| # taz.de -- Der Hausbesuch: Dem Wolf in die Augen schauen | |
| > Über die Liebe zum Hund wuchs ihr Interesse am Wolf. Sie erforscht sein | |
| > Leben und führt Menschen zu ihm. Zu Besuch bei Catriona Blum-Rérat. | |
| Bild: Catriona Blum-Rérat vom Verein Lupus | |
| Auf dem Heimweg durch den Wald sah sie ihn, den [1][Wolf]. Er stand in | |
| strömendem Regen ein paar Meter von ihr entfernt. Eine Sekunde (oder | |
| vielleicht zwei) schauten sie sich in die Augen, bis er verschwand. „Eine | |
| Begegnung mit einem Wolf ist ein Highlight für uns Menschen. Nicht für das | |
| Tier“, sagt die Biologin und Wolfsexpertin Catriona Blum-Rérat. | |
| Draußen: Die kleine Spree fließt unweit ihres Hauses im sächsischen | |
| Spreewitz vorbei. Wer die Holzbrücke über den Fluss überquert, steht im | |
| Wald. „Hier hat man das Gefühl, in einer Zeit ohne Zeit zu leben“, sagt | |
| Blum-Rérat, die aus [2][Freiburg] kommt. Mit Mann und zwei Kindern wohnt | |
| sie in der Dachwohnung des ehemaligen Pfarrhauses. Im Erdgeschoss ist das | |
| Lupus-Institut, seit 13 Jahren ist das ihr Arbeitsplatz. Das sei praktisch, | |
| sagt sie, mache es aber manchmal schwer, Privates von Beruflichem zu | |
| trennen. Die meisten Häuser der Dorfaue sind aus rotem Backstein, alle | |
| haben einen Vorgarten. Eine Fachwerkkirche ist am Ende der Straße, irgendwo | |
| dahinter die große Spree und die Wölfe. | |
| Drinnen: Es ist eine großräumige, helle Wohnküche in Weiß, Hellblau und | |
| Beige. Dicke Holzbalken stützen die Decke. An den Wänden hängen keine | |
| Bilder mit Wolf-Motiven – Blum-Rérat findet sie „kitschig“; doch ein paar | |
| Bücher und Kuscheltiere habe sie schon. Und eine große Tüte Hundefutter, | |
| auf der „Wolfsblut“ steht. Das sei Zufall, sagt sie. Neben der Couch ist | |
| der Teppich von Isla, der Hündin. „Sie ist nicht nur Familienmitglied, | |
| sondern auch Arbeitskollegin.“ | |
| Hunde: Catriona Blum-Rérat geht ohne Isla nicht auf Wolf-Touren. Die Hündin | |
| unterstützt das Lupus Institut bei der Suche nach Wolfskot und gelegentlich | |
| auch beim Aufspüren von verletzten Wölfen. „Sie riechen und sehen, was du | |
| nicht riechen und sehen kannst.“ Hunden ist Blum-Rérats Interesse an Wölfen | |
| zu verdanken. Das sei der klassische Weg. Sie wollte als Kind einen Hund, | |
| die Mutter hat irgendwann nachgegeben. | |
| Wölfe: Mit 14 fand sie auf einem Flohmarkt ein Sachbuch über das Leben der | |
| Wölfe und wusste, das ist für sie. „Ich träumte schon damals von Wölfen, | |
| aber nicht davon, mit ihnen zu leben“, sagt sie, „sondern davon, von ihnen | |
| zu lernen.“ Später machte sie in Schottland einen Bachelor in Ökologie und | |
| in Göttingen einen Master in Internationalem Naturschutz. Das erste Mal sah | |
| sie Wölfe in freier Wildbahn in Russland, als sie 2006 zu einer | |
| viermonatigen Expedition in die Twer-Region fuhr, nordwestlich von Moskau, | |
| um dort zwei Wolfsrudel zu erforschen. Noch nie davor hatte sie sie heulen | |
| gehört. „Das war einprägsam.“ Allerdings habe sie dort sofort gemerkt: | |
| „Will man mit Wölfen zu tun haben, hat man es in erster Linie mit Menschen | |
| zu tun.“ | |
| Niederlausitz: Nach dem Studium wollte sie in Afrika arbeiten. „Ich hätte | |
| nie gedacht, dass ich mich stattdessen in Ostdeutschland zu Hause fühlen | |
| würde.“ Und doch habe sie sich in die Natur der Gegend verliebt, in die | |
| Einsamkeit im Wald. „Wenn du keine Selbstgespräche führst, hörst du hier | |
| nichts außer Tiere und den Wind.“ Menschen sind ihrer Meinung nach nicht | |
| mehr daran gewöhnt, in der Natur zu sein. Das merkt sie bei ihren | |
| Wolftouren, die sie anbietet. Eine Stunde das Handy wegzulassen, kostet | |
| Überwindung. Dass jemand mitten im Nichts nach einer Toilette fragt oder | |
| mit Ballerinas zur Tour kommt, habe sie auch schon erlebt. | |
| Vorurteile: Nicht nur die Landschaft habe sie gelockt, auch die | |
| Bewohner*innen ihrer Wahlheimat mag Catriona Blum-Rérat. „Ich kenne | |
| viele Lebenskünstler und -künstlerinnen und sehe Veränderungspotenzial. Es | |
| sind nicht nur Nazis hier.“ Es sei ihr wichtig, dass diejenigen, die ihr | |
| sagen, „ich war noch nie im Osten“, den „Guten“ begegnen. Deshalb macht… | |
| ihre Touren mit drei Kollegen aus der Region, „die auf jeden Fall zu dieser | |
| Gruppe gehören und ganz viel über Wölfe wissen“. | |
| Der Hochsitz: Vereinzelt hatte sie Begegnungen mit Wölfen, aber eigentlich | |
| beobachtet die 42-Jährige Wolfsrudel lieber aus der Entfernung. Sie steht | |
| auf einem Hochsitz und wenn sie auftauchen, belauert sie ihren Alltag durch | |
| Ferngläser und Spektive. „So sieht man, wie Wölfe in der Natur wirklich | |
| leben.“ | |
| Unsicherheit versus Hass: Wölfe haben in Deutschland nicht nur | |
| Freund*innen, das sei bekannt. Das Gleiche gelte aber auch für diejenigen, | |
| die mit Wölfen arbeiten. Das sei ein Grund, weshalb sie mit den Touren | |
| bewusst aktive Öffentlichkeitsarbeit macht. „Ich möchte den Leuten die | |
| Angst vor Wölfen nehmen“, sagt Blum-Rérat. Sie versteht, wenn | |
| Spaziergänger*innen oder Menschen mit Hunden sich unsicher fühlen. | |
| „Man kann den Leuten erklären, dass Hunde an der Leine zu führen sind und | |
| Menschen nicht ins Beuteschema der Wölfe passen“, sagt sie. „Mit den | |
| absoluten Wolfsgegnern kann man aber nicht diskutieren.“ Sie seien | |
| allerdings in der Minderheit. „Ich möchte Wölfe nicht romantisieren, sie | |
| sind keine Kuscheltiere, doch sie müssen, wie andere Wildtiere, mit Respekt | |
| behandelt werden.“ | |
| Symbolik: Der Wolf kommt in unseren Märchen und Mythen nicht gut weg. Er | |
| gelte als unehrlich, gierig, bösartig. Menschen liebten es eben, alles zu | |
| Symbolen zu machen, auch Tiere. „Die Wolfssymbolik in der katholischen | |
| Kirche und der Bibel ist auch äußerst negativ. Er wird als Metapher für | |
| Satan verwendet“, sagt Blum-Rérat. „Wölfe sind Teufel, die auf der | |
| irdischen Welt umherlaufen.“ Doch der Wolf könne auch etwas Positives | |
| repräsentieren. Bei indigenen Menschen in Nordamerika steht er für Mut, | |
| Kraft und Loyalität, erklärt sie. Auch für die Kelten sei der Wolf ein | |
| heiliges Tier gewesen. | |
| Realität: Catriona Blum-Rérat versucht, die Wölfe „so zu sehen, wie sie | |
| wirklich sind, nämlich fürsorgliche, familienorientierte und freundliche | |
| Rudeltiere“. Ihre Stärke liege im Zusammenhalt des Rudels, bei der die | |
| Fähe, die Wolfsmutter, eine zentrale Rolle spielt. „Die Fähen bilden eine | |
| wichtige Konstante in einem Rudel, also sie sind immer da.“ | |
| Wolfsnähe: Immer, wenn sie Menschen zu den Wölfen führt, sie einlädt, ein | |
| Wochenende mit ihnen in der Lausitzer Wildnis zu verbringen und ihnen | |
| näherzukommen, merke Blum-Rérat, was für ein großes Bedürfnis an Gespräch… | |
| besteht. Die Erfahrung zeigte ihr, dass vor allem Frauen die Beobachtung | |
| von Wölfen zum Anlass nehmen, sich zu öffnen und von sich zu erzählen. Es | |
| müsse an dieser Wolfsmystik liegen. Oft seien es sehr intime Dinge, die | |
| angesprochen werden. „Etwa Kindsverlust, Kinderwunsch oder Abstand von der | |
| Routine. Viele bringen etwas mit, das sie gerne abarbeiten würden.“ So kam | |
| sie zusammen mit einer Familientherapeutin auf die Idee, eine Tour nur für | |
| Frauen zu organisieren, bei der diese Themen ihren Platz haben dürfen. „Es | |
| ist aber keine Voraussetzung, ein Thema zu haben“, sagt sie. „Es geht | |
| vielmehr darum, unter Frauen zu sein, gemeinsam diese Abenteuer zu erleben | |
| und von Wölfen und insbesondere Wölfinnen etwas für das Leben zu lernen.“ | |
| Wölfin: Die Rolle der Wölfin sei überragend: „Man kann nicht vom | |
| Matriarchat sprechen, aber die Wölfin behält oft ein Leben lang ein | |
| Territorium, auch wenn die Rüden immer mal wieder wechseln.“ Und es gebe | |
| auch immer mehr Beispiele, wo Töchter nicht abwanderten, sondern im | |
| mütterlichen Territorium blieben. „Die Wölfinnen haben eine enge Verbindung | |
| zueinander.“ | |
| Dann macht sie einen Gedankensprung und sagt, auch der Forschungsbereich | |
| und die Arbeit mit Wölfen sei zumindest in Europa sehr weiblich dominiert. | |
| Was kein Wunder sei: „Frauen können sich eher lange mit schlechter | |
| Bezahlung durchboxen, wenn ihnen die Arbeit am Herzen liegt.“ | |
| 15 May 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Woelfe/!t5019016 | |
| [2] /Freiburg/!t5009899 | |
| ## AUTOREN | |
| Luciana Ferrando | |
| ## TAGS | |
| Der Hausbesuch | |
| IG | |
| Sachsen | |
| Wölfe | |
| Wolfsberater | |
| Tierschutz | |
| Der Hausbesuch | |
| Der Hausbesuch | |
| wochentaz | |
| Der Hausbesuch | |
| Der Hausbesuch | |
| Der Hausbesuch | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Illegale Abschüsse in Niedersachsen: 40.000 Euro für den Wolfskiller | |
| In Gifhorn und Sehnde wurden Wölfe nicht bloß erschossen, sondern auch | |
| zerstückelt. Tierschützer haben ein Kopfgeld ausgesetzt. | |
| Bundesministerin fordert mehr Wolfsabschüsse: Lemke bläst mal ins Jagdhorn | |
| Angeblichen „Problem-Wölfen“ mit der Waffe Herr werden: Diese mäßig | |
| tierfreundliche Idee vertritt nun auch die grüne Bundesumweltministerin. | |
| Der Hausbesuch: In Kanada war sie noch nie | |
| Eleonora Zickenheiner hatte als Kind Äpfel dabei, heute erforscht sie alte | |
| Sorten. Dazwischen überwand sie Schüchternheit und entlarvte Plagiate. | |
| Der Hausbesuch: Er traut sich was | |
| Karim Yahiaoui ist Hochzeitsredner, viele Promis zählen zu seinen Kunden. | |
| Hätte ihm das früher jemand erzählt, er hätte es nicht geglaubt. | |
| Der Hausbesuch: Ohne Gedöns | |
| Simone Schmidt alias Simono hat einen pragmatischen Künstlernamen gewählt. | |
| Ihre Kunst aber ist frei und rastlos wie sie selbst. | |
| Der Hausbesuch: Geschichte am Küchentisch | |
| In Marie Rolshovens Wohnung lebten einst Juden und Jüdinnen. Um an diese zu | |
| erinnern, öffnet sie jedes Jahr Anfang Mai ihre Wohnung für Fremde. | |
| Der Hausbesuch: Sie will kein schmutziges Geld | |
| 14 Jahre hat Yang Ge in Moskau gelebt, dort war sie Schauspielerin, | |
| Sängerin und Model. Weges der russischen Invasion fängt sie nun in Berlin | |
| neu an. | |
| Der Hausbesuch: Die Türmerin | |
| Blanca Knodel lebt in einem Turm, den noch der Stauferkaiser Barbarossa | |
| bauen ließ. Drei Kinder zog sie in der Einzimmerwohnung groß. |