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# taz.de -- Trendsportart Selbstdiagnose: Lieber sieben Wochen mit als ohne
> Wer freiwillig und ohne Leidensdruck bestimmte Lebensmittel meidet,
> braucht dringend ein neues Hobby. Ich kann auf Selbstkasteiung gut
> verzichten.
Bild: Man kann auch Wasser trinken und Knäckebrot knabbern. Muss man aber als …
Jetzt ist wieder die Zeit, in der man von Menschen hört, dass sie fasten.
[1][Sie machen Sieben Wochen ohne] und „eigentlich“ dürfen sie gerade
keinen Kaffee oder Kuchen. Ich denke: Sie dürfen schon, sie wollen nur
nicht.
Ich befinde mich in einer Lebensphase, in der ich mir vorgenommen habe,
viel öfter Kuchen zu backen und mit einer Freundin Kaffee zu trinken. Aber
wenn andere keinen Zucker oder sonst was möchten – kein Problem. Nur lange
Rechtfertigungsreden mag ich nicht hören. Ich habe an Selbstkasteiungen
grundsätzlich kein Interesse.
Ich hatte genug ohne, ich will jetzt mit! Sieben Wochen mit Alkohol und
Tanzen, das wär’s! Leider nur umsetzbar in der – zugegebenermaßen
reizvollen – Kombination mit Sieben Woche ohne Kinder.
Sieben Wochen mit Sport würde mir auch gefallen, aber ich nehme es mir
nicht vor, ich würde versagen und mich schlecht fühlen. Die evangelische
Kirche hat in diesem Jahr auch die Fastenzeit unter das Motto Sieben Wochen
ohne Verzagtheit gestellt. Obwohl ich Zwangspositivismus argwöhne, gefällt
mir das besser als Schokoladen- oder Alkoholverzicht – allein schon wegen
des schönen Wortes „Verzagtheit“.
Natürlich macht es Sinn, sich gesünder zu ernähren und auch mal zu schauen,
wie man ohne Alkohol zurechtkommt. Aber muss das unbedingt in den sieben
Wochen vor Ostern stattfinden? Als mein Mann und ich uns in der
Schulschließungsphase der Pandemie schon morgens auf unsere Drinks in der
Wohnzimmer-Kinderdisko am Nachmittag freuten, hatte das durchaus eine
Funktion. Aber bis zur darauffolgenden Fastenzeit zu warten, um mit den
Drinks wieder aufzuhören, wäre mit Sicherheit dysfunktional gewesen.
## Lieber ein Glas Sekt als einen Smoothie
Trotzdem, ich fühle mich nach einem Glas Sekt wohler als nach einem grünen
Smoothie aus einem überteuerten Hochleistungsmixer, in dem Dinge
zerhäckselt wurden, die meiner Meinung nach maximal noch auf den Kompost
gehören, wie Grünkohlstrünke oder Avocadokerne. Für Selbstgeißelung bin ich
einfach nicht zu haben. Doch ich achte die Kraft des Placebos und glaube
gerne, dass es anderen durch das Weglassen von Laktose oder das Trinken
heißen Wassers oder weil sie nur noch Rohes oder 16 Stunden gar nichts
essen viel besser geht.
Nur unterstelle ich eine gewisse Unterbeschäftigung im Leben von gesunden
Menschen, [2][die sehr viel Energie auf solche Trends verwenden]. Ich will
aber undifferenzierten Blödsinn, dass Kartoffeln dick oder zu viele Äpfel
krank machen, nicht hören. Nur mit dem Hautarzt unserer Tochter wollte ich
neulich über das Thema Ernährung sprechen. Ein Bluttest hatte nämlich
ergeben, dass Olivia eine Allergie auf Erdnüsse, Soja und – verdammte Axt
– auf WEIZEN habe.
[3][Für manchen mag es ja das Lieblingshobby sein], Weizen wegzulassen,
aber mir haben schon immer alle leidgetan, die wirklich Zöliakie haben.
Klar, man bekommt jetzt sogar beim Aldi solches Brot, aber bei uns genügte
ein einziger Tag, da war Olivia fertig mit dem Thema glutenfrei. Das Brot
schmeckte „kacke“ und als die Reismehl-Crêpes sich nicht fachgerecht wenden
ließen, bekam sie einen sehr heftigen Anfall von – sagen wir mal –
Verzagtheit! Wir aßen also wie vorher, nur mit schlechtem Gewissen.
Der Arzt wusste nicht, was es zu besprechen gäbe. Doch ich wollte wissen,
was tun, wenn der Stress durch das Weglassen aller Weizenprodukte
möglicherweise deutlich größer wäre, als der durch die Neurodermitis
selber. Es stellte sich heraus, dass es, anders als bei Soja und Erdnüssen,
kein Problem sei, wenn unsere Tochter Weizen isst. Sie sollte ihn nur nicht
roh konsumieren oder berühren. Klang irgendwie schwachsinnig, aber egal,
wir sind schnell nach Hause gefahren und haben Kuchen gebacken.
17 May 2023
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## AUTOREN
Birte Müller
## TAGS
Zöliakie
Ernährung
Schwer mehrfach normal
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