# taz.de -- Gewalteskalation in Nahost: Raketen zu Pessach und im Ramadan | |
> In Israel eskaliert die Gewalt mit militanten Palästinensern. Beginn war | |
> am Tempelberg, doch könnte sich die umstrittene Justizreform noch | |
> auswirken. | |
Bild: Israelische Polizisten entfernen in Schlomi Reste eine abgefangenen Raket… | |
TEL AVIV taz | Seit Freitagmorgen herrschte eine brüchige Ruhe in Israel | |
und den besetzten Gebieten. Für einige Stunden ruhten die Waffen, nachdem | |
die Situation zuvor an verschiedenen Fronten eskaliert war: Raketen der | |
Hamas flogen aus dem Südlibanon und Gaza auf Israel, dessen Luftwaffe flog | |
Vergeltungsschläge. Dazu kamen Zusammenstöße zwischen Polizei, | |
rechtsgerichteten jüdischen Israelis und Palästinenser*innen an | |
verschiedenen Orten Israels. | |
Alle Augen sind dabei auf den Tempelberg in Jerusalems Altstadt gerichtet. | |
[1][Dort begann die Eskalation.] In den Nächten auf Dienstag und Mittwoch | |
hatte Israels Polizei dort die Al-Aksa-Moschee gestürmt und unter Anwendung | |
von Gewalt zahlreiche Palästinenser festgenommen, die sich dort nach | |
Krawallen verschanzt hatten. | |
Der Tempelberg ist für Juden, Jüdinnen und Christ*innen seit jeher, für | |
Muslim*innene in jüngerer Zeit einer der zentralen heiligen Orte. | |
Palästinenser*innen fürchten, dass Israel den sogenannten Status Quo | |
verändern wolle. Er besagt, dass Juden und Jüdinnen den Tempelberg zu | |
bestimmten Zeiten betreten, aber nicht beten dürfen. | |
Pessach, Ramadan und Ostern fallen zusammen | |
Israels rechtsradikaler Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, | |
hielt sich zwar zuletzt mit entsprechenden Ankündigungen zurück. Doch gilt | |
er als Verfechter einer Änderung des Status Quo, um den Ort für Jüdinnen | |
und Juden zugänglicher zu machen. Dass derzeit die religiösen Feste | |
Pessach, Ramadan und Ostern zusammenfallen, macht die Lage noch explosiver. | |
Für Aviv Tatarsky von der Nichtregierungsorganisation Ir Amim ist klar, | |
dass die weitere Entwicklung nun vor allem vom Vorgehen der israelischen | |
Polizei abhängt. Hält sie sich zurück, glaubt er, könnte die Situation sich | |
beruhigen. | |
Doch mit Sorge erwartet er eine Pessachzeremonie am Sonntag, zu der | |
Tausende von Jüdinnen und Juden an die Klagemauer ziehen. Führt die Polizei | |
in der Nacht auf Sonntag deswegen eine Razzia wie am Dienstag und Mittwoch | |
durch, könnte das den Konflikt wieder anheizen. | |
Bei der Eskalation wurde zumindest noch niemand im Gazastreifen und im | |
Libanon getötet. Keine der Parteien dürfte derzeit an einem Krieg | |
interessiert sein. Von der Reaktion der israelischen Regierung auf einen | |
Anschlag im nördlichen Westjordanland, bei dem am Freitagmittag zwei | |
israelische Siedlerinnen erschossen wurden, dürfte einiges abhängen. | |
Viele Koalitionspartner von Regierungschef Benjamin Netanjahu fordern ein | |
hartes Durchgreifen. Anschläge gegen Israelis haben sich in den letzten | |
Monaten gehäuft. | |
Innenpolitisch herrscht Chaos | |
Die Eskalation an den unterschiedlichen Fronten kommt zu einer Zeit des | |
innenpolitischen Chaos. „Mr. Security“ nannten die Israelis einst | |
Netanjahu, weil es unter seiner Ägide vergleichsweise ruhig blieb. Heute | |
kann davon keine Rede sein. | |
Zwar halten noch immer viele zu ihm, doch wenden sich auch immer mehr von | |
ihm ab. „Das ist die Sicherheit, die wir von ihm kriegen“, sagt ein | |
Verkäufer in einem Kiosk in Tel Aviv und zeigt auf die Bilder von | |
Raketenangriffen aus dem Libanon, die über auf Fernseher über ihm zu sehen | |
sind. | |
Viele Israelis sind überzeugt, dass die derzeitige innenpolitische Krise | |
über die umstrittene Justizreform Israels Abschreckungskraft schwächt. | |
Davon ist auch Michael Milshtein überzeugt, Leiter des Forums | |
Palästinensische Studien an der Tel Aviv Universität. In seinen Augen | |
versuchen die „Feinde Israels“ zu prüfen, wie weit sie nun gehen können. | |
„Die Raketen aus dem Libanon waren eine solche Prüfung.“ | |
Auch ein Autobombenangriff im nördlichen Israel vor zwei Wochen, der der | |
Hisbollah, dem libanesischen Arm des Iran zugeschrieben wird, war in seinen | |
Augen ein solcher Versuch, die derzeitige Stärke Israels zu testen. | |
Die Opposition sortiert sich angesichts der drohenden Eskalation neu. Auch | |
Oppositionsführer Yair Lapid sagte, dass „das unverantwortliche Verhalten | |
der derzeitigen Regierung“ die Abschreckung „ernsthaft beschädigt“ habe.… | |
betonte jedoch den Zusammenhalt der Israelis in Sicherheitsfragen: „Die | |
Opposition wird der Regierung volle Rückendeckung für ein hartes Vorgehen | |
der IDF und der Sicherheitskräfte geben.“ | |
Die Reservisten, die wegen der Justizreform ihren Dienst verweigerten, | |
dürften dies im Fall einer militärischen Eskalation wohl beenden. | |
Welche Folgen eine Eskalation [2][für die Justizreform] hat, ist schwer | |
abzusehen. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass Netanjahu die akute | |
Sicherheitsfrage nutzt, um sie als Argument gegenüber seinen | |
Koalitionspartner*innen anzubringen und aus der umstrittenen | |
Justizreform auszusteigen. Denn mit der Reform hat er sich innen- wie | |
außenpolitisch an vielen Fronten ins Abseits manövriert. | |
7 Apr 2023 | |
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[1] /Ramadan-Pessach-und-Ostern-in-Jerusalem/!5926809 | |
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## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
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