| # taz.de -- Berlinale-Film „Atomnomaden“: Menschen im Atomkraftwerk | |
| > Neoliberale Kostenminimierung: Der Dokumentarfilm „Atomnomaden“ zeigt in | |
| > grau-beklemmenden Bildern die Leute, die französische AKWs warten. | |
| Bild: Sie leben in Wohnmobilen in direkter Nähe von AKWs: Die „Atomnomaden�… | |
| Vor einem französischen Atomkraftwerk an der Grenze zu Deutschland stehen | |
| Wohnmobile. Im Hintergrund dampfen die grauen Kühltürme. Als der junge | |
| Filmemacher Kilian Armando Friedrich bei einer Fahrradtour irritiert von | |
| dem Kontrast zwischen Industriekomplexen und Freiheitssymbol fast beiläufig | |
| an der Tür eines dieser Wohnmobile anklopfte, wollte er erst einmal nur | |
| verstehen. Es stellte sich heraus: In ihnen wohnen keine Touristen. | |
| Daraufhin entstand zusammen mit dem deutsch-französischen Regisseur Tizian | |
| Stromp Zargari, der selbst lange in Frankreich gelebt hat und sich seither | |
| mit den dortigen Arbeitsbedingungen in strukturschwachen Regionen | |
| beschäftigt, ein Film: „Nomades du nucléaire – Atomnomaden“. | |
| Es ist ein Dokumentarfilm mit starken, grau-nebligen Bildern über | |
| Arbeiter:innen, die sich im 21. Jahrhundert um die Wartung und Reparatur | |
| vermeintlich anachronistischer Kraftwerke kümmern. Ganz nah wird die Kamera | |
| an sie heran gehalten. Und doch stehen die Protagonisten mit ihren | |
| individuellen Träumen, Beweggründen und ihrer Arbeit, die das komplette | |
| Leben bestimmt, exemplarisch für das, was der freie Markt, neoliberale | |
| Kostenminimierung und Auslagerung von Arbeiten an Subunternehmen mit und | |
| aus Menschen machen. | |
| Die zwei Regisseure, die an der Filmhochschule München studieren, fanden | |
| bald heraus, dass diese Menschen nicht zum Spaß kampierten. Sie sind – wie | |
| der Titel des Films sagt – Atomnomaden. Ihre Arbeit besteht darin, alte | |
| Reaktoren zu renovieren. Dafür reisen sie Tausende Kilometer durch | |
| Frankreich, je nachdem, wohin sie gerufen werden. Je mehr Aufträge, desto | |
| lukrativer der Job. Bis zu 6.000 Euro netto kann man als ein solcher Nomade | |
| verdienen. | |
| ## Die Intimität wirkt beklemmend | |
| Die Bilder sind so authentisch wie sie wirken: Da gibt es ein junges Paar, | |
| das „nur“ ein paar Jahre lang lieber im AKW schuftet, als sich in der | |
| Fabrik zu verdingen. Es gibt einen Familienvater, der seine Kinder und Frau | |
| meistens nur abends auf dem Handybildschirm zu sehen bekommt. Und einen | |
| jungen bärtigen Mann, der schon Mitte des Monats die Strahlungsmenge für | |
| die nächsten zwei Monate abbekommen hat, aber trotzdem weiterarbeitet, um | |
| irgendwann autark auf seinem eigenen Grundstück leben zu können. | |
| In „Atomnomaden“ werden die Protagonisten nicht interviewt oder | |
| Expert:innen zum Thema hinzugezogen. Die Zuschauer:innen dürfen | |
| einfach beobachten. Bis in das Bett im engen Wohnmobil begleitet die Kamera | |
| die Atom-Arbeiter:innen. Schaut über ihre Schulter und vom Beifahrersitz | |
| aus auf die müden Gesichter der Protagonisten. Man fragt sich fast, wie die | |
| Kamera in der Enge des Wohnmobils überhaupt Platz gefunden hat. Die so | |
| entstehende Intimität wirkt beklemmend. | |
| ## Die unsichtbare, ungesunde Strahlung | |
| Es ist meistens dunkel, grau, nasskalt. Die Zukunft ungewiss. Denn die | |
| Arbeitgeber:innen der Nomaden stehen untereinander in Konkurrenz, um | |
| dem staatlichen Energiekonzern die niedrigsten Kosten für anstehende | |
| Sanierungen zu bieten. „Schnell und günstig“, lautet die Devise. | |
| Die Protagonisten rauchen dabei fast so viel wie das AKW, das sie warten. | |
| Und immer wieder steht dieses Atomkraftwerk bedrohlich hinter ihnen. | |
| Untermalt werden die Bilder durch einen elektronischen Sound, der | |
| minimalistisch an die unsichtbare, ungesunde Strahlung erinnert, die dieses | |
| konstant absondert. | |
| Bedrückt von deren Situation lassen eine:n die Geschichten der Atomnomaden | |
| zurück. Und von ihrer Bereitschaft, dieser Arbeit nachzugehen, für eine | |
| ungewisse, vermeintlich verheißungsvolle Zukunft. | |
| 24 Feb 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Ruth Lang Fuentes | |
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