| # taz.de -- Unser digitalisiertes Leben: Widerstand ist nicht zwecklos! | |
| > Ein Großteil des Technikkrams, der helfen soll, bewirkt bei mir das | |
| > Gegenteil. Hilfreich ist es dagegen, einfach mal das Handy aus der Hand | |
| > zu legen. | |
| Bild: Braucht nicht implantiert werden: ein Smartphone und sein Mensch in Biele… | |
| Entweder werde ich immer unfähiger oder die Welt doch komplizierter – zum | |
| Beispiel beim Bedienen technischer Geräte. „Völlig inkompetent“, sagt mei… | |
| Tochter und nimmt mir das Tablet mitleidig aus der Hand, um nicht mit | |
| anschauen zu müssen, wie ich es mindestens drei Mal um seine eigene Achse | |
| drehe, beim Befummeln versehentlich ausschalte, es immer noch einmal lauter | |
| mache, bevor es mir schließlich gelingt, die Lautstärke herunterzuregeln. | |
| Drehknöpfe konnte ich. Heutzutage scheint es mir, als befänden sich die | |
| Tasten an ein- und demselben Gerät ständig an anderer Stelle, und jede App | |
| versteckt die Lautstärkeregelung sowieso nochmal woanders. Und wenn ich | |
| meinen vermeintlich intelligenten Sprachassistenten Siri bitte, die Musik | |
| leiser zu machen, muss ich mich mit dem sogar noch länger ablabern, als es | |
| dauert, bis ich die winzigen Knöpfchen durch mein hilfloses Herumnesteln | |
| selber gefunden habe. | |
| Ein Großteil des Technikkrams, der mir helfen soll, bewirkt bei mir genau | |
| das Gegenteil. So muss ich jetzt auf meiner eigenen Internetseite Cookies | |
| akzeptieren. Das kapiere ich genau so wenig, wie den Ausdruck | |
| Self-Scan-Service für die SB-Kasse im Supermarkt: Was denn für ein Service? | |
| Dass man endlich in Ruhe seine Sachen einpacken kann? | |
| Ich persönlich mag lieber Service mit Menschen. Wenn ich schon fliege, | |
| möchte ich am Flughafen gerne an einen Schalter gehen, meinen Koffer aufs | |
| Band hieven, zuschauen, wie die Frau beunruhigend lange auf den Bildschirm | |
| blickt, bis sie mir unvermittelt eine Bordkarte reicht und lächelnd die | |
| Worte, „Ich wünsche Ihnen eine gute Reise“, spricht. | |
| ## Alles wird immer unübersichtlicher | |
| Stattdessen tippsel ich nun gestresst allein auf einem | |
| Self-Checkin-Automaten oder in einer extra dafür benötigten App herum, um | |
| dann spätestens beim Self-Bag-Drop doch jemanden vom humanoiden Personal zu | |
| benötigen, weil die Scheiße nicht funktioniert. Beim letzten Mal lag es | |
| daran, dass ich irgendwie ein Businessticket hatte. Damit musste (oder | |
| durfte) ich doch wieder an einen Schalter. Übrigens konnte ich danach zum | |
| ersten Mal im Leben die Fast Lane am Security-Check nutzen, aber nicht die | |
| Slot and Fly Lane – dafür hätte ich online ein Zeitfenster für die | |
| Sicherheitskontrolle buchen müssen. | |
| Alles wird immer unübersichtlicher oder ich immer eingeschränkter. Genau | |
| wie die ganze [1][Political Correctness]. Für meine Teenie-Tochter ist es | |
| „safe kein Ding“, dass ihr mädchenförmige Jugendliche mit Jungs-Namen | |
| vorgestellt werden. Ich dagegen finde das peinlicherweise irgendwie gut. | |
| Genau, wie ich es irgendwie gut finde, wenn sich in der U-Bahn Jungs | |
| küssen, wenn ich Menschen mit Down-Syndrom, Kopftuch oder verschiedenste | |
| Hautfarben sehe. | |
| Das ist diskriminierend, ich weiß. Ich würde gerne, wie mein Sohn Willi, | |
| einfach gar keine Kategorien bei Menschen wahrnehmen. Aber dafür müsste ich | |
| wohl, so wie er, geistig behindert sein, oder mich endgültig assimilieren | |
| lassen und auch zombiemäßig mit Stöpsel im Ohr pausenlos auf meinem | |
| [2][Smartphone] herumwischen. | |
| Als Teil des [3][Social-Media-Kollektives] muss man nämlich nichts mehr um | |
| sich herum wahrnehmen. Nicht mal, dass eine Person mit Gehhilfe keinen | |
| Sitzplatz hat, während neben mir mein Rucksack sitzt. Wozu ich allerdings | |
| unterwegs ständig meinen Fahrplan, die Uhr, die Wetter-App und meine Mails | |
| öffne, weiß ich selber nicht. Wahrscheinlich, damit ich nicht sehen muss, | |
| dass wir alle wie die Borg bei Raumschiff Enterprise dasitzen, uns an | |
| unsere Smartphones klammern, die uns einzig deswegen nicht implantiert | |
| werden müssen, weil wir sie ohnehin freiwillig nie loslassen. Dann | |
| überkommt mich Handy-Scham. | |
| Aber Widerstand ist nicht zwecklos! Ich stecke das Ding für ein paar | |
| Minuten weg und freue mich heimlich über die echte Welt, in der so viele | |
| verschiedene Menschen leben, sogar welche, die kein Smartphone haben. | |
| 25 Apr 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Birte Müller | |
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