Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Auf der Grünen Woche in Berlin: Im Sog der Häppchen
> Es ist wieder Grüne Woche und alles so: lecker! Ein Rundgang zwischen
> Bio-Eierlikör, gescheckten Pferden, tanzenden Kühen und Wurst in Dosen.
Bild: Mund vollstopfen, weitermachen: Grüne Woche in Berlin
„Das sind jetzt 95 Prozent Weizenmehl, 5 Prozent Spirulina-Alge und
orientalische Gewürze. Also nicht wundern, wenn es etwas weihnachtlich
schmeckt.“
„Statt der Papaya können Sie auch Kohlrabi verwenden. Oder Gurke. Aber am
besten ist es mit Papaya.“
„Und was ist das?“ – „Leberwurst.“ – „Leberwurst!“
„Ta-Da! Ein Preis für Sie. Aus Madagaskar. Ich glaube, der Thunfisch kommt
aus Madagaskar.“
„Hier gibt es alkoholfreien Schnaps für einen Euro.“ – „Na da sauf ich…
doch jetzt einen an.“
Die Grüne Woche ist wieder da, nach zwei Jahren Pandemie-pause. Aber was
ist die Grüne Woche überhaupt? Für die einen ist es die [1][„weltgrößte
Landwirtschaftsmesse“] (taz), für die anderen [2][„Deutschlands größte
Fressmeile“] (Berliner Kurier), gleichzeitig aber auch der „große
traditionelle Treff der Ernährungsbranche“ (wieder Berliner Kurier) und
sowieso natürlich: „Berlins Lieblingsmesse“ (Tagesspiegel).
Die leckere Birne aus Europa. Immer eine gute Idee | Craft-Beer? Machen wir
seit 1429 | Richtig gutes Zeug: Der neue [3][Bio-Eierlikör] mit dem
Geschmack von frischer Orange, Minze & Verantwortung | Kelles Suppen. Alles
andere sind nur Eintöpfe. | Bist Du Du, wenn Du hungrig bist?
Vier verschiedene Besucher können hier problemlos vier komplett
unterschiedliche Messeerfahrungen machen. Man kann durch die seriöse und
angenehm leere Halle der Fachverbände und der Ernährungswirtschaft
schlendern, wo auch McDonald’s einen riesigen Stand fürs [4][Greenwashing]
betreibt.
Man kann sein Kind in einen Traktor mit zwei Meter hohen Reifen setzen oder
sich über KI-gestützte automatische Kartoffelerkennung informieren. Man
kann die Blumenhalle besuchen, die Stände der Motorsägen- und
Grillhersteller, die Hunde-, Kaninchen- und die Katzenzüchter oder die
fußballfeldgroße Nutztierarena, wo seltene Schafrassen auflaufen und
ponygezogene Vierspänner.
„Wat is denn dit? Nata-Törtchen für zwei Euro. Dit is ja ’ n Schnäpperke…
„Das sind Pferde mit viel Tiefe. Gescheckte Pferde. Und, Sie sehen es, mit
viel Fesselbehang.“
Friedrich Heine ist, wenn Sie mal googeln, der, der die Dose für die Wurst
erfunden hat.“
„Und wenn Sie was posten auf Social Media, vergessen Sie nicht den Hashtag
#zukunftschmeckt.“
Die Meisten drängeln sich aber in den „Länderhallen“, die auch den größ…
Teil der Ausstellungsfläche einnehmen. Hier geht es vor allem ums Essen,
und das kommt meist in winzigen, vielversprechend aussehenden
Probierportionen für 2 bis 5 Euro.
Manche Länder haben dabei einen zentralen Auftritt, andere ein Sammelsurium
aus vielen Einzelanbietern; es sind aber ohnehin nicht alle Länder da,
nicht einmal alle Bundesländer. Es ist letztlich ziemlich random, beliebig,
was hier geboten wird. Aber es ist viel, sehr viel, und schnell verliert
man sich in einem Sog aus Präsentiertellern und Schnapsgläsern,
Stehtischen und Trachtenkleidern, Broschüren und Werbebotschaften.
Frühstücksangebot: Gemischte ungarische Wurstplatte mit Kaffee: 12 € |
Suppe des Tages: Bier! | 12.15 Uhr: „Wie schmeckt eigentlich Fleisch vom
Bruderhahn?“ Burkhard Brinkschule von mein-ei.nrw klärt auf | Hier ist
Präzision gefragt: wer bringt die Milchkanne auf die höchsten Punktzahlen
auf der Zielscheibe? | 14.45 Uhr: Waldquiz mit Michael Blaschke und dem
Baummann. | Geld allein macht nicht glücklich. Du musst schon Wein dafür
kaufen! | Kalte Füße?! Dann ALPAKA SOCKEN! | 16:30 Uhr: Die Kuh Lotte
tanzt. | Aus Qualitätsgründen sind auf dem Tisch nur Attrappen ausgestellt.
Alle reden von nachhaltiger Ernährung, von weniger Fleisch, von mehr bio.
Und klar, das gibt es auch hier und da mal auf der Messe. Der allergrößte
Anteil des angebotenen Essen ist aber mit tierischen Produkten. Natürlich
hat jedes skandinavisches Land den Elch im Angebot, natürlich gibt es
Südtiroler Speck, rheinische Blutwurst und Fischbrötchen aus Mecklenburg.
Dazu kommen Käse, Käse, Käse und Würste, Würste, Würste. Und noch mehr
Würste. Immerhin: Regional ist das alles, irgendwie.
„Sachsen-Anhalt hat zum Beispiel das Thema ‚Alge‘. Die haben da Sachen mit
der Spirulina-Alge.“ –„Ah. Nein. Des wolln wir ned.“ –„…“ –�…
mog I ned.“ –„Ah, du, also ich mag ja schon gern Algensalat.“
„Und was hat sie dazu bewogen, Bäuerin zu werden?“ –„Mein Mann war ohne
Bauernhof nicht zu haben.“
„Kommen Sie vorbei und probieren Sie Grillen! Aus Bremen!“
Noch wichtiger als Essen ist auf der Grünen Woche aber das Trinken.
Granatapfelwein aus Armenien, Wodka aus Usbekistan, Moosbeerenlikör aus
Polen, Stout aus Irland, Pisco aus Peru, Amphorenwein aus Georgien,
Fassbier aus Bayern, Thüringen, Sachsen und sowieso überall her.
Selbst in den internationalen Hallen stehen immer noch zwei oder drei
deutsche Weinstände von zwielichtigen Betreibern wie Pieroth, Graf von
Rüdesheim oder Pallhuber ([5][leider ohne Söhne und auch ohne
„Oberföhringer Vogelspinne“]). Am traurigsten sind dabei die Caipirinhabars
in Halle 10. Die Verkäuferinnen tragen Obst auf dem Kopf, und es gibt eine
Liegestuhlarea. Exotik, made in Germany.
Bereit für Konfetti im Kopf? Next Level für die Geschmacksnerven! | Echt
deutscher Klimahonig: Weil unsere Bienen nicht einmal um den Globus fliegen
| Das Gute leben. Schweizer Käse. Gemacht, um Menschen zu verbinden. |
Lecker. Lustig. Landgemacht. | … einfach reinschrauben, das ist nicht
schwer, schon ist die Zitrone leer.
Schließlich ist da noch die fest installierte Messegastronomie in den
Verbindungsbereichen zwischen den Hallen. Hier gibt es den üblichen Fraß,
Laugenkäsebrezeln, Leberkäse, you name it. Und obwohl man drumherum an
jeder Ecke interessanteres Essen aus interessanteren Ländern bekommt: die
Leute kaufen es. Es ist ihnen komplett egal. Einfach rein damit. Mund
vollstopfen, weitermachen!
„Und das hier ist auch eine sehr schöne Schnapsflasche. Ich sage ja immer:
Das Parfüm der Natur.“
„Das Gericht ist nicht ganz vegan, im Spitzkohl ist noch Sahne drin. Aber
das Schnitzel ist vegan. Und wenn Sie die Augen zumachen, dann ist es wie
Hühnchen.“
„Was sagen Sie denn zur [6][‚Wir haben es satt‘-Demo]?“ – „Na, war …
keiner da!“
„Wollen wir hier noch eins nehmen?“
„Hast du mir die Salami jetzt vorne reingesteckt?“
„Ich muss sagen, es schmeckt alles ekelhaft.“
29 Jan 2023
## LINKS
[1] /Cem-Oezdemirs-Tierschutzplaene/!5907384
[2] https://www.berliner-kurier.de/berlin/und-prost-die-gruene-woche-deutschlan…
[3] /Eierlikoer-im-Selbstversuch/!5586943
[4] /Greenwashing/!t5035135
[5] https://www.t-online.de/unterhaltung/stars/id_66282524/loriot-weine-vogelsp…
[6] /Wir-haben-es-satt-Demo-in-Berlin/!5910193
## AUTOREN
Michael Brake
## TAGS
wochentaz
Grüne Woche
Messe
Ernährung
Ernährung
Landwirtschaft
Landwirtschaft
Landwirtschaft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Zukunft mit Kichererbsen: Vielleicht die neue Kartoffel
Kichererbsen sind nahrhaft, trockenresistent – und düngen Böden. Ein
Netzwerk baut Wertschöpfungsketten auf für die Hülsenfrucht, die auch Tofu
kann.
Deutsche Getreidewirtschaft: Wer verdient vom Korn bis zum Brot?
Von der Mühle zur Bäckerei: Welchen Weg nimmt Getreide – und profitieren
dabei die Richtigen? Ein Überblick in fünf Schritten.
Cem Özdemirs Tierschutzpläne: Fortschrittliche Bauern profitieren
Es stimmt nicht, dass Agrarminister Cem Özdemir die Tierhaltung abschaffen
will. Seine Pläne fördern Landwirte, die ihr Vieh artgerechter halten.
Ernährungstransformation in Berlin: Sie haben es einfach satt
Der Ernährungsrat kritisiert die Berliner Ernährungsstrategie. Was in der
Theorie gut klingt, scheitert bisher leider an der konsequenten Umsetzung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.