | |
Werdegang: Als Kind habe sie Geschichten aus der Bibel ihres Opas | |
gezeichnet. Als Erwachsene kam sie zunächst vom Zeichnen ab. „Weil ich | |
Sprache interessanter fand als Linien und Zeichen“, sagt sie. Nach dem | |
Abitur studierte Simone Schmidt Publizistik und Germanistik. „Dann gab es | |
einen Punkt, den ich öfter habe: Ich kann nicht nur reden, ich muss was | |
tun.“ In einer Galerie, „der ersten Frauengalerie Berlins oder gar | |
Deutschlands“, besuchte sie Zeichenkurse. Bald darauf trug sie sich an der | |
Hochschule der Künste für Grafik ein. Eigentlich aber wollte sie freie | |
Kunst machen. Das Studium hat sie nicht abgeschlossen. Die Kunst sei an der | |
Hochschule weniger frei gewesen als gedacht: „Ich hatte einen Kurs bei der | |
feministischen Malerin Sarah Haffner: Die hat uns dann nur Blautöne | |
ausmalen lassen.“ | |
Lebenslanges Lernen: Nach dem Studium jobbte sie in einem Copyshop und nahm | |
dann eine Stelle in einem Frauenprojekt an. „Später habe ich viel Grafik | |
gemacht, ab 1988 auch Videoschnitt.“ Sie habe seit Ende des Studiums | |
ständig an Weiterbildungen teilgenommen. Derzeit via Zoom eine als Content | |
Creator für Foto und Video. | |
Autodidaktik: Das grafische Handwerk habe sie sich selbst angeeignet, | |
parallel kam sie in Kontakt mit Kreuzberger Malerinnen und machte bei deren | |
Aktionen mit. Zwei Jahre lang arbeitete sie in einem Atelier im | |
Künstlerhaus Tacheles und stellte dort aus: „Das war aber sehr männlich | |
dominiert. Auch physisch.“ | |
Leben von der Kunst: Sie habe zwar viele Anträge für Kunstförderungen | |
geschrieben und auch lokale Stipendien bekommen, finanzieren aber konnte | |
sie sich über die Kunst-Töpfe nie. Nur einmal hatte sie eine | |
Vollzeitstelle: „Bei einem Heizkostenverteiler.“ Ausgeschrieben gewesen sei | |
die Stelle als Grafikjob: „Im Endeffekt war ich Mädchen für alles. Das war | |
physisch wie psychisch nicht meins. Und für die Firma war es auch nichts. | |
Ich bin kein Roboterautomat: „Irgendwie breche ich immer aus.“ | |
Zukunftspläne: Durch die Kündigung des Ateliers hatte sie in den letzten | |
Monaten Existenzängste. Jetzt aber habe sie den Kopf wieder frei: „Gerade | |
habe ich einen Energieschub.“ Sie will Auftragsarbeiten für Holzobjekte | |
annehmen: „Ich sehe die Trennung zwischen angewandter und freier Kunst | |
nicht.“ | |
31 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Eva-Lena Lörzer | |
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