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# taz.de -- Mediensucht von Jugendlichen: Zocken und kommunizieren
> Immer mehr Jugendliche sind internetsüchtig, warnt eine neue Studie. Ist
> das ein Grund zur Panik oder einfach mal zum genauen Hinsehen?
Bild: Jugendliche auf der gamesweekberlin 2022
Sechs Prozent der Minderjährigen abhängig von sozialen Medien“. – „Fast
700.000 Kinder mit Mediensucht“. Ganz schön besorgniserregend, die
Schlagzeilen der vergangenen Woche: Es geht um [1][eine Studie], die die
Krankenkasse DAK-Gesundheit gemeinsam mit dem deutschen Zentrum für
Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf durchgeführt hat.
Rund 1.200 Zehn- bis 17-Jährige wurden im Juni 2022 zu ihrem
Onlinenutzungsverhalten befragt. Bei jeweils über 6 Prozent zeigte sich ein
krankhaftes Nutzungsverhalten beim Computerspielen beziehungsweise beim
Umgang mit sozialen Medien. Hochgerechnet auf die Bevölkerung sind das rund
680.000 betroffene junge Menschen – und damit doppelt so viele wie noch vor
der Coronapandemie, im Jahr 2019.
„Wir müssen handeln“, sagte Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der
DAK-Gesundheit. Immer mehr Kinder würden sonst in die Mediensucht
„rutschen“, der „negative Trend“ könne „nicht mehr gestoppt werden�…
Wächst hier eine Generation heran, wo in jedem Klassenzimmer ein junger
Mensch sitzt, der mit einer Suchterkrankung ins Erwachsenenleben startet?
Oder ist das nur ein weiteres Beispiel für Technologiepanik? Der Buchdruck
wurde verteufelt, weil er Wissen zu den „Unwürdigen“ brächte; „Wer zur
Hölle will Schauspieler reden hören?“, soll Filmmogul Harry M. Warner
gefragt haben, [2][“Fernsehen ist seelische Vergewaltigung“], schrieb der
Spiegel im Jahr 1989.
## Psychische Belastungen
Dass die Pandemie Kindern und Jugendlichen nicht gerade gut getan hat,
darauf weist die Forschung nun schon seit einiger Zeit hin. Immerhin noch
14 Prozent der 11- bis 17-Jährigen leiden aktuell an depressiven Symptomen,
wie die [3][COPSY-Studie] zeigt, die psychischen Belastungen während der
Pandemie erforscht und ebenfalls aus der Hamburger Universitätsklinik
stammt. Und eine weitere aktuelle Studie zeigt, dass deutsche Schülerinnen
und Schüler sechs Monate nach Beginn der Coronapandemie schlechter in
Intelligenztests abschneiden als Vergleichsgruppen; andere Forschende
ordneten diese Ergebnisse allerdings als wenig repräsentativ ein.
[4][Und jetzt also Sucht.] Erst seit Anfang 2022 ist die
Computerspielesucht von der Weltgesundheitsorganisation als eigene Diagnose
anerkannt. Es ist das erste Mal, dass eine internetbezogene Verhaltenssucht
in ein Klassifizierungs-Manual, das ICD-11, aufgenommen wird. Als süchtig
gilt, wer das Spielen nicht mehr kontrollieren kann; wer immer weitermacht,
obwohl sich dadurch negative Auswirkungen auf andere Bereiche des Lebens
ergeben.
Das Hamburger Team hat die Diagnosekriterien abgewandelt und Fragebögen für
zwei weitere Onlinesüchte entwickelt: die Nutzung von sozialen Medien und
das Streaming, also das passive Ansehen von Clips und Videos. Diese drei
Fragebögen haben die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen online
ausgefüllt. Beim Streaming zeigen nur 2,3 Prozent pathologisches Verhalten.
Dabei fallen zwei Schwächen auf: Erstens sind die Fragebögen relativ neu
und nicht klinisch validiert, wurden also noch nicht mit den Diagnosen von
Ärzt*innen gegengecheckt. Die Ergebnisse liefern lediglich einen Hinweis,
dass die Person betroffen sein könnte – nicht mehr, aber auch nicht
weniger. Zweitens ist ein Fragebogen, der alleine online ausgefüllt wird,
vielleicht am Smartphone auf dem Weg in die Schule, oder, während nebenbei
ein Netflix-Film läuft, natürlich weniger aussagekräftig als ein
Beratungsgespräch in einer Klinik.
## „Negativer Trend“
Gibt es die knapp 700.000 mediensüchtigen Jugendlichen also?
Möglicherweise. Aber waren sie bereits vor der Pandemie suchtgefährdet? Und
wie schätzen die Eltern und ihr Umfeld die Situation ein? Manche Fragen
bleiben offen, teils, weil sie nicht erhoben wurden, teils, weil die
Ergebnisse (noch) nicht vollständig veröffentlicht sind. Eine Begutachtung
durch andere Forschende steht auch noch aus.
Einen „negativen Trend“, der bald nicht mehr gestoppt werden kann, fürchtet
Storm. Doch sieht man sich die Ergebnisse an, erkennt man eigentlich eine
langsame Verbesserung. Zumindest teilweise.
Der Medienkonsum schnellte zwar während der Pandemie in die Höhe, ging dann
aber wieder zurück. Verbrachten im April 2020 beispielsweise 17 Prozent der
Befragten mehr als 5 Stunden täglich auf sozialen Medien, waren es im Juni
2022 nur noch 12 Prozent. Ein möglicher Hinweis also, dass sich das
Verhalten langsam wieder einpendelt.
Ein weiterer, etwas kurioser Teil der Studie betrifft das Thema
Multitasking. Die Forschenden fragten nach, ob die Jugendlichen während des
Computerspielens, der Nutzung von sozialen Medien und dem Streaming noch
etwas anderes nebenbei machten. Wenig überraschend sagten die meisten ja.
Die Hälfte von ihnen gab an, während des Streamings oder des
Computerspielens Nachrichten zu schreiben.
## Multitasking
„Eine unachtsame Mediennutzung“ könnte „ein Risikofaktor in der Ausbildu…
pathologischer Nutzungsmuster“ sein, befürchtet das Forschungsteam. Das
stimmt. Multitasking ist hinderlich, wenn es um konzentriertes Arbeiten
geht. Denn das vermeintlich gleichzeitige Erledigen verschiedener Aufgaben
ist nichts anderes als ein ständiges Wechseln und Unterbrechen. Es raubt
Konzentration und Energie. In dieser Studie ging es aber um
Freizeitaktivitäten, nicht ums Lernen.
Wer schreibt nicht während des Fernsehens mal eine Nachricht? Und ist es
nicht vielmehr beruhigend, dass Jugendliche beim Computerspielen
Messengerdienste benutzen, also mit anderen Menschen in Verbindung bleiben?
Die Ergebnisse lassen so manche Fragen offen. Falls jemand Antworten sucht:
Die DAK, die diese Studie in Auftrag gegeben hat, bietet als erste deutsche
Krankenkasse ein Mediensucht-Screening an. Wenn das kein Zufall ist.
20 Mar 2023
## LINKS
[1] https://www.dak.de/dak/bundesthemen/onlinesucht-studie-2106298.html#/
[2] https://www.spiegel.de/politik/kinder-am-kabel-endstation-seh-sucht-a-286ca…
[3] /Kinderpsychiaterin-ueber-Corona-Folgen/!5800359
[4] /Ein-Computerspiel-und-die-Folgen/!5569980
## AUTOREN
Anna Goldenberg
## TAGS
Jugendliche
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