# taz.de -- Unterbringung von Geflüchteten in Berlin: Viel Zeit und Geld verge… | |
> Doch keine Flüchtlingsunterkunft am Landwehrkanal: Die Gespräche über das | |
> Ratibor-Areal mit dem Bund sind geplatzt. Ist Finanzminister Lindner | |
> Schuld? | |
Bild: Seit 2018 müssen die Gewerbetreibenden um ihr Arbeitsidyll am Kreuzberge… | |
BERLIN taz | Die geplante Flüchtlingsunterkunft in der Ratiborstraße auf | |
der Kreuzberger Seite des Landwehrkanals wird nicht kommen: Die Gespräche | |
zwischen Land und Bund über den Ankauf des Geländes sind geplatzt. Die | |
Finanzverwaltung von Senator Daniel Wesener (Grüne) bestätigte der taz eine | |
entsprechende Erklärung der Betroffeneninitiative „Areal Ratibor14 e. V.“. | |
Zwar habe die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) mit der | |
Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) „erfolgreiche Verhandlungen | |
über einen möglichen Ankauf geführt“, so Weseners Sprecher Frederik | |
Bombosch. Doch das Bundesfinanzministerium (BMF) habe die erreichte | |
Verständigung abgelehnt. „Auch direkte Gespräche zwischen den politischen | |
Hausspitzen – zuletzt um den Jahreswechsel – konnten das BMF bislang nicht | |
bewegen, dem ausgehandelten Kaufvertrag zuzustimmen.“ | |
Für die Betroffenen ist das eine herbe Enttäuschung. Nicht nur weil nun | |
viel Zeit und Geld in den Sand gesetzt wurden: Seit [1][2018 die ersten | |
Pläne des Senats für eine Geflüchtetenunterkunft mit 500 Plätzen bekannt | |
wurden], haben Anwohner*innen, Bezirks- und Landespolitiker*innen | |
sowie Verwaltungen immer wieder diskutiert, verhandelt, geplant und | |
vereinbart. „Wir fühlen uns verarscht bis sprachlos – kämpfen aber weiter… | |
heißt es daher in der [2][Erklärung der Initiative]. | |
Zum anderen ist nun die Zukunft der gut 20 Kleingewerbetreibenden und | |
Wagenplatzbewohner*innen, des Biergartens und der Kita weiter ungewiss. | |
Diese haben seit Jahren nur noch einjährige Pachtverträge von der BImA | |
bekommen – Zukunftspläne und Investitionen sind so natürlich unmöglich. | |
„Wir wollen versuchen, nun bei der BImA wenigstens einen Vertrag über zehn | |
Jahre zu erreichen“, sagte Thomas Meyer von der Initiative der taz. Er | |
arbeitet als Architekt auf dem Ratibor-Areal. | |
Auch für die Grünen-Abgeordnete Katrin Schmidberger ist die Sicherung des | |
Kleingewerbes nun die vordringlichste Aufgabe. „Ich kann deren Frust gut | |
verstehen. Jetzt müssen wir sehen, wie wir ihre Existenz sichern können“, | |
sagte sie der taz. | |
## Erbpacht wäre schön gewesen | |
Eigentlich sahen die Berliner Pläne nach Darstellung der Initiative | |
folgendes vor: Der Bund in Gestalt der BImA verkauft einen Teil des Areals, | |
etwa 10.000 Quadratmeter, an die BIM. Diese verpachtet der | |
Ratibor-Initiative als Genossenschaft rund 8.800 Quadratmeter für 65 Jahre | |
in Erbpacht. Dafür verdoppelt diese Genossenschaft die Gebäudeflächen für | |
produzierendes Kleingewerbe, Kultur und Soziales – unter anderem für Arbeit | |
mit den Geflüchteten. Der Wagenplatz hätte einen eigenen Pachtvertrag über | |
„seine“ 1.200 Quadratmeter mit der BIM abgeschlossen. | |
Des Weiteren hätte die Berlinovo Grundstücksentwicklungs GmbH (BGG), eine | |
100-prozentige Tochter der landeseigenen Berlinovo, die auf lukratives | |
„Hauptstadtwohnen“ für Geschäftsleute, möblierte Appartements für | |
Studierende und eben Flüchtlingsunterkünfte spezialisiert ist, von der BImA | |
direkt ein Grundstück von gut 3.000 Quadratmetern Fläche erbpachten sollen. | |
[3][Die BGG hätte darauf eine Modulare Flüchtlingsunterkunft (MUF) für rund | |
250 Menschen] – die Hälfte der ursprünglichen Pläne – errichtet. Später | |
hätten dort auch andere Menschen mit geringem Einkommen Platz finden | |
können, so sieht es jedenfalls [4][das MUF-Konzept des Senats] vor. | |
Dass die BGG von der BImA nicht kaufen, sondern „erbpachten“ sollte, war, | |
so Schmidberger, ein wichtiger Verhandlungserfolg für Berlin. „Sonst wäre | |
das Projekt für die BGG wohl wirtschaftlich nicht machbar gewesen.“ Lange | |
hätten BIM und BImA darüber diskutiert, welche Bodenrichtwerte für die | |
Fläche gelten sollten, da der Wert in den letzten Jahren enorm gestiegen | |
sei. Die BImA habe zuletzt aber eingesehen, dass man niedrigere Werte | |
ansetzen sollte, da es ja um Geflüchtetenunterkünfte gegangen sei. | |
Dies habe Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit seinem Veto | |
verhindert. „Der Bund wollte mehr Geld haben“, sagt Schmidberger. Dies sei | |
umso empörender, als die Bundesebene verpflichtet sei, den Ländern bei | |
ihrer – angesichts des Ukrainekrieges zunehmend schwierigeren – Aufgabe zu | |
helfen, Flüchtlinge unterzubringen. Ihr Parteifreund aus dem Bezirk, | |
Baustadtrat Florian Schmidt, formulierte es gegenüber der taz so: „Herr | |
Lindner spekuliert auf Kosten von Geflüchteten mit der Immobilie. Ich sehe | |
darin die FDP-typische Inkaufnahme von existenziellen Notlagen durch | |
Immobilienspekulation im staatlichen Gewand.“ | |
## „Keine Einigung gegeben“ | |
Das Bundesfinanzministerium vertritt dagegen den Standpunkt, man habe | |
keinen rechtlichen Handlungsspielraum für größere Preisnachlässe. Ein | |
Sprecher des Bundesfinanzministeriums als Aufsichtsbehörde der BImA | |
erklärte auf taz-Anfrage: Die Bundesregierung sei durchaus bestrebt, | |
Länder, Landkreise und Gemeinden bei der Unterbringung Geflüchteter zu | |
unterstützen, und biete dafür auch viele Liegenschaften an. Im Fall des | |
Ratibor-Areals sei das BMF an den Verhandlungen „zu einzelnen | |
Verhandlungsständen beteiligt worden“ – und man habe stets darauf | |
hingewiesen, „dass eine für beide Seiten ausgewogene Lösung gefunden werden | |
müsse, die insbesondere den haushaltsrechtlichen Erfordernissen Rechnung | |
trägt“. Diesbezüglich habe es aber „keine Einigung gegeben“. | |
Die Ratibor-Initiative wiederum sieht zumindest eine Teilschuld beim Land. | |
„Letztlich war der Berliner Kardinalfehler schon mit der Entscheidung der | |
Vorgängerregierung getroffen, eine profitorientierte | |
Stieftochtergesellschaft des Landes mit dem MUF-Bau an einem engen Ort in | |
bester Innenstadtlage zu beauftragen“, heißt es in ihrer Erklärung. Die BGG | |
habe auf Gewinne spekuliert – warum sonst habe man ein Grundstücksangebot | |
mit dem Argument abgelehnt, der geforderte Preis mache das Projekt | |
unwirtschaftlich? Weiter fragt Ratibor14: „Warum sollte ausgerechnet das | |
Wohnen von Geflüchteten auf Teufel komm raus kurzfristige Gewinne | |
abwerfen?“ | |
Die Frage mag für manchen überzogen klingen, doch die Politik müsste schon | |
einmal klären: Wie teuer dürfen „Flüchtlingswohnungen“ denn sein? Und was | |
heißt überhaupt teuer angesichts der staatlichen Pflicht, Menschen vor | |
unfreiwilliger Obdachlosigkeit zu bewahren, und angesichts der Tatsache, | |
dass Bezirke bisweilen Tausende Euro pro Monat für die Unterbringung von | |
Familien in sehr schlechten Pensionen ausgeben? | |
Antworten auf all dies wird es nicht geben, da sich die Beteiligten wie | |
immer über Details des geplatzten Deals ausschweigen. Ob Berlin zu viel | |
Preisrabatt wollte (wie das BMF insinuiert) oder ob der Bund unverschämt | |
viel für das Filetgrundstück am Landwehrkanal wollte (wie die Berliner | |
Seite meint), wird die Öffentlichkeit vermutlich nie erfahren. | |
Fest steht nur, dass die ganze Sache schon vor einiger Zeit geplatzt ist: | |
„Um den Jahreswechsel“ hat es laut Finanzverwaltung die Gespräche zwischen | |
Lindner und Wesener gegeben. Doch erst jetzt, nach der Wahl, wurde die | |
Initiative von der BIM informiert – und nur sie ging damit an die | |
Öffentlichkeit. Zufall? Wohl kaum, meinen die Leute von Ratibor14. Denn | |
dieses Ende der Geschichte werfe „wenig Ruhmesglanz auf manch | |
wahlkämpfenden Politiker“. | |
1 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Unterkunft-fuer-Gefluechtete/!5490250 | |
[2] https://twitter.com/areal_ratibor14/status/1628716995012182016?ref_src=twsr… | |
[3] https://www.bgg-berlin.com/de/projekte/ratiborstrasse | |
[4] /Wohnungen-fuer-Gefluechtete/!5641320 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
Berlin-Kreuzberg | |
Kreuzberg | |
Friedrichshain-Kreuzberg | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
Kreuzberg | |
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin | |
Sozialwohnungen | |
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
Gewerbegebiet | |
Schwerpunkt Flucht | |
Friedrichshain-Kreuzberg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Flüchtlingsunterbringung in Berlin: Bloß kein Zurück zu Turnhallen | |
In Berlin werden, wie auch anderswo, die Betten in den | |
Erstaufnahmeeinrichtungen knapp. Von einer „Krise“ wie 2015 will aber | |
niemand sprechen. | |
Unterbringung von Geflüchteten: Städte fordern Entlastung | |
Der Deutsche Städtetag fordert einen Ausbau der Erstaufnahmeeinrichtungen. | |
In die Kommunen soll nur kommen, wer auch eine Bleibeperspektive hat. | |
Kunst gegen Gentrifizierung: Eine Demo-Oper durch Kreuzberg | |
„Lauratibor“ agitiert mit Witz, Gesang, Tragik und ein bisschen Dada gegen | |
Verdrängung im Kiez. Das Publikum hat dabei die Straße für sich. | |
Zukunft des Areals „Ratibor14“: Bezirk erschreckt BewohnerInnen | |
Grünflächenamt reißt nicht genehmigte Tafel der Kreuzberger Initiative ab – | |
Bezirksamt bedauert das. Die Zukunft des Areals ist weiter ungewiss. | |
Protest für die Ratibor14 in Kreuzberg: Nebulöse Perspektive | |
Die Finanzverwaltung will ein Areal in Kreuzberg nun womöglich doch nicht | |
kaufen. Eine Initiative fürchtet die Verdrängung von Gewerbe und | |
Wagenplatz. | |
Wohnungen für Geflüchtete: „Keine Provisorien mehr“ | |
Statt mehr Heime zu bauen sollte sich die Politik lieber um mehr Wohnraum | |
für Geflüchtete kümmern, sagt die Nachbarschaftsinitiative Ratibor 14. | |
Wohnraum für Geflüchtete: Für immer im Heim? | |
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg fordert vom Senat, statt | |
Flüchtlingsheimen Sozialwohnungen zu bauen. Doch der sieht sich weiter im | |
Krisenmodus. | |
Areal Ratiborstraße 14 droht das Aus: Senat verkauft die Fläche | |
Eigentlich sollte ein Vorzeigeprojekt für gemischtes Wohnen von | |
Geflüchteten, Anwohner*innen, eine Kita und lokales Handwerk entstehen. | |
Neues Wohnkonzept für Flüchtlinge: Man darf ruhig kleiner denken | |
Friedrichshain-Kreuzberg hat eine Machbarkeitsstudie vorgestellt, wie | |
Flüchtlingswohnen und Integration zusammengehen können. Ein | |
Wochenkommentar. | |
Unterkunft für Geflüchtete: In Kreuzberg wird es eng | |
Der Bezirk plant eine Unterkunft für 450 Geflüchtete in der Ratiborstraße – | |
sie könnte dort alteingesessenes Kleingewerbe verdrängen. |