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# taz.de -- Experte übers Militär in Israel: „Eine Volksarmee“
> Weil sie die Justizreform ablehnen, verweigern Tausende Reservisten in
> Israel den Dienst. Ein Experte sagt, warum das für die Regierung ein
> Alarmsignal ist.
Bild: Spontaner Protest auf den Straßen Tel Avivs nach der Absetzung von Israe…
taz: Herr Shelah, Soldaten und Reservisten des israelischen Militärs
verweigern aus Protest gegen die Justizreform den Dienst. Gab es in der
Geschichte Israels jemals eine ähnliche Situation?
Ofer Shelah: Nein, nie. In der Vergangenheit gab es zwar immer wieder
Proteste von Reservisten des Militärs, zum Beispiel 1973 nach dem
Jom-Kippur-Krieg oder 2006 nach dem zweiten Libanonkrieg. Der Unterschied
allerdings ist: Die damals Protestierenden waren ehemalige Reservisten, die
ihren Dienst bereits beendet hatten. Sie hatten ihre Haltung erst danach
öffentlich gemacht und vor allem gefordert, dass die ihrer Ansicht nach
Verantwortlichen für diese Konflikte zur Rechenschaft gezogen werden und
zurücktreten. Dass Reservisten in großem Umfang – genaue Zahlen gibt es
nicht, doch es sind mehrere Tausend – den Dienst verweigern, passiert zum
ersten Mal. Sie sagen: Wenn die Regierung ihre Pläne durchzieht, wird die
Demokratie in Israel unwiderruflich verändert. Und für einen solchen Staat
wollen wir nicht dienen.
Reservisten sind keine Soldaten im aktiven Dienst, müssen nur einmal im
Jahr zum Reservetraining antreten. In den israelischen Medien und in der
Gesellschaft bekommen sie viel Aufmerksamkeit für ihre beabsichtigte
Dienstverweigerung. Warum ist es so wichtig, was diese Gruppe denkt?
Das israelische Militär ist eine Volksarmee. Reservisten sind in
Schlüsselpositionen, etwa als Kommandeure. Die wichtigsten Schlachten der
vergangenen israelischen Kriege wurden von Reserveeinheiten geschlagen. Sie
gelten als das Kräftereservoir, das es Israel ermöglicht, Kriege zu
gewinnen. Die Grenze zwischen dem Militär und der Gesellschaft ist in
Israel viel unschärfer als in anderen Ländern. Nicht nur, weil jeder
Israeli zum Militärdienst eingezogen wird, sondern auch, weil es eine
starke Bindung zwischen der Bevölkerung und dem israelischen Militär gibt.
In den 75 Jahren seines Bestehens war Israel jeden einzelnen Tag in
wechselnde Konflikte verwickelt.
Ist das der Grund, warum sich Verteidigungsminister Yoaw Gallant gegen die
Reform ausgesprochen hat?
In den Medien wurde ausführlich darüber berichtet, dass immer mehr
Reservisten planen, den Dienst zu verweigern. Und die Mitarbeiter der
israelischen Armee haben diese Beobachtung dem Verteidigungsminister
vorgetragen, der sich dann an die Öffentlichkeit und die Regierung gewandt
hat. Viele Generäle und Offiziere im aktiven Dienst der Armee sehen diese
Gefahr ebenfalls, können ihre Ansichten aber nicht öffentlich äußern. Wer
auch immer Gallant nun ersetzen wird: Es wird sicherlich ein gewisses
Misstrauen seitens der Militärangehörigen und der Reservisten ihm gegenüber
geben. Gallant hat die Gefahr, die von der Unzufriedenheit der Bevölkerung
mit den Reformen ausgeht, angenommen und sich dazu positioniert. Was wird
sein Nachfolger tun?
Im Norden Israels sitzt die libanesische Miliz Hisbollah, im Gazastreifen
und im Westjordanland die Hamas und weitere Terrorgruppen – externe
Akteure, die darauf warten, dass Israel einen schwachen Moment erlebt.
Unterschätzt die Regierung diese Gefahr?
Der beste Schlichter zwischen den auseinanderfallenden Fraktionen jeder
Gesellschaft – und vor allem der israelischen Gesellschaft – ist eine
Bedrohung von außen. Wichtig ist aber: Wenn das israelische Militär beginnt
auseinanderzufallen, dann sind wir in großen Schwierigkeiten, egal was
unsere Feinde daraus schließen.
Warum glaubt die Regierung [1][trotz aller Proteste] immer noch, dass die
geplante Reform diesen Unfrieden wert ist?
Diese Regierung versucht, die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs zu
schwächen, Regierungsentscheidungen oder Gesetze zu überstimmen. Das hat
auch mit ihrem Willen zu tun, das Westjordanland zu annektieren oder sich
zumindest gegenüber den Palästinensern und Palästinenserinnen anders zu
positionieren.
Glauben Sie, dass die Regierung irgendwann Zugeständnisse machen muss, um
[2][diesen Konflikt] mit dem Militär, aber auch mit der breiten
Öffentlichkeit zu lösen?
Die Regierung muss diese Gesetzgebung stoppen und einen Prozess der
Debatte, des Diskurses und des Kompromisses in Gang setzen. Dieses Gesetz
hat die Büchse der Pandora in der israelischen Gesellschaft geöffnet: Viele
Streitpunkte, Risse und Spannungen, die es innerhalb der Gesellschaft
bereits vorher gab, sind nun deutlich sichtbar geworden.
28 Mar 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Lisa Schneider
## TAGS
Israel
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