| # taz.de -- Kochen in der Fernbeziehung: Kichererbsen gegen den Kapitalismus | |
| > Unsere Autorin und ihre Freundin führen eine Fernbeziehung. Zu ihren | |
| > Ritualen gehört es, miteinander und füreinander zu kochen. | |
| Bild: Die Erinnerungen fahren mit | |
| Es ist sieben Uhr morgens und noch dunkel. Ich trage nur ein Handtuch um | |
| den Kopf, Make-up und lange Ohrringe, die fast bis zu meinen Schultern | |
| reichen. Der Duft von gebratenen Zwiebeln und Knoblauch hatte mich schon | |
| unter der Dusche erreicht, nun bleibe ich hinter dem Türrahmen stehen und | |
| beobachte sie. Sie steht am Herd und kocht. Als sie mich entdeckt, sagt | |
| sie, dass ich aussehe wie eine nackte Version von [1][Vermeers] „Das | |
| Mädchen mit dem Perlenohrring“. | |
| Draußen ist es kalt, es ist Februar, minus 5 Grad Celsius zeigt die | |
| Wetter-App für Leipzig. Circa 160 Kilometer davon entfernt, in Berlin, | |
| wohin ich gleich zurückfahren muss, wird es nicht viel anders sein. Sie | |
| besteht darauf, mit mir aufzustehen, um mir mein Lieblingsfrühstück | |
| zuzubereiten. | |
| Mit ihren schwarz lackierten Fingernägeln schält sie [2][jede einzelne | |
| Kichererbse] und wirft sie in das heiße Öl, zu den Zwiebeln und dem | |
| Knoblauch. Als nächstes kommen in den Topf rote Paprika und Champignons. | |
| Die Gewürze sind ihr Geheimnis, genauso wie die Zeit, die sie sich für | |
| diese Eigenkreation nimmt. Der Herd soll auf niedrige Hitze gestellt sein, | |
| je langsamer es brutzelt, desto besser, meint sie. | |
| Ich ziehe mich an und gleite auf Zehenspitzen zu ihr, umarme sie von hinten | |
| und flüstere ihr ins Ohr, wie gut es riecht. Das gehört zu unseren | |
| Ritualen. So wie füreinander und miteinander kochen. Das haben wir auch | |
| schon gemacht, bevor wir zusammenkamen, als wir „nur“ befreundet waren. | |
| Bereits in der Zeit, als sie noch mit ihrem damaligen Freund zusammenwohnte | |
| und ich bei ihnen nach langen Nächten mit Bier und Gesprächen übernachtete, | |
| stand sie mit mir auf. Sie mochte es, für mich Kaffee aufzusetzen und bot | |
| mir ebenfalls an, was sie als erstes Mahl des Tages zu sich nahm: mal | |
| Champignonpfanne, mal Linsensuppe, mal die Kichererbsen, denen ich heute | |
| nicht mehr widerstehen kann. Damals war mir das um 7 Uhr morgens alles zu | |
| heftig. Aber offensichtlich kann sich die Geschmackswahrnehmung ändern, so | |
| wie sich menschliche Beziehungen ändern können. | |
| Als wir in jener Wohnung [3][in Berlin-Prenzlauer Berg] zum allerersten Mal | |
| zusammen kochten, spürte ich auch zum ersten Mal Gefühle für sie, die ich | |
| nicht einordnen konnte. Schweigend schnippelten wir Gemüse nebeneinander. | |
| Unsere Arme berührten sich ab und zu ungewollt, und plötzlich überkam mich | |
| eine große Ruhe, sowie eine außergewöhnliche Vertrautheit. Die vegane | |
| Version der argentinischen Empanadas – traditionell mit Hackfleisch | |
| gefüllte Teigtaschen – gelang uns an diesem Abend sehr gut. | |
| Danach kochten wir häufig zusammen und probierten viele Gerichte aus. Als | |
| sie nach Leipzig zog, dachte ich, dass ich unser gemeinsames Kochen | |
| vermissen würde, ohne zu ahnen, dass aus dieser Freundschaft die erste | |
| Fernbeziehung meines Lebens werden würde. | |
| Auch sie hat unsere ersten Empanadas noch in Erinnerung. Doch aus meinem | |
| kulinarischen Repertoire bevorzugt sie heute andere Rezepte, vielleicht, | |
| weil ich diese nur für sie koche und sie einen Moment der Intimität, wie es | |
| unser Frühstück ist, hervorrufen. Als Beispiel: rote Bohnen mexikanischer | |
| Art mit selbst gemachtem Tofu-Bacon. Oder spanische vegane Tortillas mit | |
| Kurkuma und Kichererbsenmehl als Ei-Ersatz, von denen sie sagt, dass sie | |
| fast wie die echten schmecken. | |
| Wenn wir nicht zum Bahnhof rennen müssen, gibt es manchmal auch vegane | |
| Pancakes. Mit den Bohnen und den Kichererbsen wechseln wir uns ab. Meist | |
| kocht diejenige, die zu Hause bleibt für diejenige, die zurückfährt. Diese | |
| eilt währenddessen durch das Haus mit einer Kaffeetasse in der Hand und | |
| sammelt noch ihre Sachen zusammen oder packt ihren Rucksack. Manchmal läuft | |
| das Radio im Hintergrund, manchmal kommt die Musik vom Plattenspieler. | |
| Auch wenn die Kichererbsen an diesem kalten Morgen wunderbar schmecken, bin | |
| ich wie immer etwas traurig, bevor wir uns verabschieden. An allem ist der | |
| Kapitalismus schuld, stellen wir fest und lachen. Auch daran, dass es | |
| Montag ist und ich so früh arbeiten gehen muss. Viel lieber würde ich nach | |
| dem Frühstück zurück mit ihr ins Bett gehen und bei ihrer Wärme bleiben, | |
| mit der Katze, die zu unseren Füßen schläft. | |
| Aber ich nehme meine Kräfte zusammen und mache mich auf den Weg. Für die | |
| einstündige Zugfahrt drückt sie mir ein mit Herzchen dekoriertes | |
| Essenspäckchen in die Hand. Für den Fall, dass ich gleich wieder Hunger | |
| habe. | |
| 12 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Luciana Ferrando | |
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