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# taz.de -- Neuer Ökothriller von Ned Beauman: Profit und Buße
> Ned Beauman erzählt mit grimmigem Humor vom Artensterben. Sein neuer
> Roman „Der Gemeine Lumpfisch“ ist ein ziemlich hochtouriger Ökothriller.
Bild: Lumpfische schauen tatsächlich manchmal so rachlüstig, wie Ted Beauman …
Das jüngst von den Umweltverbänden gefeierte Abkommen zum Schutz der
Weltmeere – ob es den „Gemeinen Lumpfisch“ in Neds Beaumans gleichnamigen
Roman wohl gefreut hätte? Oder hätte er als intelligentester Fisch auf
diesem Planeten so seine Zweifel an der Wirksamkeit gehabt? Die Vermutung
liegt nahe, zumal er, zumindest in diesem Werk, als ausgerottet gilt.
Und damit fangen die Probleme von Mark Halyard, seines Zeichens
Umweltverträglichkeitskoordinator bei der Brahmasamudram Mining Company,
an. Halyard ist Teil der Extinktionsindustrie, die das Aussterben der Arten
managt, seitdem die Weltkommission zur Bekämpfung des Artensterbens
Zertifikate ausgibt, die auf dem freien Markt gehandelt werden können: „Die
Idee war, die Menge an Zertifikaten nach und nach herunterzuschrauben,
sodass der Preis steigen würde, bis sie quasi unbezahlbar waren und die
Leute einfach nur von ihrem Einfallsreichtum Gebrauch machen mussten, um zu
vermeiden, dass Gattungen ausgerottet wurden.“
So weit die von Lobbyverbänden und Konzernen mit Ausnahmen durchlöcherte
Theorie, die in der Praxis dafür sorgt, dass Zertifikate günstig zu haben
sind und das Artensterben munter weitergeht. Doch ist es mitnichten diese
globale ökologische Katastrophe, die Halyard Kopfschmerzen bereitet,
sondern seine private ökonomische Fehlkalkulation – er hat sich mit
Leerverkäufen von Lumpfisch-Zertifikaten verspekuliert.
Als Gourmet in dystopischen Zeiten, der für Menüs, die einfach nach Essen
schmecken, exorbitante Summen hinblättert, wähnte er seine Chance auf
schnellen Geldgewinn gekommen, als er von den Plänen der Weltkommission
hört, die eine Spezies nicht mehr als ausgestorben definieren will, „selbst
wenn die lebende Population bei null lag, solange genügend Relikte davon in
den weltweiten Biobanken aufbewahrt wurden“. Mit abgezweigtem Firmengeld
wettet er auf fallende Preise.
Ein Hackerangriff auf sämtliche Biobanken, der alle Genomdaten und
Gewebeproben vernichtet, macht seinen Plan zunichte – die Preise für
Zertifikate steigen ins Astronomische.
## Aberwitzige Preise
Pech auch, dass sein Unternehmen gerade dort Ressourcen abbaut, wo der
Gemeine Lumpfisch sein letztes Habitat gefunden hatte und der Bericht der
Kognitionsexpertin Karin Resaint den bislang unauffälligen Fisch nun als
intelligent klassifiziert – jetzt braucht es 13 Zertifikate statt einem, um
ihn legal auszulöschen. Halyard müsste die Zertifikate zu den aberwitzigen
Preisen zurückkaufen – oder nachweisen, dass der Fisch nicht ausgestorben
ist.
Die Tierschützerin Resaint hingegen will die Menschheit für ihre Untaten
büßen sehen und hatte deshalb große Hoffnung in den Gemeinen Lumpfisch
gesetzt, denn dieser ist nicht nur intelligent, sondern auch rachsüchtig.
Als er in einem Internetvideo aus einem finnischen Migrantenlager
auftaucht, macht sich das odd couple auf, um den letzten Vertreter seiner
Art zu finden.
„Venomous Lumpsucker“ ist der fünfte Roman des britischen Romanciers und
Journalisten Ned Beauman. Dem Vernehmen nach hat Archery Pictures die
TV-Rechte gekauft, und da darf man sich auf Action gefasst machen. Der
Near-Future-Öko-Thriller ist ziemlich hochtourig erzählt, Turbulenzen und
Twists folgen Knall auf Fall, und obwohl alles immer schlimmer und
abstruser kommt, sind die Begebenheiten nur eine Drehung weiter von unserer
aktuellen Realität entfernt.
## Jetztzeit im Krisenmodus
Beaumans Schreibweise erinnert in ihrem grimmigen Humor und den seltsamen
Szenerien an [1][Margaret Atwoods Dystopien,] von denen sie sagte, dass sie
nichts erfunden habe, alles sei irgendwo schon mal dagewesen.
Im „Lumpfisch“ verschlingen sich reale Bezüge – Stichwort: Emissionshand…
– mit medialen: In biblischer Manier regnet es Schwärme toter Mücken vom
Himmel, ein grassierender, Tier und Mensch entstellender Pilz erinnert an
den zombifizierenden Cordyceps der Serie „The Last of Us“ (der in
Wirklichkeit nur Ameisen zombifiziert, aber der von Beaumann detailliert
beschriebenen Wespe Adelognathus marginatum ähnelt, die ihre Eier in einer
Ameise ausbrütet, bis diese stirbt); von rachsüchtigen Meereswesen ganz zu
schweigen – [2][„Der Schwarm“ lässt grüßen]. Auch eigenmächtige KIs,
Tierschützer in Otterkostümen und größenwahnsinnige Milliardäre mischen
mit.
Die Stärke des Romans liegt nicht allein in seinem gnadenlosen Tempo, mit
dem er die Jetztzeit in ihrem
Schlag-auf-Schlag-Krisen-und-Katastrophen-Modus kongenial nachbildet,
sondern in seiner unbestechlichen und erzählerisch stringent
durchgehaltenen Sicht auf die Dinge: Ökologie? Fehlanzeige. Die Ökonomie
bestimmt, wo die Reise hingeht: „Linke behaupteten manchmal, dass es in
einem kapitalistischen System niemals eine Lösung für das Artensterben
geben könne, die nicht von Profitgier und Missbrauch geprägt war, weil der
freie Markt wie eine bösartige KI sei, unendlich viel hinterhältiger als
die Menschen, die glaubten, ihn einhegen zu können.“
Am Ende der 2020er Jahre haben weder staatliche Maßnahmen noch
Ökoterrorismus etwas gebracht. Zeit vielleicht für Resaints Idee, „jedem
der hunderttausend reichsten Menschen auf der Erde nach dem Zufallsprinzip
eine gefährdete Spezies zuzuweisen und sie dann darüber zu informieren,
dass sie erhängt werden, sollte die ihnen zugewiesene Spezies jemals
aussterben“. Der Gemeine Lumpfisch wäre sicher begeistert.
31 Mar 2023
## LINKS
[1] /Margaret-Atwoods-Die-Zeuginnen/!5624819
[2] /ZDF-Serie-Der-Schwarm/!5914052
## AUTOREN
Elke Brüns
## TAGS
Literatur
Ökologie
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Fische
Thriller
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Feminismus
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