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# taz.de -- Streit über Justizreform in Israel: Auf den Straßen und im Kabine…
> Netanjahu entlässt Verteidigungsminister Galant, der die Justizreform
> stoppen wollte. Zehntausende Menschen demonstrieren in der Nacht zu
> Montag in Tel Aviv.
Bild: Wasserwerfer gegen Demonstranten: die Lage in Tel Aviv eskaliert
Tel Aviv/berlin dpa/taz | Massenproteste, ein drohender Generalstreik und
die Armee in Alarmbereitschaft: In Israel hat sich die politische Krise
nach der Entlassung des Verteidigungsministers Joav Galant wegen dessen
Kritik an einer höchst umstrittenen Justizreform dramatisch zugespitzt. Nun
ruft auch der Dachverband der israelischen Gewerkschaften Histadrut zum
sofortigen „Generalstreik“ auf. „Wenn diese Pressekonferenz endet, steht
der Staat Israel still“, sagte der Gewerkschaftschef in der im israelischen
Fernsehen übertragenen Konferenz.
Bereits in der Nacht strömten zehntausende Menschen auf die Straßen Tel
Avivs, um gegen die von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu angeordnete
Entlassung und die Reformpläne seiner rechtsreligiösen Regierung zu
protestieren. Dabei kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei,
die Wasserwerfer und Reiterstaffeln einsetzte.
Präsident Izchak Herzog rief die Regierung zum Einlenken auf. „Um der
Einheit des israelischen Volkes willen, um der Verantwortung willen fordere
ich Sie auf, die Gesetzgebung sofort einzustellen“, sagte er am frühen
Montagmorgen. Die Menschen seien in tiefer Angst. Am Morgen gingen die
Proteste vor dem Parlament in Jerusalem weiter.
Angesichts der brenzligen Lage hielt Netanjahu in der Nacht eine
Dringlichkeitssitzung zum weiteren Vorgehen ab, wie mehrere Medien
berichteten. Mit Koalitionspolitikern soll er über eine mögliche Aussetzung
des Reformvorhabens beraten haben. Der Sender Kanal 12 berichtete am
Montag, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe seine eigentlich für
Montagvormittag geplante Erklärung zum Stopp der Reform wegen Differenzen
innerhalb der Regierungskoalition verschoben. Eine offizielle Bestätigung
gab es dazu zunächst nicht.
Netanjahu hatte Galant, der seiner Likud-Partei angehört, wegen [1][dessen
Aufrufs zum Stopp der Justizreform] entlassen. Gegen die Reform, [2][mit
der der Einfluss des Höchsten Gerichts beschnitten] und [3][die
Machtposition der Regierung zulasten der unabhängigen Justiz gestärkt
werden soll], gibt es seit Monaten heftige Proteste. Der bisherige
Verteidigungsminister hatte am Samstagabend die Regierung zum Dialog mit
Kritikern aufgerufen. Er warnte, dass die nationale Sicherheit und
insbesondere die Einsatzfähigkeit der Armee auf dem Spiel stehe. Seit
Wochen ist von wachsendem Unmut im Militär die Rede, aus Protest gegen die
Reform waren zahlreiche Reservisten nicht zum Dienst erschienen.
## Zorn der Menschen bricht sich Bahn
Die Regierung wirft dem Höchsten Gericht unbotmäßige Einmischung in
politische Entscheidungen vor. Künftig soll das Parlament mit einfacher
Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufheben können. Der
Ministerpräsident soll stärker vor einer Amtsenthebung geschützt werden.
Kritiker sehen die Gewaltenteilung in Gefahr, manche warnen gar vor der
schleichenden Einführung einer Diktatur.
Auf den Straßen bricht sich der Zorn vieler Menschen Bahn, die um die
Demokratie in Israel fürchten. Nachdem dort am Samstag schon 200.000
Menschen zusammengeströmt waren, blockierten am Sonntagabend in Tel Aviv
zahllose Demonstranten mit Israel-Fahnen die zentrale Straße nach Jerusalem
und setzten Reifen in Brand. Die Polizei ging mit Reiterstaffeln und
Wasserwerfern gegen die Menge vor, aus der Steine auf die Einsatzkräfte
flogen. In Jerusalem durchbrachen wütende Menschen eine Straßensperre neben
Netanjahus Wohnhaus, der Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet begab sich
noch in der Nacht dorthin.
Universitäten verkündeten aus Protest gegen die Entlassung Galants und die
Reformpläne einen vorläufigen Unterrichtsstopp. Mehrere Bürgermeister
traten in den Hungerstreik und forderten eine sofortige Eindämmung der
nationalen Krise. Der Dachverband der Gewerkschaften (Histadrut) setzte für
Montag eine Pressekonferenz an, allem Anschein nach zur Ausrufung eines
Generalstreiks.
Netanjahu habe von Sonntagabend bis tief in die Nacht hinein mit mehreren
Ministern über einen möglichen Stopp der Reform beraten, berichtete die
Jerusalem Post. An dem Krisengespräch in seinem Büro nahmen demnach
Justizminister Jariv Levin, Finanzminister Bezalel Smotrich,
Bildungsminister Joav Kisch und der für strategische Fragen zuständige
Minister Ron Dermer teil.
## Oppositionspolitiker: „Rote Linie überschritten“
Die Oppositionspolitiker Jair Lapid und Benny Gantz forderten Netanjahus
Parteikollegen in einer gemeinsamen Mitteilung auf, „sich nicht an der
Zerstörung der nationalen Sicherheit zu beteiligen“. Der Regierungschef
habe „eine rote Linie überschritten“.
Netanjahus seit drei Monaten amtierende Koalition – die am weitesten rechts
stehende, die das Land je hatte – wollte Kernelemente der Reform eigentlich
in den kommenden Tagen umsetzen. Ob wie geplant am Montag über ein Gesetz
abgestimmt wird, das Regierungspolitikern mehr Einfluss bei der Ernennung
von Richtern verleihen soll, ist angesichts der jüngsten Ereignisse
allerdings unklar.
Auch international lösen die Pläne Kritik aus. Die US-Regierung als
wichtigster Verbündeter äußerte sich tief besorgt. Angesichts der geplanten
„grundlegenden Änderungen an einem demokratischen System“ rief das Weiße
Haus die israelische Führung nachdrücklich auf, sobald wie möglich einen
Kompromiss zu finden.
Der ehemalige Ministerpräsident Naftali Bennett warnte, Israel befinde sich
in der größten Gefahr seit dem Jom-Kippur-Krieg 1973. Arabische Staaten
hatten Israel damals überraschend am höchsten jüdischen Feiertag
angegriffen. Bennett rief Netanjahu dazu auf, die Entlassung Galants
zurückzunehmen, die Reform auszusetzen und einen Dialog mit den Gegnern
aufzunehmen.Sicherheitsexperten warnen, Feinde Israels – allen voran der
Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz sowie militante
Palästinenserorganisationen im Gazastreifen – könnten die Gunst der Stunde
für Angriffe auf das durch die Krise geschwächte Land nutzen.
Dieser Artikel wird fortlaufend aktualisiert.
27 Mar 2023
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