| # taz.de -- Regierungsbildung in Israel: Regierung der Theokraten | |
| > Die Knesset vereidigt Netanjahus rechts-religiöses Kabinett. Dieser wird | |
| > kritisiert, sämtliche Forderungen seiner Koalitionspartner zu erfüllen. | |
| Bild: Macht sich zum Handlanger rechtsextremer Kräfte: Ministerpräsident Benj… | |
| Tel Aviv taz | Als in der Knesset die neue israelische Regierung vereidigt | |
| wird – die rechteste, die Israel jemals hatte – protestieren einige tausend | |
| Demonstrant*innen vor dem Regierungsgebäude. „Bibi und Ben Gvir | |
| zerstören die Demokratie“ steht auf einigen Schildern, die sie in die Höhe | |
| halten. Drinnen sagt Benjamin Netanjahu in seiner Antrittsrede: „Ich höre | |
| das ständige Geschrei der Opposition über das Ende des Landes und der | |
| Demokratie. Wahlen zu verlieren, ist nicht das Ende der Demokratie – es ist | |
| die Essenz der Demokratie.“ | |
| Zuvor hatte der neue Oppositionsführer Yair Lapid bereits auf Facebook | |
| angekündigt: „Wir kämpfen für die Zukunft unserer Kinder, und wir werden | |
| nicht aufhören, bis wir die Regierung der Zerstörung gestürzt haben, und | |
| zurück sind.“ | |
| Nicht nur die Opposition wirft Netanjahu vor, seinen rechtsextremen | |
| Koalitionspartnern jegliche Forderungen erfüllt zu haben. Die | |
| Rückgratlosigkeit des Wahlsiegers dürfte daher rühren, dass er wegen seines | |
| derzeit laufenden Gerichtsprozesses in drei Korruptionsfällen unter Druck | |
| steht. Bei dem Versuch, durch ein Gesetz Immunität zu erlangen, ist er auf | |
| die Unterstützung seines rechtsextrem-religiösen Blocks angewiesen. | |
| Auch innerhalb des Likud gibt es Kritik. Bis kurz vor Schluss wurde heftig | |
| um die verbliebenen Ministerposten gerangelt – nach ihrer Verkündigung | |
| fügte Netanjahu kurzerhand noch einen weiteren hinzu. Aus 31 Ministern wird | |
| das Kabinett bestehen, fünf davon besetzen Frauen. | |
| ## Israelische Regierung erklärt exklusives Recht auf das besetzte | |
| Westjordanland | |
| Der erste Absatz der allgemeinen Koalitionsvereinbarung der neuen Regierung | |
| lässt dann auch wenig Zweifel an der Ausrichtung der rechtsextremen | |
| Regierung: | |
| „Das jüdische Volk hat ein exklusives und unbestreitbares Recht auf alle | |
| Teiles des Landes Israel. Die Regierung wird die Besiedlung in allen Teilen | |
| des Landes, in Galiläa, dem Negev, dem Golan und Judäa und Samaria fördern | |
| und entwickeln.“ | |
| Zum ersten Mal in der Geschichte Israels erklärt die israelische Regierung | |
| damit ihr exklusives Recht auch auf das besetzte Westjordanland in einer | |
| Koalitionsvereinbarung. Zusätzlich zu dieser zweiseitigen | |
| Koalitionsvereinbarung hat Netanjahu mit den einzelnen Koalitionspartnern | |
| jeweils eigene Koalitionsverträge mit hunderten von Abschnitten | |
| abgeschlossen. Selbst wenn nur einige der dort vereinbarten Ziele umgesetzt | |
| werden sollten, werden sie Israels Gesicht auf mehreren Ebenen grundlegend | |
| verändern. | |
| Eine saubere Trennung von Religion und Staat gab es in Israel nie. Doch die | |
| Koalitionsvereinbarungen legen nahe, [1][dass die neue Regierung die | |
| theokratischen Züge des Landes erheblich verstärken dürfte], etwa die | |
| Möglichkeit, öffentliche Veranstaltungen geschlechtergetrennt | |
| durchzuführen. Die Frage, wer jüdisch ist und damit das Recht auf | |
| Einwanderung nach Israel hat, soll strenger ausgelegt werden. | |
| Ultraorthodoxe, die in Yeshivas die Tora studieren, sollen laut Gesetz vom | |
| Militärdienst befreit werden. Die ultraorthodoxe Shas Partei konnte sich | |
| Milliarden von Schekeln für ihre Kernthemen sichern, dazu gehören auch | |
| Gelder an religiöse Schulen, die nicht dem säkularen Curriculum mit | |
| Unterrichtsfächern wie Mathematik und Englisch folgen. | |
| ## Netanjahu legt Grenzpolizei in die Hände von Hardliner Ben Gvir | |
| Weitere dramatische Veränderungen könnten sich im rechtlichen Bereich | |
| abspielen. Mit der sogenannten Außerkraftsetzungsklausel [2][soll die | |
| gerichtliche Kontrolle der Exekutive und Legislative eingeschränkt werden]. | |
| Bezugnehmend auf den ersten Absatz der allgemeinen Koalitionsvereinbarung | |
| verpflichten sich die Parteien, das Westjordanland zu annektieren – wenn | |
| die Formulierungen in Bezug auf den Zeitpunkt und die Bedingungen für einen | |
| solchen Schritt auch vage gehalten sind. | |
| Das Westjordanland gleicht derzeit ohnehin einem Pulverfass. Mit Itamar Ben | |
| Gvir als Minister für Nationale Sicherheit und Bezalel Smotrich, der nicht | |
| nur Finanzminister wird, sondern auch die Kontrolle über zivile | |
| Angelegenheiten im Westjordanland erhält – zwei der rassistischsten | |
| Siedlerführer Israels – kann die Situation schnell eskalieren. | |
| Netanjahu hat zugestimmt, die Grenzpolizei von der israelischen Polizei | |
| abzutrennen und sie in die Hände von Ben Gvir zu legen. „Ben Gvir, ein | |
| rassistischer und gewalttätiger Siedler, hat damit seine eigene Armee“, | |
| sorgt sich auch Ori Givati von der Nichtregierungsorganisation ehemaliger | |
| israelischer Soldaten Breaking the Silence: „Es ist, als würde man in den | |
| Vereinigten Staaten dem Ku Klux Klan die Macht über die Polizei geben.“ | |
| Warnungen angesichts der neuen Regierung kamen in den letzten Tagen nicht | |
| nur vom jordanischen König und der palästinensischen Autonomiebehörde, | |
| sondern auch von 100 ehemaligen israelischen Diplomaten – die israelische | |
| Botschafterin in Frankreich trat kurz nach der Vereidigung von ihrem Posten | |
| zurück. | |
| 29 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Judith Poppe | |
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