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# taz.de -- Der Hausbesuch: In Kanada war sie noch nie
> Eleonora Zickenheiner hatte als Kind Äpfel dabei, heute erforscht sie
> alte Sorten. Dazwischen überwand sie Schüchternheit und entlarvte
> Plagiate.
Bild: Ziegen, Schafe, Hund: Eleonora Zickenheiner führt ihre Tiere vorm Schwar…
Als Kind wurde sie „herumgereicht“. Die Angst, ihr Zuhause erneut zu
verlieren, macht sie erpressbar.
Draußen: Sanft geschwungene Hügel umgeben das Haus. Sie sind überzogen von
hellgrünem Frühlingsgras, die Bäume hingegen, darunter 250 Apfelbäume in
großen Töpfen, sind im April noch im „Mausohrstadium“, wie Eleonora
Zickenheiner es nennt. Die Knospen wirken samtig, als wären sie mit zartem
Fell überzogen. Das schütze vor Nachtfrösten, sagt Zickenheiner. Hinter
ihrem abseits gelegenen Haus steigt der Blauen sanft an, 1.165 Meter liegt
sein Gipfel über dem Meeresspiegel. Hier wohnt sie mit ihrer Tochter
Sandra, fünf Ziegen, zwei Schafen, einem Pony, einem Esel, drei Pfauen,
einem Hund. Auch Katzen? „Ja, auch.“
Drinnen: Wozu vier separate Zimmer für Küche, Bad, Büro und Wohnzimmer? Bei
Zickenheiner findet das alles in einem Raum statt. Hier wird gekocht,
gegessen, musiziert, gearbeitet, gebadet, Fernsehen geguckt – und alles mit
grandiosem Panorama bis zu den Alpen, denn die südliche Zimmerwand ist
verglast. Es ist ein dreidimensionaler Wimmelbildraum. Überall gibt es
etwas zu entdecken. Die einzelnen Möbelstücke sind teils geerbt, teils
selbstgemacht. Die Zimmertür wurde mit angenagelten Büchern verziert, die
Esstischplatte ist eine alte Kassettentür. Auf der Terrasse vor der
Fensterfront sonnt sich ein Pfau.
Ihre Pläne: 2019 ist Eleonora Zickenheiner mit ihrer Tochter und Gerhard,
„meinem Bald-Ex-Mann“, auf den Hügel im Schwarzwald in das ehemalige
Jugendheim gezogen. Vorher hatte er, der Architekt ist, das Haus umgebaut.
Eleonora Zickenheiners Plan: dort eine Ziegenkäserei zu gründen. „Ich hatte
schon vorher nebenberuflich eine in St. Märgen, wo ich wohnte“, sagt sie,
die damals als promovierte Bildungswissenschaftlerin und akademische
Oberrätin an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg arbeitete [1][und
Plagiatsforschung betrieb].
Seine Pläne: Ihr Bald-Ex-Mann, ihre „große Liebe“, wollte den Ziegenkäse
und den Apfelwein vertreiben und am Fuße des Blauen eine Straußenwirtschaft
eröffnen; einen temporären Ausschank also, wie es ihn in Süddeutschland
vielerorts gibt. Für die Liebe hat Eleonora Zickenheiner ihren Job an der
Hochschule aufgegeben, um auf den Berg zu ziehen. „Irgendwie war Zeit für
was Neues.“ Aber dann kam, „am Tag, als ich eingezogen bin“, der Anruf.
Gerhard Zickenheiner erfuhr, dass er [2][als Nachrücker in den Bundestag in
Berlin berufen wird]. Für die Grünen.
Planänderung: Eleonora Zickenheiner war sofort klar, dass sie die
Ziegenkäserei, die Straußenwirtschaft und alles, was an einem gerade
umgebauten Haus noch zu tun ist, nicht alleine stemmen kann. Kommt hinzu,
dass sie fürchtete, das politische Mandat ihres Mannes im 900 Kilometer
entfernten Berlin könnte ein Beziehungskiller sein. Und das war es dann ja
auch. Um ihrer Liebe trotz der Entfernung ein Fundament zu geben, sagte
sie, sie wolle einmal im Monat eine Woche in Berlin sein. „Aber nicht, um
dort zu shoppen oder zum Friseur zu gehen. Ich suchte mir eine Aufgabe.“
Die Aufgabe: Agrarökologie hat Eleonora Zickenheiner immer schon
interessiert. Im Laufe ihres Studienlebens hat sie doch nicht nur
Bildungswissenschaften, sondern auch Psychologie, Humangenetik und Biologie
studiert, wurde zudem als Studentin in die Ethikkommission berufen. Ihr
neues Projekt sollte mit Äpfeln zu tun haben, weil sie Äpfel liebte und
weil diese sie, neben ihrer Intelligenz, gerettet hätten, wie sie sagt.
Sie stellte einen Forschungsantrag, bewarb sich damit um ein Doktorat an
der Humboldt-Universität in Berlin. Sie wollte erforschen, welche
historischen Apfelbäume den Klimawandel am besten bestehen können. Welche
gesundheitlichen Eigenschaften [3][die verschiedenen Apfelsorten] haben.
Und wie man die Leute dazu bekommt, wieder wurzelechte Apfelbäume zu
pflanzen, also solche, die nicht auf eine Veredelungsunterlage gepfropft
sind. „Fünf oder sechs Apfelsorten beherrschen heute den Markt, wo es
früher 2.500 gab.“ Ihre Anträge wurden bewilligt, seither ist sie zum
zweiten Mal Doktorandin. Die Ehe hat es nicht gerettet.
Die Apfelesserin: Aber warum ist sie so von Äpfeln fasziniert? „Ich habe
meine Intelligenz eingesetzt, um Vermeidungsstrategien zu finden. Ich war
doch ein schüchternes Kind“, antwortet Zickenheiner. Nur: der Zusammenhang
zwischen Apfelforschung und Schüchternheit erschließt sich so immer noch
nicht. Sie erklärt, dass sie als Kind immer Äpfel in ihrer Schürzentasche
hatte. Bestand die Gefahr, dass jemand sie ansprach, hatte sie schon den
Apfel in der Hand und biss hinein. „Das gab mir Zeit, mich zu sammeln.“
Ihre Antworten indes waren einsilbig. „Ich war so: schriftlich 1, mündlich
6. Eigentlich habe ich nicht gesprochen; ich war doch ein Heimkind.“
Das Heimkind: Sie sei auf dem Rücksitz eines VW-Käfers gezeugt worden, Ende
der 60er Jahre, „ein herumgereichtes Kind“. Pflegefamilien, Heime,
zwischendurch Kontakt zur Oma, auch zur Mutter. Bei der Oma lernte sie
lesen. Sie musste das Fernsehprogramm kennen, wegen der Serie „Der Mann in
den Bergen“ mit der Hauptfigur Grizzly Adams – die liebte sie. Der Mann war
in die Wildnis geflohen, weil man ihn verfolgte, dabei war er unschuldig.
Tiere spielen eine große Rolle dabei. Einmal, noch in der Kindergartenzeit,
sei sie von einer schlimmen Pflegefamilie weggelaufen. Sie wollte nach
Kanada. Davon hatte sie in ihrer Lieblingsserie wieder und wieder gehört.
Aber sie fand keine Straßenschilder, auf denen Kanada stand. Da habe sie
einen Polizisten gefragt, wie sie dorthin komme. Das war’s. „Ich war noch
nie in Kanada, aber ich habe es ja fast hier“, sagt Eleonora Zickenheiner
und zeigt auf die Landschaft vor dem Fenster.
Demütigung: Weil sie aus dem Heim kam, sei sie in der Schule von
Lehrerinnen gedemütigt worden. Das habe sie verstummen lassen. Allerdings
setzte sie durch, dass sie aufs Gymnasium darf. Dort verschaffte sie sich
Respekt, etwa mit der Wespenschule, die sie auf dem Schulgelände eröffnete.
„Als ich so 12 oder 13 war, dachte ich, das ist nicht fair, wie mit mir
umgegangen wird.“ Und bald danach schließt sie sich einer
Straßentheatergruppe an, und plötzlich war das Sprechen leichter.
Die Bibliothekarin: Ihre Hauptretterin aber sei die Bibliothekarin in der
Stadtbibliothek von Marl gewesen. „Ach, leihst du wieder Bücher für deine
kranke Mutter“, habe sie immer gesagt und sie, schon als sie noch
Grundschülerin war, in die Erwachsenenabteilung geschickt. Sie habe viel
über Tiere gelesen, Sachbücher auch. Und die Bibel zwei Mal. „Die Bibel?“,
fragt die Tochter im Teenageralter, die mit im Raum sitzt. „Da stehen
mitunter ganz interessante Sachen drin“, sagt Zickenheiner.
Plagiat: Nach dem Abitur studierte sie erst Psychologie, „aber es war nicht
mein Ding“. Über Umwege landete sie in der Bildungswissenschaft und bei der
Plagiatsforschung. Theologen übrigens, so ihre Studie, bei der 2.000
Abschlussarbeiten durchforstet wurden, seien die, die am meisten
plagiierten. Noch nicht mal absichtlich. Sie wollen ihre Arbeiten mitunter
mit Zitaten, etwa von Päpsten, aufhübschen. Weil die als Stellvertreter
Gottes das Wort Gottes sprächen, bestehe, meinen die Studierenden, keine
Notwendigkeit, Zitate auszuweisen, weil es für Gott keine Quellen gebe. „Da
sieht man auch, was an den Unis nicht vermittelt wird“, sagt Zickenheiner.
Kopf und Herz: Intelligenz ist das eine. Gefühle sind das andere. Bei ihren
Studien und Forschungen habe sie immer MentorInnen gefunden, die sie
förderten, angefangen bei der Bibliothekarin. Und in der Liebe? Ist sie da
eher gestolpert? Sie widerspricht. Von der Beziehung zum Vater der Tochter
bliebe viel Gutes. Und dass Gerhard Zickenheiner ihre große Liebe war,
davon bliebe eben das Große. Sie sagt es, obwohl sie gerade sehr
verzweifelt ist. Denn als es um die Formalien der Trennung ging, kaufte sie
ihm das Haus ab, nicht wissend, dass es Baumängel gebe. Kondenswasser bilde
sich und mittlerweile sei Schwamm im Gebäude. „Man muss es abreißen“, sagt
sie. Weil der Architekt ihr Mann ist, noch, ist er nicht regresspflichtig.
Sie hatte Angst, wieder ihr Zuhause zu verlieren, deshalb sei sie auf den
Deal eingegangen. „Meine Art zu lieben hat mich ruiniert.“
Und was meint Gerhard Zickenheiner dazu? Da stritten sich eben zwei
Menschen, das werde vor Gericht entschieden, sagt er am Telefon und legt
grußlos auf.
13 Jun 2023
## LINKS
[1] https://www.zeit.de/2013/34/plagiatskontrolle-universitaet-freiburg
[2] /Gruenen-Abgeordneter-Schick-tritt-zurueck/!5533538
[3] /Pomologin-ueber-deutsche-Aepfel/!5541818
## AUTOREN
Waltraud Schwab
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