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# taz.de -- Haftbefehl des IStGH: Kommt Putin vor Gericht?
> Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehl gegen Putin erlassen.
> Doch bislang wurde in Den Haag noch nie ein Präsident im Amt verurteilt.
Bild: Wladimir Putin
Berlin taz | Am 17. März hat [1][der Internationale Strafgerichtshof
(IStGH) in Den Haag Haftbefehl] gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin
und seine Kinderrechtsbeauftragte Maria Lwowa-Belowa erlassen. Vorgeworfen
wird ihnen die Deportation von Kindern sowie „Bevölkerungstransfer“ aus der
Ukraine nach Russland.
Gemäß Artikel 8 des [2][Römischen Statuts], das die Arbeit des IStGH
regelt, gilt dies als ein Kriegsverbrechen, für das das Weltgericht
zuständig ist. Im Wortlaut ist von „rechtswidriger Vertreibung oder
Überführung“ die Rede sowie von „Vertreibung oder Überführung der
Gesamtheit oder eines Teils der Bevölkerung des besetzten Gebiets innerhalb
desselben oder aus diesem Gebiet“.
Die beiden Gesuchten hätten, so der IStGH, diese Verbrechen gemäß Artikel
25 des Römischen Statuts „selbst, gemeinschaftlich mit einem anderen oder
durch einen anderen“ begangen. Putin wird darüber hinaus
„Vorgesetztenverantwortung“ durch Unterlassen zur Last gelegt, gemäß einer
Klausel von Artikel 28 über „Verbrechen, die von Untergebenen unter seiner
tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle als Folge seines Versäumnisses
begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Untergebenen
auszuüben“.
Es geht also um die Duldung von Verbrechen, die er hätte verhindern können.
Ohne die Begriffe der Vorgesetztenverantwortung sowie der gemeinschaftlich
begangenen Straftat, genannt „Joint Criminal Enterprise“, wären
internationale Kriegsverbrecherprozesse gar nicht möglich. Denn vor
internationale Gerichte kommen in der Regel nie direkte Täter, also
einfache Soldaten. Das Völkerstrafrecht setzt in der Tradition der
Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse ganz oben an, bei den
Verantwortungsträgern, die Verbrechen planen und anordnen.
Doch beim Versuch, diese „großen Fische“ zu packen, ist der IStGH schon
mehrmals gescheitert. Sowohl Laurent Gbagbo, ehemals Präsident der
Elfenbeinküste, als auch Jean-Pierre Bemba, ehemals Rebellenchef und später
Vizepräsident in der Demokratischen Republik Kongo, verließen Den Haag als
freie Männer. Zwar waren die Verbrechen, für die sie laut Anklage
Verantwortung trugen, unstrittig – aber ihre strafrechtliche Verantwortung
dafür, ob durch Anordnung oder durch Unterlassen einer gegenteiligen
Anordnung, war letztlich nicht nachweisbar.
Liberias ehemaliger Präsident Charles Taylor wurde vor einem Sondertribunal
zu Sierra Leone zwar schuldig gesprochen, aber lediglich wegen „Beihilfe“
zu Kriegsverbrechen.
## Warum nicht Butscha?
Noch nie ist es gelungen, einen amtierenden oder ehemaligen Staatschef
wegen der unter seiner Ägide verübten Verbrechen nach den Prinzipien des
Völkerstrafrechts zu verurteilen – auch nicht in Ruanda, Kambodscha oder
Jugoslawien.
Das ist wohl auch ein Grund, wieso der Haftbefehl gegen Putin zunächst auf
ein Kriegsverbrechen beschränkt bleibt, das auf den ersten Blick wenig
zentral erscheint: die Kinderverschleppung und nicht etwa das Massaker in
Butscha. Die Kinderverschleppung aus der Ukraine fußt auf präsidialen
Dekreten und Anordnungen, so ist eine Zuordnung zum russischen Präsidenten
und zu seiner Kinderbeauftragten offenbar möglich.
Bei Verbrechen des russischen Militärs wie in Butscha müssten hingegen
konkrete Taten auf konkrete Befehle zurückgeführt werden, um
strafrechtliche Verantwortung festzustellen. Zivilen Amtsträgern wie Putin
militärische Befehle zuzuordnen, gelingt meist nicht.
Um weiterzugehen, müsste man Putin den Krieg als solchen vorwerfen. Hierauf
zielen Überlegungen, Putin wegen Völkermords anzuklagen oder ein
Sondertribunal zum Angriffskrieg einzurichten. Behauptet der Kreml nicht
gern, die „Spezialoperation“ in der Ukraine verlaufe „nach Plan“?
Das Schuldbekenntnis existiert also. Fehlt nur die Anklage. Und natürlich
der Beklagte. Den Haag hätte seinen Haftbefehl gegen Putin wohl nie
öffentlich gemacht, wenn es ernsthaft damit rechnete, seiner habhaft werden
zu können.
24 Mar 2023
## LINKS
[1] https://www.icc-cpi.int/news/situation-ukraine-icc-judges-issue-arrest-warr…
[2] https://www.un.org/depts/german/internatrecht/roemstat1.html#T28
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Russland
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