| # taz.de -- Cannabis-Politik in Berlin: Das Hanf ist frei | |
| > Der Grüne Christian Ströbele sprach den legendären Satz „Gebt das Hanf | |
| > frei“. Nun verzeichnet der Cannabis Social Club Neuanmeldungen in | |
| > Minutentakt. | |
| Bild: Christian Ströbele spricht am 2016 in Berlin bei der 20. Hanfparade | |
| Berlin taz | Es sei ein krasser Tag, sagt Torsten Dietrich. Die Stimme des | |
| 50-Jährigen, der sich zeit seines Leben für die Legalisierung von Cannabis | |
| einsetzt, hört sich am Telefon so an, als kämpfe da einer gegen eine | |
| aufkommende Rührung. „Es ist der Wahnsinn!“ Dietrich ist Vorsitzender des | |
| „Cannabis Social Club Berlin“ (CSC), eine Interessenvertretung von | |
| Cannabisnutzern, deren Freunden und Angehörigen. 150 Mitglieder zählte der | |
| Club bis Mittwoch. Aber dann brach die Hölle los: „Neuanmeldungen in | |
| Minutentakt“. | |
| Weit über 1.000 seien es inzwischen, sagt Dietrich. Ein Wunder, dass die | |
| Homepage mit dem Meldeformular noch nicht zusammmengebrochen sei. „Wir | |
| waren vorbereitet, aber nicht so.“ Man werde sich nun neu strukturieren und | |
| aufstellen. | |
| Am Mittwoch haben Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und der | |
| grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir [1][die neuen Cannabis-Eckpunkte] | |
| vorgestellt. Sie sind die Grundlage eines Gesetzesentwurfs, der noch im | |
| April entstehen soll. Die Legalisierungspläne basieren auf zwei Säulen. | |
| Säule eins, „schnelle Säule“ genannt, sieht vor, dass [2][nicht | |
| gewinnorientierte Vereine] Cannabis zu Genusszwecken anbauen und an | |
| Mitglieder für den Eigenkonsum abgeben können. Und hier kommen Torsten | |
| Dietrich und der CSC Berlin ins Spiel. Maximal 500 Mitglieder darf so ein | |
| Club laut Eckpunktepapier haben. Maximal 50 Gramm Cannabis kann ein | |
| Mitglied über 21 Jahre dort im Monat kaufen. Für den gemeinschaftlichen | |
| Eigenanbau gelten Qualitätsvorgaben, das heißt zum Beispiel Vorgaben zu | |
| Pflanzenschutzmitteln. | |
| So wie alle Cannabis-Interessenvertretungen im Bundesgebiet hat auch der | |
| CSC Berlin lange Zeit ein Schattendasein in Warteposition geführt. Seit | |
| sieben Jahren gibt es die Berliner Vereinigung. Richtig schwierig sei die | |
| Gründung gewesen, man habe die Satzung erst mal durchklagen müssen, am | |
| Beispiel der Schwesterorganisation in Hamburg, sagt Dietrich. | |
| ## Freilandanbau favorisiert | |
| Vor drei Jahren habe der CSC Berlin in Brandenburg eine acht Hektar große | |
| Anbaufläche erworben, in Kooperation mit „Vollerwerbslandwirten“ werde dort | |
| seither Nutzhanf angepflanzt. Sobald die Bundesregierung grünes Licht gebe, | |
| könne auf der Fläche mit THC-haltigem Cannabis losgelegt werden. Der CSC | |
| Berlin favorisiere Freilandanbau: natürliches Sonnenlicht, kein Kunstlicht, | |
| lebende Erde, ohne Dünger oder sonstige Zusätze – „also rein bio“ sagt | |
| Dietrich. | |
| Das Beste sei vermutlich, eine Genossenschaft zu gründen. Die nächste | |
| Schritte seien aber einen Ableger des CSC im Westteil der Stadt zu gründen, | |
| dann sechs Vereine im Zentrum, dann 23 Ortsgruppen in den Bezirken und von | |
| da aus immer weiter in die Fläche. „Das wird in den nächsten Wochen ein | |
| Gründungsmarathon“, prophezeit Dietrich mit Blick darauf, dass jeder Club | |
| nur 500 Mitglieder haben darf. | |
| Das Ziel sei, sich mit einem einheitlichen System zu vernetzen, | |
| zusammenzuarbeiten und gemeinsam die Kosten zu tragen, die eine Ortsgruppe | |
| allein nicht stemmen könne. Benötigt werde ein IT-System, Juristen, Ärzte | |
| und Pharmazeuten. „Das soll ja eine verantwortungsbewusste Geschichte | |
| werden.“ | |
| ## Hanfverband warnt | |
| Er verstehe die Euphorie, sagt Georg Wurth, Sprecher des Deutschen | |
| Hanfverbands, eine Interessenvertretung der Hanfbewegung in Deutschland. | |
| Aber das Eckpunktepapier sei nur ein Eckpunktepapier. Entscheidend seien | |
| die Durchführungsbestimmungen. Wenn die Regelungen für die Clubs so | |
| restriktiv ausfielen, wie es zum Beispiel in Malta der Fall sei, „macht es | |
| am Ende keiner“. Auch, dass in den Clubs laut Eckpunktepapier kein Cannabis | |
| konsumiert werden dürfe, sei absurd, sagt Wurth. „Dann kiffen alle weiter | |
| in den Parks.“ | |
| Während die Gründung von Cannabis-Agrargenossenschaften vermutlich ein | |
| Selbstläufer wird, verhält es sich mit der zweiten Säule im Eckpunktepapier | |
| schwieriger: Modellregionen in Deutschland sollen begrenzt auf 5 Jahre | |
| erste kommerzielle Lieferketten einrichten können. Lizenzierte Geschäfte | |
| können dann Cannabis verkaufen, das Projekt wird wissenschaftlich | |
| evaluiert. | |
| Unter anderen parteipolitischen Vorzeichen hätte Berlin, Kifferhauptstadt | |
| von Deutschland, als Erste den Finger gehoben. Rot-Rot-Grün hatte bereits | |
| 2019 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen | |
| Antrag auf ein Modellprojekt zur Cannabisabgabe zu wissenschaftlichen | |
| Zwecken gestellt. Das BfArM hatte mit der Begründung abgelehnt, die | |
| Durchführung sei „weder medizinisch noch ethisch vertretbar.“ | |
| [3][Zuvor war bereits 2015 der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit dem | |
| Antrag auf ein „Coffeeshop“ genanntes Projekt beim BfArM abgeblitzt]. An | |
| der Bereitschaft habe sich nichts geändert, sagte die grüne | |
| Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann am Donnerstag zur taz: „Wir stehen | |
| bereit.“ | |
| ## Konzept, Pläne – alles fertig | |
| [4][Aber nun hat die Wiederholungswahl der Hauptstadt eine schwarze-rote | |
| Regierungskoalition beschert]. Seine Befürchtung sei, dass die CDU das | |
| Berliner Modellprojekt auf Eis legen werde, sagt Vasili Franco, | |
| innenpolitischer Sprecher der Grünen. „Nach fünf Jahren sind wir komplett | |
| raus.“ Konzept, Pläne – „alles fertig, man muss es nur anpassen“, sagt | |
| Niklas Schrader, drogenpolitischer Sprecher der Linkspartei. | |
| Das Modellprojekt auf einen einzelnen Bezirk wie Friedrichshain Kreuzberg | |
| zu reduzieren „wäre völliger Quatsch“, ist Schrader überzeugt. In den | |
| letzten Jahren seien genug Umdrehungen in der Cannabisfrage gemacht worden. | |
| Auch Franco sieht das so: „Wir brauchen jetzt einen Paradigmenwechsel, und | |
| keine Null-Toleranz-Politik.“ | |
| Es ist noch gar nicht so lange her: Der CDU Innensenator Frank Henkel war | |
| es, der 2016 tatsächlich auf die Idee gekommen war, den Görlitzer Park in | |
| Kreuzberg zu einer Null-Toleranz-Zone für Drogen zu erklären. Absurder geht | |
| es nicht. [5][Die SPD, auch damals mit in der Regierung, bremste Henkel | |
| nicht]. Gekifft wurde in dem Park natürlich weiterhin. Ausbaden musste es | |
| die Polizei mit sinnlosen Kontrollen. | |
| ## Es war ein langer Weg | |
| Was die Säule eins des Eckpunktepapiers betrifft, „der private und | |
| gemeinschaftliche nicht kommerzielle Eigenanbau“, stehen die Chancen indes | |
| gut, dass das Vorhaben bis 2024 umgesetzt wird. „Es war ein langer Weg“, | |
| beschreibt Torsten Dietrich, Vorsitzender des CSC Berlin, die einzelnen | |
| Etappen. | |
| 1994: Freigabe von Cannabissamen, wenngleich kurz zunächst wieder | |
| storniert. 1997: Auf deutschen Äckern darf wieder die alte Kulturpflanze | |
| Nutzhanf angebaut werden. Auch 1997: erste Hanfparade in Berlin, von da an | |
| jedes Jahr. 2002: Der Grünen-Politiker Christian Ströbele sagt auf der | |
| Hanfparade den legendären Satz, der Eingang in den Reggae von Stefan Raab | |
| findet: „Gebt das Hanf frei“. 2017: Freigabe von medizinischem Cannabis für | |
| Schwerstkranke auf Rezept. | |
| Und nun – 2024 die Entkriminalisierung? „Christian Ströbele hatte recht,“ | |
| sagt Dietrich. 1994, nach der Freigabe der Hanfsamen, „als wir glaubten, | |
| die Legalisierung komme morgen“, habe Ströbele gewarnt: „Leute, ihr wisst | |
| nicht, wie Politik funktioniert. Das wird noch 30 Jahre dauern.“ | |
| Miterleben kann [6][Christian Ströbele], der Vorkämpfer für die | |
| Legalisierung, der nie einen Joint geraucht hat, das leider nicht mehr. Im | |
| August 2022 ist er im Alter von 83 Jahren gestorben. | |
| 14 Apr 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Cannabis-Legalisierung-in-Deutschland/!5924667 | |
| [2] /Cannabis-in-Spanien/!5924666 | |
| [3] /Regulierter-Verkauf-von-Cannabis/!5237308 | |
| [4] /Schwarz-rote-Koalition-in-Berlin/!5925649 | |
| [5] /Archiv-Suche/!206688&s=plarre+Isenberg&SuchRahmen=Print/ | |
| [6] /Christian-Stroebele-ist-gestorben/!5878473 | |
| ## AUTOREN | |
| Plutonia Plarre | |
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