# taz.de -- Anhaltende Proteste in Israel: Aus Feinden werden Gefährten | |
> Hunderttausende demonstrieren in Israel weiter gegen die geplante | |
> Justizreform. Die Sorge wiegt mehr als die Uneinigkeit der | |
> Protestierenden. | |
Bild: Tel Aviv am Sonntag abend: Wieder gehen tausende gegen die Rechtsregierun… | |
Tel Aviv taz | Hunderttausende haben sich am Samstagabend zum achten Mal in | |
Folge in verschiedenen Städten Israels versammelt, um gegen die von der | |
Regierung vorgeschlagene Justizreform und ihre antidemokratische Politik zu | |
protestieren. Allein in Tel Aviv kamen etwa 160.000 Menschen aus | |
verschiedenen politischen Lagern zusammen. | |
Da ist zum Beispiel die trans Frau Nina Halevy vom Gila Project for Trans | |
Empowerment. Sie war bisher bei jedem Protest dabei, weil sie sich um die | |
Zukunft ihres Landes sorgt, das zunehmend in Nationalismus und | |
Ultraorthodoxie abdriftet. Als trans Aktivistin sieht sie es als ihre | |
Pflicht für die Demokratie einzustehen, denn die LGBT-Community sei ihrer | |
Meinung nach die erste, die unter die Räder der Rechten geraten könnte. In | |
diesen Zeiten müssten sich alle politischen Gegner der Regierung vereinen, | |
um die Demokratie zu retten, sagt sie. Auch wenn es zahlreiche Blöcke auf | |
der Demo gibt, die in vielem nicht mit Halevys Ansichten übereinstimmen, | |
wird der Feind ihres Feindes heute zu ihrem Freund. | |
Demokratie könne nicht zeitgleich mit der [1][Besatzung der | |
palästinensischen Gebiete existieren], sagt Halevy, weshalb sie sich dem | |
Antiokkupationsblock anschließt, um gegen jegliche Form der Diskriminierung | |
einzutreten. Dort wehen palästinensische neben israelischen Fahnen, | |
Menschen halten Schilder auf Hebräisch und Arabisch hoch: „Palestinian | |
lives matter“ oder „Menschenrechte für alle“. | |
Neben Halevy befindet sich der sozialistische Block. Zu ihm gehört auch | |
Roberto, der nur seinen Vornamen nennt. [2][Zionismus], findet er, sei 1948 | |
notwendig für den Schutz von Juden und die Errichtung des Staats gewesen, | |
jetzt müsse man gegen den Rassismus und die Degradierung von Palästinensern | |
zu Bürgern zweiter Klasse im Land vorgehen. | |
## Furcht um den Hightech-Standort Israel | |
Korrupte Politiker:innen würden die Menschen gegeneinander ausspielen, | |
Angst verbreiten und somit Frieden unmöglich machen, findet Halevy. Dass | |
die Proteste die antidemokratische Entwicklung ihrer Heimat rückgängig | |
machen könnten, glaubt sie nicht. Aber tatenlos zuschauen will sie dabei | |
auch nicht. [3][Sie prognostiziert bürgerkriegsähnliche Zustände], immer | |
mehr Menschen würden dann ins Exil gehen, nicht mehr in der Armee dienen, | |
internationale Investoren und Firmen sich aus Israel zurückziehen. | |
Dass Israel als Geschäftsstandort leiden könnte, fürchtet auch Yossi, der | |
seinen echten Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, und der ein Schild | |
mit der Botschaft „Rettet unsere Start-up-Nation“ vor sich her trägt. Er | |
arbeitet in der Hightech-Branche und kommt jede Woche aus Südisrael nach | |
Tel Aviv, um gegen die Rückwärtsgewandtheit der Regierung zu protestieren. | |
Einen Einbruch der Lebensqualität in Israel befürchten auch die beiden | |
Künstler:innen Danit und Erez. Sie weisen zwar auf den ansteigenden | |
Antisemitismus und Gewaltbereitschaft auf arabischer Seite hin und betonen, | |
die Sicherheit von Juden müsse gewährleistet werden, weil es damals wie | |
heute Akteure gebe, die das jüdische Volk vernichten wollten. Gleichzeitig | |
stehen sie gegen die schwierigen Lebensbedingungen von | |
Palästinenser:innen ein, gegen die Beschneidung der Rechte von Frauen | |
und Minderheiten. Sie versuchen, hinter all der Gewalt auf beiden Seiten | |
Menschen zu sehen, die valide Punkte haben. Früher oder später müsse die | |
Regierung ihre Forderungen anhören und Kompromisse eingehen, sagen sie. | |
Einige Meter von Yossi entfernt steht Michail, der nur seinen Vornamen | |
nennt, und den die heutige Situation in Israel an seine alte Heimat | |
Russland vor 20 Jahren erinnert. Diese verließ er vor elf Monaten und | |
emigrierte nach Israel, [4][weil das Protestieren in Russland zu gefährlich | |
wurde]. Die aktuellen Demonstrationen nennt er „Regenschirmproteste“: | |
Gerade Gruppen, die sich sonst nie an einen Tisch setzen würden, liefen | |
hier für eine gemeinsame Sache. | |
## Wie wird Israel nach den Reformen aussehen? | |
Yael, die für die israelischen Sicherheitsbehörden arbeitet, und ihr Mann | |
Nadav, die ebenfalls anonym bleiben möchten, erinnern an ihre Großeltern, | |
die für die Unabhängigkeit Israels kämpften. Sie seien froh, sagen sie, | |
dass diese nicht mehr mitansehen müssten, in welche Richtung Israel nun | |
abdrifte. Juden, die über Jahrzehnte so viel gelitten haben, müssten doch | |
wissen, was eine rechtsextreme Regierung bedeute, sagt Nadav. Sie hoffen, | |
dass demokratisch gesinnte Menschen weltweit ihren Protest sehen und Druck | |
auf Israels Regierung ausüben. | |
Sie alle treibt die Angst um, dass das Land, in dem sie leben, bald nicht | |
mehr wiederzuerkennen sein wird. | |
26 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Anastasia Tikhomirova | |
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