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# taz.de -- Klima-Volksentscheid in Berlin: Ja-Sagen in komplizierten Zeiten
> In Berlin wird am Sonntag abgestimmt, ob die Stadt bis 2030 klimaneutral
> werden soll. Ein Ziel, dem leicht zuzustimmen ist. Scheinbar. Unser Autor
> findet das nicht.
Bild: Plätzchen für den Klima-Volksentscheid am Sonntag in Berlin
Wer in diesen Tagen durch Berlin fährt, am besten natürlich mit dem
Fahrrad, sieht überall ein „Ja!“. An jeder Ecke, auf kleinen und großen
Plakaten, unübersehbar, rot auf grün, in Riesenlettern: „Ja!“, „Ja!“,
„Ja!“. Das spricht mich durchaus an. Die Farben Rot und Grün finde ich
beide relativ sympathisch. Und da ich mich zwischen beiden oft schwer
entscheiden kann, freue ich mich, wenn jetzt offenbar ein zweifarbiges
„Ja!“ reicht.
Ich sage generell gern Ja, zum Leben, zu den Menschen und wenn mich jemand
freundlich fragt, etwa, ob ich noch ein Bier will. In meinem Leben habe ich
schon sehr häufig freudig „Ja!“ gerufen, beim Pokalsieg des 1. FC Nürnber…
bei der Wahl von Barack Obama, beim Wanda-Konzert am letzten Freitag, am
lautesten bei meiner Hochzeit. Und ich habe es nie bereut.
Auch bei dem Berliner Volksentscheid an diesem Sonntag ist es zweifelsohne
sehr verlockend, einfach „Ja!“ zu sagen, beziehungsweise anzukreuzen.
[1][„Berlin klimaneutral 2030“] – Fantastisch! Noch viel sympathischer als
Rot und Grün zusammen, die in ihrer gemeinsamen Regierungszeit auf dem Weg
zum Traumziel einer klimaneutralen Hauptstadt als Vorbild für das ganze
Land nur bis zur Friedrichstraße kamen.
Endlich Schluss mit der Verzagtheit. Und das nach einer Woche, in der
passenderweise der Weltklimarat eindrücklich gefordert hat, dass auf die
vielen schönen Worte endlich Taten folgen müssen. Also, Berlin first! Wer
kann dazu schon Nein sagen? Nunja, nach längerer, ernsthafter Überlegung:
ich.
## Keine Ahnung, wo das Geld herkommen soll
Es wäre zwar irgendwie lustig und typisch Berlin, den Grünen erst bei der
Wahl nur 18 Prozent zu geben und dann wenige Wochen später mehrheitlich für
eine viel radikalere Klimapolitik zu stimmen als die Grünen. Und es ist gut
möglich, weil viele das „Ja!“ zum Klimaziel vor allem als [2][„Nein!“ …
geplanten großen Koalition verstehen]. Klar, da juckt es auch mich. Wenn
die CDU und die SPD unbedingt gemeinsam stillstehen möchten, dann wollen
wir doch mal sehen, wie sie ein gesetzlich vorgeschriebenes Klimaziel 2030
hinbekommen.
Leider können aber nicht einmal die BefürworterInnen des Volksentscheids
triftig erklären, wo das Geld und die technischen Voraussetzungen her
kämen, die für eine Klimaneutralität bis 2030 nötig wären. Wenn überhaupt,
wäre das wohl nur halbwegs denkbar, wenn Berlin jeden, aber auch jeden
Steuercent in Richtung Klimaschutz drehen würde. Was dann noch für Sozial-,
Wohnungsbau-, Flüchtlings- und Bildungspolitik übrig bliebe, die jetzt
schon im Argen liegen, erst recht bei einer CDU-Regierung?
Tja. Auch wenn ich den Auftrag sehr ernst nehme, dass wir bitte eine linke,
radikale Zeitung bleiben sollen, wie es uns Christian Ströbele mitgegeben
hat: „2 + 2 = 5“ kann ich nicht unterschreiben, sorry. Ein „Ja!“ am Son…
scheint mir, leider, nicht erstrebenswert. Und auch nicht wirklich links.
Weil ich fürchte, da eine wirklich linke Regierung nicht in Sicht ist, dass
die Rechnung am Ende eher die Armen als die Reichen bezahlen würden.
## Anlass für Protest gegen soziale Ungleichheit
Wie in Frankreich bei der Reform der Rente. Okay, auch ich habe mich dabei
ertappt, die Proteste gegen ein Renteneintrittsalter 64 zunächst müde zu
belächeln. Um dann erst zu begreifen, dass es nur der Anlass ist für einen
Aufstand gegen die krasse soziale Ungleichheit. Spätestens seit Emmanuel
Macron das Parlament einfach sonnenköniglich lächelnd überging, [3][fühle
ich ein „Oui!“ zu den Protesten mit]. Und habe gleichzeitig schon wieder
Angst davor, dass von dem Chaos am Ende die ganz Rechten profitieren.
Ja, kann man denn zu gar nichts mehr bedenkenlos „Ja!“ schreien in diesen
komplizierten Zeiten, in denen selbst ein Ja zum Frieden wahrscheinlich
auch ein Ja zu Waffen sein muss? Doch. Dass die frühere taz-Kollegin Emilia
Smechowski Chefredakteurin beim Zeit Magazin wird, kann ich uneingeschränkt
begrüßen.
Und ich grüße alle von Zweifeln Geplagten, die auch nicht mehr genau
wissen, was wirklich richtig oder falsch ist, die aber ein Ja genauso
respektieren wie ein Nein – und alles dazwischen.
25 Mar 2023
## LINKS
[1] /Klimaschutz-in-europaeischen-Metropolen/!5920377
[2] /Kai-Wegner-und-Franziska-Giffey/!5916438
[3] /Massenproteste-in-Frankreich/!5920477
## AUTOREN
Lukas Wallraff
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