# taz.de -- Ukrainischer Athlet über IOC und Russland: „Sportler sollen kein… | |
> Das IOC will russische Athleten wieder zu Wettbewerben zulassen. Der | |
> ukrainische Skeletonfahrer Wladyslaw Heraskewytsch kann das nicht | |
> nachvollziehen. | |
Bild: Wladyslaw Heraskewytsch bei den Olympischen Spielen von Peking 2022 | |
taz: Herr Heraskewytsch, was halten Sie von [1][der Entscheidung des IOC], | |
russische Athleten als neutrale Sportler wieder zu internationalen | |
Wettbewerben zuzulassen? | |
Wladyslaw Heraskewytsch: Ich habe ganz grundsätzliche Probleme mit der | |
Entscheidung. Zwar sind ein paar Bedingungen für den Status eines neutralen | |
Athleten neu formuliert worden … | |
… dass Militärangehörige nicht darunterfallen zum Beispiel … | |
Das ist schon mal ganz gut. Und trotzdem kann so nicht verhindert werden, | |
dass russische Sportler für die russische Propaganda eingespannt werden. | |
Das oberste Ziel muss für mich sein, ukrainische Sportler vor der | |
russischen Propaganda zu schützen. Ukrainer bezahlen mit Menschenleben für | |
das, was mit russischer Propaganda angeheizt wird. | |
Die Regeln müssten also viel strikter sein? | |
Ja, wenn der Dienst beim Militär heute endet, kann er dann morgen schon | |
wieder antreten? Und für welchen Zeitraum gelten die Regeln überhaupt? Nur | |
so lange der Wettkampf läuft oder länger? Aber selbst wenn das geregelt | |
ist, können russische Sportler immer noch für die Propaganda benutzt | |
werden. | |
Wie, glauben Sie, ist die Entscheidung des IOC zustande gekommen? | |
Es war jedenfalls keine offene Diskussion, die da stattgefunden hat. Alle | |
Treffen und Verhandlungen fanden hinter verschlossenen Türen statt. Niemand | |
weiß, was da genau verhandelt worden ist. Und auch die Anhörung von | |
Athleten aus aller Welt zu Beginn dieser Woche war nicht wirklich eine | |
Diskussion. | |
Sie haben daran teilgenommen? | |
Ja, aber wir hatten kaum Zeit, Fragen zu stellen. Einige Sportler wurden | |
unterbrochen. Ihre Mikros wurden stumm geschaltet, einige Fragen wurden | |
einfach nicht beantwortet. Von den 214 Athleten, die bei dem Videomeeting | |
zugeschaltet waren, sind vielleicht 15 zu Wort gekommen. Athletenvertreter | |
aus Afrika und Asien haben fast wortgleiche Statements für die Rückkehr der | |
Russen vorgetragen, statt Fragen zu stellen. Und dann hat sich das Ganze | |
noch umgedreht, als Alexandra Xanthaki plötzlich angefangen hat, uns Fragen | |
zu stellen. | |
Das ist die Sonderberichterstatterin der UN für Menschenrechte, die es für | |
eine Diskriminierung hält, Sportler auszuschließen, nur weil sie eine | |
bestimmte Staatsangehörigkeit haben. | |
Sie sollte als Fachfrau doch eigentlich unsere Frage beantworten. Überhaupt | |
war einiges, was sie gesagt hat, ziemlich erschütternd. Sie hat zum | |
Beispiel vorgeschlagen, man solle bei jedem Athleten dokumentieren, ob er | |
wirklich an Kriegsverbrechen oder einem Genozid aktiv beteiligt war. Ein | |
Sportler, der als Soldat an der Front war, trägt für sie erst mal keine | |
Schuld. Für mich ergibt das keinen Sinn. Sportler sollen doch Idole sein | |
und keine Killer. Ich will jedenfalls nicht, dass Killer zu Idolen für | |
kommende Generationen werden. Das kann doch auch nicht im Sinne der | |
olympischen Bewegung sein. | |
Xanthakis Rechtsgutachten scheint [2][für das IOC große Bedeutung zu | |
haben]. | |
Man kann sich schon fragen, warum nur ihre Einschätzung zählen sollte, | |
warum nicht die Einschätzung von Patricia Wiater zählt, die sie für den | |
Deutschen Olympischen Sportbund erarbeitet hat. | |
Demnach wäre ein Ausschluss russischer Athleten nicht diskriminierend, wenn | |
man die Menschenrechte der ukrainischen Sportler dagegen abwägt. | |
Warum orientiert man sich nicht daran? Der UN-Botschafter der Ukraine hat | |
auch noch mal klargestellt, dass es sich beim Gutachten von Alexandra | |
Xanthaki nicht um die Meinung der UN handelt, sondern um ihre persönliche | |
Einschätzung. | |
Würden Sie denn an Wettkämpfen teilnehmen, zu denen auch Russen zugelassen | |
sind? | |
Ganz grundsätzlich: ein Boykott kann nicht die Lösung sein. Das wäre eine | |
schlechte Entscheidung für die Ukraine. Wer darunter am meisten zu leiden | |
hätte, wären die ukrainischen Sportler. Aber die leiden ohnehin schon | |
genug. Das kann nicht sein. Außerdem wären wir stumm. Wenn wir nicht an | |
Wettbewerben teilnehmen, können wir nicht mit anderen Sportlern, mit der | |
Welt, mit den Medien sprechen. Wir wären wie in einem Versteck, so als | |
hätten wir aufgegeben. | |
Und Sie persönlich? | |
Ich will und kann daran nicht teilnehmen, weil ich auf keinen Fall Teil der | |
russischen Propaganda werden will. Das wäre ein Boykott, ja. Aber wer weiß, | |
vielleicht kommt es ja doch noch zu einem Ausschluss russischer Athleten. | |
Und wenn nicht, kann es sein, dass wir anreisen, nicht starten und vor Ort | |
Aktionen und Proteste organisieren. | |
Welche Erfahrungen haben Sie vor dem Überfall der Russen auf die Ukraine | |
mit dem IOC gemacht? | |
Ich habe mich nicht sonderlich mit seiner Politik beschäftigt. Das ist | |
schon lange her, 2016, bei den Olympischen Jugendspielen, habe ich Thomas | |
Bach getroffen. Aber da war ich ja fast noch ein Kind und habe nur an Sport | |
gedacht. Das ist alles. | |
Und wie war das [3][2022 bei den Spielen in Peking], als Sie das Schild mit | |
der Aufschrift „Kein Krieg in der Ukraine“ hochgehalten haben? | |
Da ist ein Typ am Eiskanal auf mich zugekommen und hat mich gefragt, was | |
ich damit sagen will. Ich habe dann gesagt, dass das nur eine Botschaft für | |
mein Land ist, für Frieden in der Ukraine. Russland habe ich ja nicht | |
erwähnt. Also war es kein politisches Statement und ich wurde nicht | |
bestraft. | |
Kurz darauf hat Russland die Ukraine angegriffen. Wo waren Sie am 24. | |
Februar 2022? | |
Ich war in Kyjiw, meiner Heimatstadt. Ich war dann lange in der Ukraine. | |
Und als ich meine Stiftung gegründet habe, war ich viel in der Ukraine | |
unterwegs. Ich habe ein paar grausame Erfahrungen auf diesen Reisen | |
gemacht. Ich habe diesen Albtraum nicht im Fernsehen, sondern mit meinen | |
eigenen Augen gesehen, zerstörte Häuser und Fabriken. Freunde und Kollegen | |
sind getötet worden. Auch einige Ihrer Kollegen, Journalisten, mit denen | |
ich befreundet war, wurden getötet. Wenn man das sieht, fühlt man sich erst | |
einmal ohnmächtig. | |
Sie sind dann aktiv geworden und haben die Herasketytsch Charity Foundation | |
gegründet, für die Sie Spenden sammeln. | |
Der Sport ist für die Menschen da, die sich bei Wettkämpfen zeigen wollen. | |
Er dient dem Image deines Landes. Aber vor allem ist er für die Leute da, | |
für die einfachen Leute aus deinem Land, die dich unterstützen. Für mich | |
ist das eine Möglichkeit, uns für ihre Unterstützung zu bedanken. Wir | |
können Leben retten, wir können ihnen helfen. Wir helfen Leuten, die ihr | |
Haus verloren haben, bei der Unterbringung, wir helfen denen, die es sich | |
nicht leisten können, bei der Beschaffung von Materialien. Und natürlich | |
ist das auch eine Möglichkeit, unsere Verteidiger und ihre Familien zu | |
unterstützen. Das ist unsere Art, Danke zu sagen, dass sie uns ermöglichen, | |
unseren Sport auszuüben. | |
Bleibt denn überhaupt genug Zeit für den Sport? | |
Ich bin vor allem als Chef der Stiftung im Einsatz und als Aktivist für die | |
ukrainische Sache. Vor einem Wettkampf stehst du früh am Morgen auf und | |
siehst die Nachrichten und du denkst: das ist doch einfach unfair, das ist | |
doch alles eine große Ungerechtigkeit. Du kannst dich nicht voll auf den | |
Wettkampf fokussieren, weil dir das irgendwie überflüssig vorkommt. Aber | |
gehört zu werden, dazu beizutragen, dass es deinem Land wieder ein bisschen | |
besser geht, das ist nicht überflüssig. Auch nicht, den Leuten, die nicht | |
so genau verfolgen, was gerade in der Ukraine passiert, davon zu erzählen | |
und um Unterstützung zu bitten. Denn auch wenn die Leute nur einen Dollar | |
oder einen Euro spenden, dann kann das schon viel bedeuten. | |
Sie gehören zu den Sportlern, die selbst für sich sprechen. Immer mehr | |
Athleten äußern sich unabhängig von den Verbänden. Ist das die Zukunft des | |
Sport? | |
Alles sollte sich um die Sportler drehen. Verbände sollten nur ein Ziel | |
haben: die Athleten zu stärken, es ihnen leichter zu machen. Aber so wie | |
die Strukturen im IOC jetzt sind, wo alles im Verborgenen verhandelt wird, | |
das macht alles nur komplizierter. Die Sportverbände helfen uns nicht, sie | |
nehmen uns nicht wahr, sie hören uns nicht zu. Bei Olympischen Spielen geht | |
es doch nicht um Funktionäre, es geht um Sportler und ihre Auftritte im | |
Wettkampf. Dabei sollten die Sportler unterstützt werden. Und unser | |
Hauptanliegen ist dann, so wie es die olympische Charta will: die Welt zu | |
einem besseren Ort machen, zu einem friedlichen. | |
1 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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