# taz.de -- Zukunft mit Kichererbsen: Vielleicht die neue Kartoffel | |
> Kichererbsen sind nahrhaft, trockenresistent – und düngen Böden. Ein | |
> Netzwerk baut Wertschöpfungsketten auf für die Hülsenfrucht, die auch | |
> Tofu kann. | |
Bild: Kichererbsen: Bald in rauen Mengen aus Brandenburg? | |
BERLIN taz | In der Luft hängt der Geruch von Kreuzkümmel und Kurkuma. Eine | |
junge Frau steht vor einer eckigen Kochwanne. Mit einem Stabmixer rührt sie | |
einen senfgelben Brei aus Kichererbsenmehl und Falafelgewürzen. Ihre | |
Kollegen gegenüber sind einen Produktionsschritt weiter und streichen die | |
eingedickte Masse auf Blechtabletts. Der nächste stanzt sie in 24 flache | |
Quader, anschließend wandern die Stücke noch durch eine Verpackungsmaschine | |
und einen Pasteurisierungsschrank. Fertig ist der Kichererbsentofu – made | |
in Berlin. | |
Normaler Tofu besteht aus geronnener Sojamilch. Doch [1][auch die Berliner | |
Variante „Kofu“] – es gibt sie in vier Geschmacksrichtungen – ist keine | |
wirkliche Innovation, räumt Jörn Gutowski, Mitgründer der Firma Zeevi, ein. | |
Denn das dreiköpfige Leitungsteam der kleinen Firma, zu dem neben | |
Vertriebsleiter Gutowski auch ein israelischer Koch und ein traditioneller | |
Tofu-Hersteller gehören, hat herausgefunden, dass Kichererbsentofu auch in | |
Südostasien, im Grenzgebiet zwischen Myanmar und Thailand, von den dort | |
lebenden Shan in Restaurants angeboten wird. | |
Etwa eine Tonne der trockenresistenen Hülsenfrüchte verarbeitet die | |
Manufaktur in einem Lichtenberger Hinterhof pro Monat. In der Anfangszeit | |
kam der Rohstoff aus der Türkei, inzwischen liefert ein Biobauer aus | |
Sachsen-Anhalt die notwendigen Mengen. Im kleinen Besprechungszimmer lagern | |
über ein Dutzend durchsichtige Plastiksäckchen mit sandfarbenen Erbsen in | |
einem Pappkarton, geschickt vom landwirtschaftlichen Technologiezentrum in | |
Baden-Württemberg. Zeevi soll sie testen. | |
Gutowski und seine beiden Geschäftspartner gehören zu einer wachsenden | |
Community, die die Kichererbse in Deutschland fördern will. „Das ist ja | |
eine überaus sinnvolle Pflanze. Sie liefert nicht nur viele Proteine und | |
Nährstoffe, sondern verbessert auch die Böden“, fasst der 46-Jährige | |
zusammen. Für eine Ernährung, die gleichermaßen planetenfreundlich und | |
gesundheitsförderlich ist, hat die internationale [2][Eat Lancet | |
Kommission] 75 Gramm Hülsenfrüchte pro Kopf und Tag empfohlen. In | |
Deutschland liegen bisher durchschnittlich allerdings nur 7 Gramm Erbsen, | |
Linsen und Bohnen auf den Tellern. | |
## Erhebliche Nachfrage | |
In der türkischen, arabischen und indischen Küche spielen Kichererbsen eine | |
herausragende Rolle. Folglich gibt es auch eine erhebliche Nachfrage in | |
Berlin. Und die Zahl der Menschen steigt, die sich überwiegend | |
pflanzenbasiert und klimafreundlich ernähren wollen. Dafür hat die | |
Kichererbse ein großes Potenzial. Sie enthält nicht nur viele Ballaststoffe | |
und ist zugleich kalorienarm und sättigend. Die Pflanze kann auch | |
Kunstdünger ersetzen, dessen Herstellung viel Energie verschlingt. Darüber | |
hinaus ist sie dürreresistent und kommt auch mit armen Böden klar. | |
Ralf Bloch forscht an der [3][Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in | |
Eberswalde] (HNEE) zu Agrarökologie. „Wir wollen herausfinden, ob es | |
langfristig einen bedeutenden Kichererbsen-Anbau in Brandenburg geben | |
kann“, berichtet er. Das wäre ein wichtiger Baustein, um das Land zu einer | |
Modellregion für die Klimaanpassung zu machen. Seit zwei Jahren führen HNEE | |
und das Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (Zalf) in Müncheberg | |
gemeinsam Feldversuche durch. Sobald kein Frost mehr droht, säen | |
Mitarbeitende auf 1,5 mal 3 Meter großen Parzellen an verschiedenen | |
Standorten Sorten mit so klangvollen Namen wie Orion, Olga und Cicerone. | |
Alles wird genau dokumentiert: Saattiefe, Bearbeitung mit Hacke oder | |
Striegel, Abreifezeitpunkt, Ertragsniveau. | |
Wie andere Hülsenfrüchte auch können Kichererbsen Stickstoff aus der Luft | |
einfangen. Dafür kooperieren die Pflanzen mit Knöllchenbakterien, die | |
Verdickungen an den Wurzeln bilden. Sie versorgen nicht nur die aktuelle | |
Kultur mit dem wertvollen Nährstoff, sondern wirken auch danach im Boden | |
weiter. „Das ist ein total faszinierendes, komplexes Zusammenspiel, das | |
sich im Erbgut von Pflanzen und Bakterien gemeinsam entwickelt hat“, | |
schwärmt der Professor. Damit das allerdings funktioniert, müssen die | |
entsprechenden Bakterien zur Stelle sein – und das sind sie in Brandenburg | |
bisher noch nicht. Um sie anzusiedeln, werden die Kichererbsen damit | |
geimpft. | |
Manche Bauern mischen die Bakterienlösung mit klebrigem Apfelsaft und | |
kippen dann alles zusammen in einen Betonmischer. „Ich habe eine Wanne | |
genommen und die wässrige Lösung einfach auf die Saat gekippt, bis alles | |
benetzt war“, berichtet Michael Staar vom Gut Hirschaue im Landkreis | |
Oder-Spree. Er hat im vergangenen Jahr erstmals einen halben Hektar | |
Kichererbsen angebaut. Obwohl Ringeltauben und Starkregen fast die ganze | |
Ernte vernichtet haben, will er es erneut probieren. „Da muss ich wohl noch | |
ein paar Jahre tüfteln“, meint er. | |
Schon drei Jahre Erfahrung hat inzwischen Bauer Thomas Gäbert von der | |
Agrargenossenschaft Trebbin, dessen Betrieb bereits einige Dutzend Tonnen | |
Kichererbsen im Jahr produziert. Gäbert hat sich bereits als | |
wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität damit | |
beschäftigt, wie sich Brandenburgs oft wenig fruchtbare Böden gut nutzen | |
und vor Erosion schützen lassen. | |
Tiny Farms, die dezentral mit vielen Teilzeitlandwirten rund um Berlin | |
Gemüsefelder bewirtschaften, haben Kichererbsen zur Verbesserung eines | |
neuen Ackers anbauen lassen. „Das Projekt war gar nicht so einfach“, | |
erzählt auch Geschäftsführer Jacob Fels. Nachdem er endlich Biosaatgut aus | |
Italien aufgetrieben hatte, tauchten zunächst nur wenige Keimlinge auf, | |
weil die Erbsen zu tief im Boden lagen. | |
Die zweite Drillrunde brachte Erfolg. Später galt es dann, den besten | |
Erntezeitpunkt zu erwischen, weil die Schoten oben schneller abreifen als | |
unten. Anschließend müssen die Erbsen sortiert werden – wofür es in der | |
Region noch keine geeigneten Maschinen gibt. „Am Schluss hatten wir eine | |
bunte Mischung, die optisch nicht so super war“, bilanziert Fels. | |
Das fiel auch seiner Kundin Susan Rhattigan auf. Sie leitet die beiden | |
Cateringunternehmen Schildkröte und Greens Unlimited, die jeden Tag 9.000 | |
Schulessen produzieren. „Sobald die Kichererbsen aber gekocht waren, waren | |
sie 1-a“, erzählt sie. Nicht nur Hummus stellte sie daraus her, sondern | |
auch ein Ragout mit Apfel, vegetarisches Chili und weitere Menüs. „Wir | |
wollen noch mehr Rezepte entwickeln und brauchen dieses Jahr 1,5 Tonnen“, | |
kündigt Rhattigan an. | |
## Eine blühende Zukunft | |
Damit die Kichererbse auf Brandenburgs Feldern eine blühende Zukunft haben | |
kann, müssen auch die Absatzwege beackert werden. Welche Eigenschaften | |
wünschen die Hersteller von vegetarischem Eiersalat? Welche | |
Geschmacksansprüche haben die Konsument*innen – und finden sie es | |
attraktiv, wenn die Kichererbsen aus der Region kommen? | |
„Das alles parallel zu entwickeln ist wie die Henne-Ei-Problematik“, | |
erklärt Anna Maria Häring von der HNEE, die zu Agrar- und Ernährungsmärkten | |
forscht. Immerhin gibt es in Berlin ja große migrantische Communitys, für | |
die die Kichererbse kulinarisch bedeutsam ist. Und offenbar kam sie in | |
früheren Zeiten auch in Brandenburg schon ab und zu auf den Tisch – unter | |
dem Namen Garabanze. „Darüber wüssten wir gern mehr,“ so Häring, die auf | |
Hinweise von taz-Leser*innen hofft. | |
Die [4][Regionalwert AG Berlin-Brandenburg] will nun die vielen Akteure | |
vernetzen und Wertschöpfungsketten vom Acker bis zur Küche aufbauen. | |
Gefördert wird das Vorhaben vom Landwirtschaftsministerium in Potsdam. | |
Neben jeweils fünf Ackerbetrieben und Verarbeitern ist auch der | |
Bio-Großhändler Terra mit an Bord. „Vor allem die Stufen zwischen | |
Herstellung und Verarbeitung sind bisher noch sehr lückenhaft,“ konstatiert | |
Timo Kaphengst, Vorstand der Regionalwert AG. | |
Sein Team sucht nun geeignete Betriebe und will helfen, sie mit | |
entsprechenden Maschinen und Kapazitäten auszustatten. „Dafür brauchen wir | |
dringend Geld“, sagt der Landschaftsökologe und wirbt dafür, dass mehr | |
Menschen bei der Bürger-Aktiengesellschaft einsteigen. Bis Ende März können | |
neue Anteile gezeichnet werden. | |
27 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.kofu.berlin/ | |
[2] https://www.dge.de/ernaehrungspraxis/nachhaltige-ernaehrung/planetary-healt… | |
[3] https://www.hnee.de/de/Startseite/HNEEberswalde-Startseite-E9875.htm | |
[4] /Biolandwirtschaft-in-Brandenburg/!5828827 | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
## TAGS | |
Ernährung | |
Ackerbau | |
Brandenburg | |
Gastronomie | |
wochentaz | |
Landwirtschaft | |
CO2-Emissionen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Auf der Grünen Woche in Berlin: Im Sog der Häppchen | |
Es ist wieder Grüne Woche und alles so: lecker! Ein Rundgang zwischen | |
Bio-Eierlikör, gescheckten Pferden, tanzenden Kühen und Wurst in Dosen. | |
Ernährungstransformation in Berlin: Sie haben es einfach satt | |
Der Ernährungsrat kritisiert die Berliner Ernährungsstrategie. Was in der | |
Theorie gut klingt, scheitert bisher leider an der konsequenten Umsetzung. | |
CO₂-Bilanz von veganem Essen: Veganuary lohnt sich | |
Den Januar nutzen viele, um vegane Ernährung auszuprobieren. Diese hat | |
nicht nur niedrigere Emissionen, sondern trägt auch zur CO₂-Bindung bei. |