# taz.de -- Ampel zieht Wahlrechtsreform durch: Machtpolitische Selbstherrlichk… | |
> Gegen den Widerstand der demokratischen Opposition haben SPD, Grüne und | |
> FDP das Wahlrecht geändert. So schaden sie der Demokratie. | |
Bild: Der Deutsche Bundestag. Die Ampel verabschiedet die Reform zur Verkleiner… | |
Es klingt wie aus einem Werbekatalog: Einfach, fair, gerecht und | |
nachvollziehbar soll es sein, das neue Wahlrecht. Das behaupten SPD, Grüne | |
und FDP. Es ist jedoch schlicht falsch, um nicht zu sagen: eine Lüge. Was | |
die Ampelkoalition in einem wenig schmeichelhaften Akt machtpolitischer | |
Selbstherrlichkeit an diesem Freitag [1][durch den Bundestag gepeitscht] | |
hat, ist weder einfach noch fair. Gerecht und nachvollziehbar ist es ebenso | |
wenig. | |
Schon die Motivation für die Reform geht an dem eigentlichen Problem | |
vorbei. Denn das Hauptproblem des Bundestags ist nicht seine Größe. Mit 630 | |
Abgeordneten ist er nicht mehr oder weniger arbeitsfähig als mit 736. Die | |
Frage ist vielmehr, wen diese Abgeordneten repräsentieren. Schon dass | |
inzwischen rund [2][ein Viertel der Wahlberechtigten nicht mehr zur Wahl] | |
geht, ist höchst bedenklich. | |
Wenn dann aber auch noch etliche [3][Millionen Stimmen zusätzlich | |
„verloren“ gehen], weil sie sich aufgrund der hohen deutschen Sperrklausel | |
nicht im Parlament widerspiegeln, untergräbt das die Demokratie. Die | |
Ampelparteien hätten sich also besser Gedanken darüber machen sollen, wie | |
die Anzahl der um ihre Relevanz beraubten Stimmen reduziert werden kann. | |
Mit ihrem jetzt gegen den Widerstand der demokratischen Opposition im | |
Bundestag durchgesetzten Wahlrecht sorgen SPD, Grünen und FDP jedoch für | |
genau das Gegenteil. Durch ihre Entwertung der Erststimme bei Beibehaltung | |
einer bundesweiten Fünfprozenthürde erhöhen sie sogar noch den Anteil der | |
verlorenen Stimmen. Denn es wird künftig ein Zweiklassensystem geben: In | |
einem Teil der Wahlkreise wird es egal sein, ob jemand seine Erststimme in | |
die Urne oder den Mülleimer wirft. | |
Schon der Ursprungsentwurf hatte den Makel, nicht mehr sicherzustellen, | |
dass ein:e Wahlkreissieger:in auch in den Bundestag einzieht. Mit ihrer | |
erst in dieser Woche eingefügten Streichung der Grundmandatsklausel und der | |
ausschließlichen Koppelung des Wahlkreismandats an das Zweitstimmenergebnis | |
einer Partei hat die Ampelkoalition handstreichartig die Erststimme | |
zusätzlich entwertet. | |
## Bitter für die Kleinen | |
Nun kann es sogar passieren, dass aus einem ganzen Bundesland kein:e | |
einzige:r Wahlkreisvertreter:in im Bundestag mehr vertreten ist. Mit | |
der [4][jetzt beschlossenen Regelung] wäre 2021 nicht nur die Linkspartei | |
aus dem Bundestag geflogen, es säßen zudem auch ihre drei direkt gewählten | |
Abgeordneten nicht mehr im Parlament. Und hätte die CSU nicht 5,2 Prozent, | |
sondern nur 4,9 Prozent an Zweitstimmen erhalten, wären 45 der 46 direkt | |
gewählten bayrischen Abgeordneten ohne Mandat geblieben. | |
Wer die Linkspartei oder die CSU nicht mag, den hätte das vielleicht | |
gefreut. Aber einer lebendigen Demokratie tut es nicht gut, wenn Millionen | |
von Wähler:innenstimmen unberücksichtigt bleiben. Es würde den | |
Ampelparteien allzu große Naivität unterstellen, nicht davon auszugehen, | |
dass sie die Verschärfung ihrer Wahlrechtsreform mit Blick auf die | |
politische Konkurrenz, konkret die CSU und die Linkspartei, in das Gesetz | |
eingeschleust haben. | |
Die Behauptung, die Änderungen kurz vor Toresschluss seien eine Konsequenz | |
aus der [5][Sachverständigenanhörung] im Innenausschuss, ist jedenfalls | |
abenteuerlich. Denn eine klare Mehrheit der Sachverständigen hat sich gegen | |
die ersatzlose Streichung der Grundmandatsklausel ausgesprochen. Aus gutem | |
Grund gibt es in anderen Ländern, beispielsweise in Griechenland, die | |
Regel, dass eine Wahlrechtsreform erst für die übernächste Wahl gilt. | |
So müssen sich SPD, Grüne und FDP den Vorwurf gefallen lassen, dass es | |
ihnen nicht nur um die Verkleinerung des Bundestags, sondern auch der | |
Opposition geht. Das ist nicht der behauptete „große Wurf“, sondern ein | |
Verstoß gegen die Spielregeln der Demokratie. Wenn es ihnen nur um eine | |
Reduzierung der Abgeordnetenzahl gegangen wäre, hätten sie auch einen | |
anderen Weg gehen können, der tatsächlich einfach, fair, gerecht und | |
nachvollziehbar gewesen wäre: die Einführung eines reinen | |
Verhältniswahlrechts, verbunden mit der Absenkung der Sperrklausel. | |
Um regionalen Eigenheiten Rechnung zu tragen, wäre es auch möglich gewesen, | |
die Sperrklausel nicht mehr bundes-, sondern wieder länderweit anzuwenden – | |
so wie bei der ersten Bundestagswahl 1949. Doch zu einer Wahlrechtsreform, | |
die die Demokratie in Deutschland stärkt, waren SPD, Grüne und FDP nicht | |
bereit. Ihr Interesse war leider ein anderes. Jetzt bleibt nur noch, auf | |
die Verfassungsrichter:innen in Karlsruhe zu hoffen. | |
17 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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