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# taz.de -- Justizreform in Jerusalem: Viel Lärm um Unklares
> Ben-Gvir würde sich gern als Chef von Israels Nationalgarde sehen. Dass
> der rechtsextreme Politiker das Kommando bekommt, ist aber
> unwahrscheinlich.
Bild: Würde sich gern als Chef von Israels Nationalgarde sehen: Sicherheitsmin…
Eine „Nationalgarde“, wie sie sich der rechtsextreme Politiker und Minister
Itamar Ben-Gvir für Israel wünscht, ist eigentlich auch schon vom Klang her
für israelische Ohren fremd. Das israelische Militär heißt im Hebräischen
„Armee zur Verteidigung Israels“, die Polizeikräfte nennen sich „Israels
Polizei“. Mit einer [1][Nationalgarde] assoziiert man eher autoritäre
Regime besonders in arabischen Staaten der Region.
Der Hang zur expliziten Verwendung des Begriffs „national“ bei der
Benennung staatlicher Organe kennzeichnet in Israel bekanntlich weit
stärker die Rechte als die Linke. Benjamin Netanjahus Parteifreund Ariel
Scharon erhielt 1996 ein „Ministerium für nationale Infrastrukturen“ und
Netanjahu rief drei Jahre später den „Rat für nationale Sicherheit“ ins
Leben. Doch selbst in seiner langen Regierungszeit hielt sich die
„Nationalisierung“ der Ministerien in Grenzen – es kam nur ein „Nationa…
Minister für Digitales“ hinzu.
Bei der rechtsextremen Partei Die nationale Union begann Itamar Ben-Gvirs
politische Karriere. Als Netanjahu ihn Ende 2022 in die Regierung holte,
ließ sich [2][Ben-Gvir zum „Minister für nationale Sicherheit“] erklären…
zuvor hieß das Ressort „Innere Sicherheit“. Seine Parteifreund*innen
von Otzma Yehudit (Jüdische Stärke) zeichnen für ähnlich lautende
ministerielle Ressorts verantwortlich: „Siedlung und nationale Aufgaben“,
„Negev, Galiläa und nationale Stärke“.
Die nationalistische rhetorische Färbung ist ein unverkennbarer Wesenszug
dieser Partei, und Ben-Gvir macht keinen Hehl daraus, dass er sich in der
Rolle eines Oberbefehlshabers einer „Nationalgarde“ gefallen würde.
Allerdings verfügt der israelische Staat schon seit Juni 2022 über eine
solche, sie trägt aber die Bezeichnung „Israelische Garde“.
## Zehntausende Freiwillige mit Kampferfahrung
Mit ihrer Gründung folgten Ben-Gvirs Amtsvorgänger Omer Bar-Lev und der
damalige Ministerpräsident Naftali Bennett einer dringenden Empfehlung
hochrangiger Militärexperten, die mit Sorge beobachteten, dass die
israelische Polizei bei der Bewältigung der gewalttätigen
Auseinandersetzungen zwischen Arabern und Juden im Mai 2021 besonders in
den gemischten israelischen Städten völlig überfordert war.
Bennett und Bar-Lev entschieden sich in erster Linie für die Rekrutierung
von Freiwilligen für die Grenzschutzeinheiten, die unter dem Kommando der
israelischen Polizei stehen. Die Rede war von mehreren Tausend Personen;
allerdings konnten nur rund 600 dafür gewonnen werden. Auch deshalb
kündigten Ben-Gvir und der ihm unterstehende Polizeichef Kobi Schabtai auf
einer Pressekonferenz im Januar nicht nur einen massiven Ausbau und eine
weit bessere Bezahlung der Polizeikräfte an, die seit Jahren an einem immer
dramatischeren Personalschwund leiden.
Auch die Gründung einer „Nationalgarde“ wurde bekanntgegeben, die schon im
Koalitionsvertrag zwischen Netanjahus Likud und Ben-Gvirs Partei vereinbart
worden war. Damit dürfte die bereits im Aufbau befindliche „Israelische
Garde“ – sie wurde auf der Pressekonferenz nicht einmal erwähnt – ad acta
gelegt werden. Der auf der Pressekonferenz vorgestellte Plan der beiden sah
eine Verdoppelung der Grenzschutzeinheiten sowie die Rekrutierung von
zehntausend Freiwilligen mit Kampferfahrung vor.
Ben-Gvir und Schabtai unterstrichen bei diesem Anlass, dass die
Nationalgarde unter dem direkten Kommando von Schabtai in seiner Funktion
als Polizeichef stehen würde – eine Antwort auf die öffentliche Kritik,
dass der wegen Volksverhetzung und Unterstützung einer Terrororganisation
verurteilte Ben Gvir sich eine „private Miliz“ zulegen wolle.
## Zuständigkeiten noch offen
Seit Januar war jedoch kaum etwas in der Sache geschehen. Nachdem Ben-Gvir
als Gegenleistung für seine Zustimmung zur Verschiebung der umstrittenen
Justizreform Netanjahu eine schriftliche Bestätigung für die Gründung der
Nationalgarde abgerungen hatte, legte er am 29. März seinen Plan für die
Garde vor.
In dem dreiseitigen Papier wird das Organ nun als „Nationale Garde für
Israel“ bezeichnet – darin findet die „Israelische Garde“ jetzt doch
Erwähnung, wenngleich als unvollendetes Projekt. Ben-Gvirs Entwurf enthält
kaum Konkretes zum Aufbau der Garde. Sie werde über „reguläre Kräfte und
taktische Einheiten“ verfügen, die landesweit in Routine- wie in Notzeiten
Terrorismus bekämpfen und die Kontrolle über die öffentliche Ordnung
stärken sollen.
Es soll auch die Möglichkeit geprüft werden, ob bestimmte Grenzschutzkräfte
dem direkten Kommando der Garde unterstellt werden können. Diese und
weitere Fragen, vor allem der Zuständigkeiten der Nationalgarde, soll eine
durch den Direktor des Ministeriums für nationale Sicherheit einberufene
Kommission klären. Der für das Projekt benötigte Etat, der aus den Budgets
anderer Ministerien zusammengetragen werden soll, wurde bereits genehmigt,
wenngleich seine Höhe bislang unklar ist.
## Dem Tyrannen die Loyalität zusichern
Die die israelische Öffentlichkeit am meisten bewegende Frage, ob die
„Nationale Garde für Israel“ Ben-Gvirs direktem Kommando unterstehen wird,
wurde von ihm in dem Entwurf wohl absichtlich offengelassen. Eine solche
Befehlsstruktur [3][kritisiert Polizeichef Schabtai als „gefährlich“] und
lehnt sie ebenso strikt ab wie Ronen Bar, Chef des inländischen
Geheimdienstes Schabak. Zudem hat Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara
gravierende rechtliche Bedenken angemeldet, die dem Regierungsbeschluss
beigefügt sind.
Trotz der allgemeinen Unklarheit über Charakter und Aufbau der neuen Garde
halten Kritiker in Israel an der Vorstellung von einer „Privatmiliz“
Ben-Gvirs fest. Bei den Protesten am Wochenende marschierten gar als
„Gardisten“ verkleidete Demonstranten im Gleichschritt und sicherten dem
„Tyrannen“ lauthals ihre Loyalität zu. Für übertriebene Szenarien sorgen
auch arabische Medien. „Die Nationalgarde in Israel – Ben-Gvir bereitet
sich auf eine neue Nakba vor“, schlug etwa [4][der katarische Sender
al-Dschasira] Alarm.
5 Apr 2023
## LINKS
[1] /Justizreform-in-Israel/!5922919
[2] /Regierungsbildung-in-Israel/!5897407
[3] https://www.haaretz.com/israel-news/2023-03-29/ty-article/.premium/why-isra…
[4] https://www.aljazeera.com/news/2023/4/2/israeli-cabinet-approves-funds-for-…
## AUTOREN
Joseph Croitoru
## TAGS
Justizreform
Israel
Benjamin Netanjahu
Nationalgarde
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